60 Veranstaltungen haben als Alternative zu den vom Atomenergiekonzern Vattenfall gesponserten Lesetagen an 40 unterschiedlichen Orten in Hamburg stattgefunden.
Wir konnten mit großer Resonanz ein kräftiges politisches – und praktisches – Zeichen gegen Atom- und Kohleenergie auch im Bereich der Kultur setzen. Alle Veranstaltungsorte hatten bereits den Stromanbieter gewechselt und spätestens nach diesen Lesetagen werden hoffentlich auch alle Besucherinnen und Besucher bei Vattenfall gekündigt haben.
Mit unserer Initiative haben wir in der Hamburger Kultur eine Alternative aufgezeigt und dadurch polarisiert: Es gab diejenigen, die – noch(?) – bei Vattenfall gelesen haben und weitgehend öffentlich kundtaten, dass sie „persönlich“ auch gegen Atomkraft seien. Und es gab all die Autorinnen und Autoren, Schauspieler und Kulturschaffende jeder Art, die ein politisches Zeichen gegen Vattenfall als Atom- und Kohlekraftproduzent setzen wollten und deshalb gern ihre eigenen Veranstaltungen unter dem gemeinsamen Dach „Lesetage selber machen – Vatenfall Tschüss sagen“ zusammengefasst haben.
Diese Veranstaltungen sind damit Ausdruck eines Bündnisses, das sich als Teil der „Recht-auf-Stadt“-Bewegung betrachtet. Es geht uns um die Fragestellungen: wer macht Kultur, wer bestimmt die Kultur, wer bestimmt das Zusammenleben in einer Stadt, wer bestimmt die Energiepolitik, welches Geld fördert welche kommunalen Angelegenheiten?
In einer Stadt, in der der Bau der „Elbphilharmonie“ immense Gelder des Kulturetats verschlingt, die anderswo fehlen, in der Vattenfall zwei Pannen-Atommeiler in unmittelbarer Nähe betreibt (Brunsbüttel und Krümmel) und ein neues, bereits bei der Planung veraltetes Kohlekraftwerk baut mit immenser Abluftfahne und stark bekämpfter Fernwärme-Trassenführung durch Grünanlagen in der Innenstadt, sind Lesetage mit dem Namen Vattenfall nicht einfach weiterführbar, ohne starke Proteste herauszufordern.
Auch die Frage des Kultursponsering wurde durch unsere Initiative neu aufgeworfen: Darf ein Lesefestival Vattenfall heißen? Darf Sponsoring zum Greenwashing eines Konzerns beitragen? Und tragen diejenigen, die bei so einem Markensponsoring teilnehmen, nicht zur Konzernakzeptanz bei? Sind Sponsorengelder Mittel, die der Kunst dienen, oder doch eher PR-Instrumente eines Konzerns?!
Dass in Hamburg der NDR, die Kulturbehörde, eine der größten Buchhandelsketten und die größte örtlichen Tageszeitung Medienpartner des Vattenfall-Lesefestivals waren, trug dazu bei, dass zwar im allgemeinen Teil der Nachrichten über die breite Front des Ausstiegs aus der Atomenergie berichtet wurde, im Feuilleton aber plötzlich die Vattenfall-Lesetage als Ausdruck „freier Kultur“ verteidigt wurde. Diese Sichtweise haben wir mit unserer Alternative bestritten.
Unsere Autoren, die GEW (deren Beteiligung sich insbesondere gegen Vattenfalls Präsenz an den Schulen richtet), die Veranstalter quer durch die Stadt, von ganz großen Clubs (Uebel & Gefährlich, Die Fabrik, Große Freiheit 36) bis zu kleinsten Kunstinitiativen (Baustelle Eins, Galerie Linda) über Stadtteilzentren, den Tiefbunker vor dem Hamburger Hauptbahnhof, der Künstlerstandort Frappant und das Gängeviertel, das CVJM und der BUND, das Monsuntheater wie die Hamburger Frauenbibliothek, das St.Pauli-Museum und die St.Pauli-Kirche, all diese Kulturpoduzenten wollten dieses gemeinsamen Zeichen setzen.
Brigitte Kronauer im Crossover mit dem Comic-Künstler Sascha Hommer, Harry Rowohlt im Kerzenlicht, Kinderlesungen mit Elbpicknick, Krimilesungen sowie Werkstattberichte von Literaturübersetzern, ein Lesemarathon von 48 Stunden im Gängeviertel, eine Lesung aus Emma Goldmans Autobiographie im vollbesetzten Café Sha, Moorburger Prominenz las zum Thema „Moorburg forever“ – hier nur einige der wunderbaren und immer wieder überraschenden Höhepunkte unserer „Lesetage selber machen“-Reihe.
„Selber machen“ hieß auch, dass Lesungen willkommen waren, die weniger medienkompatibel und eher sperrig daherkamen (über alternative Ökonomie und Verkehrskonzepte z.B.), auch die konnten unter unserem Schirm Aufmerksamkeit und neue Besucher bekommen.
Es entzieht sich unserer Kenntnis, ob die Vattenfall-Lesetage nächstes Jahr noch einmal an den Start gehen, wir sind uns hingegen sicher, dass wir nach diesen Erfahrungen im nächsten Jahr noch größer, besser und noch wirkungsvoller sein werden!
Das Organisationskomitee von „Lesetage selber machen – Vattenfall Tschüss sagen“
Angela Banerjee (Initiative Moorburgtrasse stoppen), Marianne Heidebruch (Kölibri / GWA St.Pauli), Astrid Matthiae (Initiative Moorburgtrasse stoppen), Hanna Mittelstädt (Edition Nautilus), Hartmut Ring (GEW), Hans-Peter Weymar, Dokumentarfilmer
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