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600000 Bücher in sechs Jahren

In Kooperation mit Google wird in den nächsten Jahren der historische Buchbestand der Österreichischen Nationalbibliothek digitalisiert und ins Netz gestellt. Warum er Google als Partner schätzen gelernt hat, erläutert Max Kaiser heute auf dem Publishers‘ Forum in Berlin. Für buchreport hat der Forschungsleiter die Koordinaten der Partnerschaft skizziert.

Die zentrale wissenschaftliche Bibliothek Österreichs führt seit vielen Jahren groß angelegte Digitalisierungsprojekte durch und verfügt über ein stetig erweitertes digitales Serviceangebot. Die bislang größte österreichische Public Private Partnership im Kulturbereich wird die Bibliothek dem Ziel einer umfassenden Digitalisierung ihrer historischen Bestände einen großen Schritt näherbringen. Im Projekt „Austrian Books Online“ werden rund 600000 urheberrechtsfreie Werke vom 16. bis 19. Jahrhundert mit ca. 180 Mio Seiten digitalisiert und über Google Bücher sowie die digitale Bibliothek der Österreichischen Nationalbibliothek kostenfrei zugänglich gemacht.

Nach einer erfolgreichen Testlieferung an Google und erstem Daten-Download wurde Ende 2010 mit den großflächigen Bücheraushebungen begonnen und im Frühjahr 2011 die Digitalisierung gestartet. Die ersten digitalisierten Bücher werden im Frühsommer über Google Bücher zur Verfügung stehen.

Digitalisierung: Sechs Jahre statt Jahrzehnte

Ein Projekt dieser Größenordnung sieht einen finanziellen Rahmen vor, der für die Bibliothek allein kaum zu bewältigen gewesen wäre. Üblicherweise kostet allein die Volltextdigitalisierung eines Buches 50 bis 100 Euro. Volltextdigitalisierung, Transport und Versicherung werden von Google finanziert, die Österreichische Nationalbibliothek trägt den Aufwand für Auswahl, Vorbereitung und Rückstellung der Bücher.

Nicht unerhebliche Kosten entstehen auch aus der Anpassung der Metadaten sowie aus Qualitätskontrolle, Bereitstellung und Sicherung der Digitalisate. Auch der Zeitfaktor spielt eine wichtige Rolle: Aufgrund des von Google entwickelten effizienten Workflows kann ein Digitalisierungsvorhaben innerhalb von sechs Jahren durchgeführt werden, das andernfalls mehrere Jahrzehnte in Anspruch genommen hätte.

Die Österreichische Nationalbibliothek sieht ihre Entscheidung für eine Public Private Partnership durch den Anfang 2011 veröffentlichten Bericht „The New Renaissance“ einer EU-Expertengruppe bestätigt. Der Bericht befasst sich mit der Bedeutung der Digitalisierung für die Demokratisierung des Zugangs zu Wissen und Kultur und sieht angesichts der hohen Kosten in PPP-Modellen eine notwendige Ergänzung zur Finanzierung durch die öffentliche Hand. Sicherzustellen wären allerdings u.a. der freie Zugang der Öffentlichkeit zu den Digitalisaten und die Nicht-Exklusivität derartiger Partnerschaften.

Übereinstimmung in den Zielen

Dies deckt sich mit den Eckpunkten der Kooperation mit Google. Für das Abstecken der Rahmenbedingungen der Zusammenarbeit war es wesentlich, dass die Österreichische Nationalbibliothek ihre Ziele und Nicht-Ziele klar definiert hatte. Zu den wesentlichen Aspekten gab es bereits in einer frühen Phase der Vertragsverhandlungen, die über rund drei Jahre geführt wurden, Übereinstimmung zwischen beiden Partnern:

  • Teil der Kooperation sind ausschließlich urheberrechtsfreie Werke.
  • Der Vertrag mit Google ist nicht exklusiv. Es steht der Bibliothek jederzeit frei, ihren Buchbestand auch mit einem anderen Partner zu digitalisieren.
  • Die Bibliothek erhält Kopien der Digitalisate und kann diese zur nichtkommerziellen Nutzung online stellen.
  • Beide Partner sind verpflichtet, die vollständigen Digitalisate kostenfrei zugänglich zu machen.
  • Die Österreichische Nationalbibliothek kann ihre Digitalisate auch über andere Plattformen wie Europeana, die europäische digitale Bibliothek, zugänglich machen und Forschungspartnern zur Verfügung stellen.
  • Die Entscheidung darüber, welche Bücher für eine Digitalisierung in Frage kommen, trifft ausschließlich die Bibliothek.
  • Die Logistik- und Digitalisierungsprozesse werden durch das Institut für Restaurierung der Bibliothek begleitet und evaluiert.

Transparenz in der Öffentlichkeitsarbeit

Die transparente externe Kommunikation der Eckpunkte der Kooperation erwies sich als essenziell für die positive Aufnahme des Projekts in der Öffentlichkeit. Begleitend zur Ankündigungspressekonferenz im Juni 2010 stellte die Österreichische Nationalbibliothek umfangreiche Fragen und Antworten zu den wesentlichen Aspekten der Partnerschaft ins Netz. Teil des Kommunikationskonzeptes sind neben klassischer Öffentlichkeitsarbeit auch Social-Media-Kanäle wie Twitter. Zwischen Mitte und Ende 2010 wurden in einem Vorprojekt die für die operative Phase erforderlichen Personalressourcen und organisatorischen Maßnahmen geplant. Auf Basis der erstellten Mengengerüste konnte die Zahl der zu digitalisierenden Bände von ursprünglich 400000 auf 600000 angehoben werden.

Interne Projekte neu priorisiert

Wichtig war die interne Kommunikation von Projektvision und -zielen, um die für Durchführung erforderlichen Change-Prozesse innerhalb des Hauses auf eine breite Basis zu stellen. So mussten in einzelnen Abteilungen Arbeitsabläufe neu bewertet und Ressourcen für das Projekt bereit gestellt werden. Dies ging einher mit Neupriorisierungen interner Projekte. Wichtiger Teil der Vorprojektphase war auch die Konsultation mit anderen Bibliothekspartnern von Google in Europa und in den USA.

Den größten Raum nahm in der Vorbereitung die Festlegung logistischer Abläufe ein:

  • Aus Kosten- und Effizienzgründen ist es nicht möglich, Bücher individuell auszuwählen. Ausgeschlossen werden nur Bücher, die aufgrund ihres Formats, ihres konservatorischen Zustandes oder ihres besonderen Wertes für das Projekt nicht in Frage kommen. Eine konservatorische Evaluierung des Bestandes ergab, dass weniger als ein Prozent der Bücher aufgrund ihres Erhaltungszustands von der Digitalisierung ausgenommen werden müssen.
  • Die Logistik ist komplex, da große Büchermengen in kurzen Fristen bewegt, mit Barcodes versehen, aus dem Bibliothekssystem ausgebucht und nach der Digitalisierung wieder eingebucht und zurückgestellt werden.
  • Zusätzlich müssen Anpassungen an Metadaten vorgenommen werden.
  • Das Scannen erfolgt in einem Digitalisierungszentrum von Google in Deutschland. Die Prozesse sind mit Google vertraglich geregelt und mit dem Österreichischen Bundesdenkmalamt abgestimmt.

Das Projekt hat auch eine komplexe EDV-Komponente, pro Jahr müssen durchschnittlich 30 Mio Digitalisate automatisiert von Google übernommen und verarbeitet werden:

  • Während bei bisherigen Digitalisierungsprojekten die Qualitätskontrolle vor allem manuell erfolgte, muss hier EDV-unterstütztes Entdecken von Clustern systematischer Probleme das Ziel sein.
  • Es wird evaluiert, künftig Benutzer über Crowdsourcing z.B. in die Korrektur von OCR-Ergebnissen einzubeziehen.
  • Datenspeicherung und -back-up erfordern eine Erweiterung des Massenspeichersystems der Österreichischen Nationalbibliothek.
  • Derzeit wird ein Book-Viewer für die Bereitstellung der digitalisierten Bücher implementiert, der 2012 online gehen wird. Zunächst werden die Benutzer die Digitalisate über den elektronischen Katalog der Österreichischen Nationalbibliothek finden; eine Volltextsuche soll später folgen. In Zukunft werden die Digitalisate auch über andere Plattformen wie Europeana, die europäische digitale Bibliothek, zugänglich gemacht.

Text: Max Kaiser

aus: buchreport.spezial Herstellung & Management (hier zu bestellen)

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