Die KNV-Gruppe gibt ihre Buch- und Medienlager in Stuttgart und Köln auf und baut innerhalb der nächsten vier bis fünf Jahre verkehrgünstig um. Nicht nur das Unternehmen wird ungekrempelt, der gesamte Markt wird sich im Laufe der nächsten Jahre verändern, glaubt KNV-Chef Oliver Voerster (Foto): „Am Ende werden nur noch vier Auslieferungen übrig bleiben“, erklärt er im Interview mit buchreport. Auslieferungen, die nicht mindestens 200 Mio Euro Umsatz erwirtschaften, seien nicht überlebensfähig.
Wie fühlen Sie sich nach der Weichenstellung?
Wir stehen vor der größten Investition unserer Unternehmensgeschichte seit 1829. Intensiv haben wir über Monate alle Alternativen geprüft und setzen nun alles auf eine Karte, einen zentralen Standort in der Mitte von Deutschland. Viele sehen hierin ein positives Signal für unsere gesamte Branche, denn in dieser Zeit mit vielen Unwägbarkeiten und einer rückläufigen Entwicklung des Buchgeschäfts überlegt man sich einen solchen Schritt sehr genau. Wir sind davon überzeugt, dass der Buchmarkt ein attraktiver Markt bleiben wird und wir in diesem trotz schwieriger Rahmenbedingungen weiter wachsen können.
Wie viel Emotionen stecken darin?
Emotional war ich um Weihnachten an einem Tiefpunkt, als sich herauskristallisierte, dass wir unsere Zukunftsausrichtung in Stuttgart nicht hinbekommen. Dass davon 900 Stammmitarbeiter betroffen sind, die ihren Arbeitsplatz verlieren, hat mir und meinem Cousin Frank Thurmann schwere Wochen und schlaflose Nächte beschert. Wir haben ein gutes und enges Verhältnis zu unseren Mitarbeitern. Viele Betroffene kenne ich schon aus meiner Kindheit. Da macht man sich als Familienunternehmer schon große Gedanken: Welche Nachricht überbringe ich hier, welche Verzweiflung und Ängste löse ich aus. Das waren schwere Tage und da sind wir lange noch nicht durch.
Wie sind die Reaktionen?
Die Mitarbeiter waren natürlich erst einmal geschockt und sprachlos. In den vergangenen Tagen haben wir aber gespürt: Die meisten Mitarbeiter verstehen, dass dieser Schritt notwendig ist. Jetzt geht es darum: Was bedeutet das für jeden, wem können wir helfen, anderweitig unterzukommen. Überraschend viele signalisieren, dass sie sich vorstellen können, mitzugehen. Man wird sehen. Was sehr hilfreich ist: Das alles findet erst 2014/15 statt, also in vier bis fünf Jahren. Bis dahin fließt noch viel Wasser den Neckar und den Rhein hinunter. In der Branche sind die Reaktionen weit über unsere Erwartungen hinaus positiv. Mancher sagt: Das war überfällig. Viele erkennen unser unglaubliches Potenzial des Alleinstellungsmerkmals, marktführend Barsortiment und Verlagsauslieferung unter einem Dach zu haben.
Warum haben Sie das Potenzial bisher nicht genutzt?
Weil es uns bisher mit drei Logistikstandorten nicht möglich war, die brachliegenden Synergien zwischen Barsortiment und Verlagsauslieferung sinnvoll zu nutzen. Jetzt haben wir die Perspektive, dass wir zukünftig aus einer Logistik beide Geschäftsmodelle realisieren können, die sich dadurch nicht erübrigen, sondern ergänzen. Wir werden die Möglichkeit schaffen, dass Barsortiment, aber auch Zentrallager von Filialisten und Einkaufsgemeinschaften auf einen Lagerbestand und eventuell sogar direkt auf Verlagsbestände zugreifen können. Wir eröffnen damit für viele Marktteilnehmer ganz neue Perspektiven, indem wir in einem zukünftigen rückläufigen Buchmarkt innovative
Modelle anbieten können, die gleich ganze Prozessschritte aus der Supply-Chain herausnehmen. Damit wir weiter wachsen können, brauchen wir auch eine Logistik, in der wir eine deutliche Ausweitung unseres Artikelangebots erreichen können. Unsere bestehenden Räumlichkeiten haben einfach ihre Leistungsgrenzen erreicht.
Wachstum bedeutet eine massive Verdrängung?
Ja, es gibt eine absehbar massive Konzentration. Unser Wachstum sehen wir vor allem in der Verlagsauslieferung, eine Entwicklung, die sich schon in den letzten Jahren durch Schließungen und Übernahmen abgezeichnet hat. Eine Verlagsauslieferung ist auf die Dauer nicht überlebensfähig, wenn sie nicht mindestens 200 bis eher 300 Mio Euro fakturierten Umsatz ausliefert. Es gibt noch genügend Auslieferungen, die unter der 100-Mio-Euro-Grenze liegen und damit nicht über die notwendigen Skaleneffekte verfügen. Der Wettbewerb hat sich in den letzten Jahren extrem verschärft. Viele gehen davon aus, dass eine deutliche Marktbereinigung stattfinden wird und am Ende nur noch vier große Auslieferungen übrig bleiben werden. Wir wollen und werden dazugehören.
Warum jetzt? Die Ausgangslage war vor 10 oder 20 Jahren vergleichbar und von beengten Verhältnissen in Stuttgart war immer schon die Rede…
Die wichtigste Erklärung ist die Mitarbeiterbezogenheit eines Familienunternehmens. Wir haben es uns geleistet, auf eine optimale Wirtschaftlichkeit zu verzichten, weil wir um die Arbeitsplätze und die bisherigen dezentralen Standorte gekämpft haben. Wir haben einen langen Atem, aber jetzt ist auch für uns eine Grenze erreicht. Bei einer Fortschreibung bisheriger und zu erwartender Entwicklungen wäre ohne den Aufbau einer leistungsfähigeren Logistik die Wirtschaftlichkeit unserer gesamten Unternehmensgruppe bedroht.
Sie kündigen die modernste Medienlogistik an. Wie sinnvoll ist diese Festlegung, wo alle Medien starke Veränderung durch Digitalisierung erfahren?
Medienlogistik ist sehr weit zu verstehen und umfasst alle Produkte, die künftig Buchhandlungen und auch der E-Commerce braucht, also auch alles, was als Nonbook und Ergänzungssortimente denkbar ist. Alle potenziellen Artikel, die auf den Buchhandelsflächen zukünftig verkauft werden können. Da wird ja noch sehr viel mehr ausprobiert.
Wie rosig sehen Sie denn die Buchhandelslandschaft?
Natürlich gibt es derzeit viele Fragezeichen. Standortbuchhändler, auch Filialisten, sind zum Teil sehr verunsichert, besonders vom E-Commerce. Es gibt aber auch längst eine Gegenbewegung von Menschen, die lieber wieder Geschäfte aufsuchen wollen. Auch wenn Filialisten an manchen Stellen etwas zu große Flächen haben: Es wurden hervorragende Voraussetzungen für attraktive Einkaufserlebnisse geschaffen.
Und wenn die physischen Medien stark zurückgehen?
Man kann amerikanische Verhältnisse nicht auf Deutschland übertragen, wo es ein ganz anderes Verhältnis zum Eigentum gibt. Wir ziehen weniger oft um und nehmen dann auch noch unser ganzes Gerümpel einschließlich unsere alten Schulbücher mit. Der Vorteil der Digitalisierung ist bei Büchern sehr viel kleiner als bei Musikstücken, die man immer wieder hört und sich neu zusammenstellt.
Konkret zum neuen Logistikzentrum: Hessen oder Thüringen?
Die Zielregion ist bekannt. Wir haben uns auch eine Reihe potenzieller Standorte angeschaut und sind jetzt gespannt, wer uns den Weg in sein Bundesland möglichst attraktiv gestaltet.
Was wird aus den Töchtern LKG und Buchpartner?
Buchpartner hat als Rackjobber und Spezialist für den Lebensmittelhandel eine andere Logistik und andere Anforderungen. Abgesehen davon haben wir uns bei der Übernahme für sieben Jahre verpflichtet, den Standort zu erhalten. Solange das LKG wirtschaftlich arbeitet und es möglich ist, Standorte wirtschaftlich aufrechtzuerhalten und eine Zwei-Marken-Strategie zu fahren, wollen wir keine bestehenden funktionierenden Strukturen zerschlagen.
Die Fragen stellte Thomas Wilking
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