Nicht nur in volkswirtschaftlich schwierigen Zeiten scheint die Fantasie, mit welchen Mitteln und Vorwänden an der Konditionenschraube gedreht wird, zu blühen. Während der chronisch kranke Warenhauskonzern Karstadt vor vier Jahren von seinen Lieferanten verlangte, sich per Rabatten an der Sanierung des Unternehmens zu beteiligen, und sich Buchhandelsprimus Thalia kurz darauf sein Wachstum durch Neueröffnungsprämien der Verlage finanzieren lassen wollte, sorgt aktuell vor allem Thalias Pendant im Online-Handel, Deutschlands größter Internetbuchhändler Amazon, für Ärger in den Vertriebsabteilungen der Verlage.
Der aktuelle Vorstoß wurde bereits kurz vor Weihnachten eingeleitet, als Vertriebsleitern ein Brief von Greg Greeley zugestellt wurde, dem Vizepräsidenten Retail für alle europäischen Shops. Die dort schmucklos präsentierte Schraube:
- Auf der Basis der bisher vereinbarten Konditionen werde Amazon entweder künftig Zahlungen 30 Tage später vornehmen oder die aktuellen Zahlungsfristen bei zusätzlichen 2% Skonto beibehalten.
- Sollten Verlage auf das Schreiben nicht binnen zwei Wochen reagieren, heißt es in dem Schreiben, „nehmen wir an, dass Sie sich für die erste Option entschieden haben“. Ein Vertriebsleiter, der nicht öffentlich benannt werden will, kommentiert: „Wir haben die Wahl zwischen Pest und Cholera.“
- Zumindest vereinzelt versucht Amazon offenbar zudem, mit Vertraulichkeitsvereinbarungen Verlagen im Konditionenpoker einen Maulkorb anzulegen.
„Advantage“: Rabatt von bis zu 57% gefordert
Während Amazon offenbar allen Lieferanten europaweit die Pistole der neuen Zahlungsmodalitäten auf die Brust gedrückt hat, stöhnen besonders kleinere Verlage mit Blick auf „Amazon Advantage“. Mit dem 2006 eingeführten Programm wollen die Münchner – analog zu MediaMarkt/Saturn unter dem Titel „Vendor Managed Inventory“ – ihr Kommissionsgeschäft ausbauen:
- Amazon vergrößert das Warenangebot auf Kosten und Risiko der Lieferanten, die erst im Folgemonat für die Verkäufe im Vormonat bezahlt werden.
- Dem „Advantage“, dass auch Bücher kleinerer Verlage ins Amazon-Zentrallager aufgenommen und binnen 24 Stunden ausgeliefert werden können, stehen happige Konditionen gegenüber: Die Teilnahme kostet pro Jahr 49,90 Euro; für Lagerhaltung und Vermarktung behält Amazon pro Titel 5% sowie zusätzlich an Rabatten je nach Warengruppe und Einkaufsvolumen pro Jahr zwischen 38 und 50% des Ladenpreises ein.
- Außerdem müssen Verlage selbst das Porto für die Lieferungen an den Onliner tragen, während Amazon mit 2% Skonto innerhalb von 60 Tagen zahlt – summa summarum ein Rabatt von bis zu 57%.
„Kampf gegen Windmühlen ist sinnlos“
Angesichts des scharfen Konditionenkurses von Amazon werden unweigerlich Erinnerungen wach. An das Frühjahr 2004, als Amazon sämtliche Diogenes-Titel auslistete, weil die Schweizer den Forderungen des Marktführers nicht folgen wollte; oder an das Jahr 2007, in dem die Münchner, wie vom „Spiegel“ berichtet, im Zwist mit den Musiklabels mitten im Weihnachtsgeschäft fast alle Top-100-Titel von Sony BMG und Warner Music für mehrere Tage aus dem Programm nahm. Gerüchteweise soll aktuell wieder ein großer Münchner Verlag ausgelistet worden sein (Amazon hat sich bisher nicht geäußert).
„Wir dürfen uns nicht einbilden, dass Amazon nicht auf uns verzichten könnte“, erklärt Kunstmann-Vertriebschef Uli Deurer. „Ein Kampf gegen Windmühlen bringt uns nichts.“
(Aus buchreport.express 15/2009)
Kommentar hinterlassen zu "Amazon am Konditionendrücker"