Zuhören ist das eine, Gesprächspartner wirklich verstehen aber oft etwas ganz anderes. Selbst konzentrierte Zuhörer ordnen nicht immer alles richtig ein, was sie gesagt bekommen. Mit diesen Tipps können Sie künftig nicht nur aufmerksam oder aktiv, sondern auch „analytisch“ zuhören. „Analytisches Zuhören“: Für Führungskräfte, Ehepartner und alle anderen, die ihr Gegenüber endlich wirklich verstehen wollen.
Jens Clausen ist gelernter Bankkaufmann und hat eine lange Laufbahn als Führungskraft in der Commerzbank hinter sich. Heute ist er zertifizierter Coach, u.a. in NLP und im System- und Organisationsstellen.
Mal angenommen, Sie als Führungskraft, Fachkraft, Ehepartner oder so ganz allgemein als Mensch träfen die sehr gute Entscheidung, in einem Gespräch mal ganz genau zuhören zu wollen: Sollten der bloße Vorsatz und etwas Konzentration nicht schon reichen, um Ihren Gesprächspartner gut und zweifelsfrei zu verstehen?
„Ganz bestimmt“, meinen zumindest die Manager, die in meinen Seminaren ihre Führungspersönlichkeit weiterentwickeln möchten. Und stimmen sofort zu: Zuhören sei genauso wichtig wie das Senden klarer Botschaften. Außerdem nehmen sie natürlich an, selbst gute Zuhörer sein zu können, wenn sie es sich nur vornehmen.
Doch dann kommt mein Test: „Ich lese jetzt einen Text vor “, erkläre ich, „in deutscher Sprache, keine Fremdwörter, kaum Einfügungen, 4 Sätze lang. Bitte hören Sie genau zu. Danach finden Sie auf der Rückseite des Blattes vor Ihnen 13 Fragen mit jeweils 3 Antwortmöglichkeiten zum Ankreuzen – Aussage stimmt, stimmt nicht, kann ich nicht beurteilen…“.
Dann lese ich „Die Gehaltserhöhung“ vor. Und was, denken Sie, kreuzen die Teilnehmer an? Wer nur bis zu 25 Prozent falsch verstehen würde, wäre ein ausgezeichneter Zuhörer. Aber zumindest in meinen Seminaren kreuzen fast alle Zuhörer rund die Hälfte der Aussagen falsch an. Und es gibt stets ein paar, die sogar in 75 Prozent der Fälle Falsches wählen.
Spätestens jetzt ist klar: Der gute Vorsatz allein reicht nicht.
Wer wirklich zuhören will, braucht mehr.
Nicht nur aktiv zuhören – sondern analytisch!
„Da müssen Sie mich aber falsch verstanden haben…“, „…das habe ich so nie gesagt“, „Ich habe doch erklärt, dass…“, „wie oft muss ich Sie eigentlich noch darauf hinweisen?“ Wenn Ihnen solche Rückmeldungen bekannt vorkommen (und Sie in Zukunft gern weniger davon hören würden), sollten Sie es nicht beim Vorsatz „besser zuhören“ belassen, sondern sich dem „analytischen Zuhören“ widmen.
Was genau das ist? Ein Blick in Wikipedia und…, nichts, kein Treffer. Zum „Aktiven Zuhören“ findet sich dagegen jede Menge: 565 Einträge bei Wikipedia, 4.907 Bücher auf den entsprechenden Seiten und rund 500.000 Treffer in Suchmaschinen. Doch wer sich ein wenig einliest, begreift: Hier geht es vor allem um die Beziehungs-Ebene von Gesprächen und um die Empathie zwischen Gesprächspartnern – und weniger um Gesprächsinhalte, weniger um inhaltlich-sachliches Verstehen.
Genau das steht beim analytischen Zuhören im Vordergrund. Denn dabei geht es nicht nur um Zuwendung, Empathie und das Vermitteln von Wertschätzung. Sondern auch darum, zu ergründen, was Ihr Gegenüber genau meint und wie seine oder ihre nächsten Schritte aussehen könnten.
Deshalb ist es beim analytischen Zuhören auch wesentlich, alle Aussagen eines Gesprächs nachzuvollziehen – einschließlich der subtilen Neben- oder Zweitbotschaften, die sich oft zwischen dem tatsächlich Gesagten verstecken (und für den weiteren Verlauf nicht selten weit wichtiger sind als jenes).
Wie das gelingt?
Tatsächlich braucht es zum analytischen Zuhören viele der Voraussetzungen oder „Zutaten“, nach denen auch der „Aktiv-Zuhören“-Ansatz verlangt: Konzentration, Aufmerksamkeit und echtes Interesse am Gegenüber. Doch es braucht auch etwas mehr – vor allem: Nach- und Verständnisfragen.
Die Pflicht: Rückfragen zum besseren Verständnis
Wenn Sie Ihrem Gegenüber künftig also wirklich zuhören und sie oder ihn wirklich verstehen wollen, stellen Sie viele Fragen zur:
Konkretisierung: z.B. „Was meinen Sie mit „unglückliche Entscheidung“? „Wer sind ‚die Anderen?’“ „Wie genau sieht das aus, wenn etwas ‚schon wieder nicht läuft’?“ Oder auch: „Wann genau?“, „Wirklich immer?“ „Was, ganz präzise, war daran beleidigend?“
Fokussierung: z.B. „Welcher Punkt ist dabei für Sie der Wesentliche?“ „Was davon bräuchten Sie zuerst?“
Unterscheidung von Tatsachen und Vermutungen: z.B. „Haben Sie das miterlebt oder ist das einfach eine Annahme?“ „Wer hat Ihnen das erzählt, können Sie sich erinnern?“ „Wie kommen Sie zu der Aussage, die Rechtsabteilung arbeite zu langsam?“
Klärung von Emotionen: z.B. „Was genau hat das in Ihnen ausgelöst?“ „Wie wollen Sie mit der von Ihnen als Beleidigung empfundenen Äußerung umgehen?“
Validierung von Wahrnehmungen: z.B. „Ich habe den Eindruck, dass Sie der Vereinbarung nicht trauen. Ist das so?“
Ermittlung nächster Schritte: „Wie werden Sie nun vorgehen?“
Fassen Sie anschließend unbedingt zusammen, was Sie im Gespräch gehört, erfragt, verstanden und gegebenenfalls vereinbart haben, um Ihrem Gegenüber die Möglichkeit zu Korrekturen zu geben!
Die Kür: Kennen Sie Ihre Zuhörer-Grenzen?
Sehr günstig ist zudem, wenn Sie als „Zuhörender“ Ihre eigenen Wahrnehmungsfilter und Empfindlichkeiten kennen. Manche schnellen und effizienten Führungskräfte haben nämlich Mühe damit, viele Nachfragen zu stellen. Sollte es Ihnen ähnlich gehen und Sie diese Tatsache kennen, berücksichtigen und sich zugestehen können, dann spielen Sie in der Champions League.
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