Der Schlagabtausch von Vertretern der Musik-, Film und Buch-Branchen und Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger gewinnt an Tempo: Nachdem die FDP-Frau das u.a. vom Börsenverein favorisierte Warnhinweis-Modell abgelehnt hatte, schlagen die Verbände zurück: Die Justizministerin übe sich in Populismus.
Vorgeschichte: Im Mai hatte Börsenvereins-Hauptgeschäftsführer Alexander Skipis der Bundesregierung in der Urheberrechtsdebatte „zwei Jahre vollkommene Tatenlosigkeit“ vorgeworfen. Keines der zu Beginn der Legislaturperiode im Koalitionsvertrag sowie der Berliner Rede der Justizministerin angekündigten Vorhaben oder der in den Anhörungen des Ministeriums diskutierten Anpassungen seien bisher umgesetzt worden.
Nachdem der Buchbranchenverband am Dienstag zusammen mit dem Bundesverband Musikindustrie und der Gesellschaft zur Verfolgung von Urheberrechtsverletzungen (GVU) eine Studie vorgelegt hatte, die Warnhinweis-Modelle (Verbraucher bei illegaler Nutzung der Angebote im Netz zunächst warnen, bevor es zu Sanktionen kommt) untermauert, erklärte die Ministerin der dpa, dieses Modell werde es aus rechtlichen und politischen Gründen nicht geben. „Warnhinweise sind bekanntlich ohne Überwachung des Internets nicht möglich – das muss jedem klar sein.“ Und: „Das Warnhinweis-Modell ist ein Angst-Modell.“
Heute kontern die Verbände: Ein Begriff wie „Angst-Modell“ sei reiner Populismus. Sie widerspreche dabei aber der mehrheitlichen Bevölkerungsmeinung, die Warnhinweise befürworte. „Mit Überwachung hat dieser Vorschlag nichts zu tun, er ist zudem eine wesentlich sanftere Maßnahme als die gegenwärtige Form der Rechtsdurchsetzung.“
Man erwarte von der Justizministerin konkrete Vorschläge zur Lösung des „gravierenden Problems“, wie die illegale Nutzung urheberrechtlich geschützter Werke im Netz künftig reduziert werden soll, um die Urheber in Deutschland zu schützen. Schlusspunkt: „Sie hatte dafür drei Jahre Zeit, bis heute liegt aus dem Bundesjustizministerium aber noch kein Vorschlag vor.“
Ich versuche immer noch zu verstehen, was mir solche Mitteilungen mitteilen wollen. Die Lage ist ja so: Es gibt das DMCA und das Notice-and-Takedown-Verfahren, und wenn irgendjemand ein Problem mit Ebook-Piraterie hat, kann er/sie es relativ leicht lösen. Das wird aber seltsamerweise vom Börsenverein nicht kommuniziert, wofür ich immer noch auf der Suche nach einer Erklärung bin: Inkompetenz? Korruption? Irgendeine spezielle Verbandsjuristen-Krankheit? LSD im Frankfurter Trinkwasser? Aliens?
Interessante Detail-Frage: Wie stellt man sich das denn praktisch mit den Warnhinweisen vor? Man müsste doch im Netz recherchieren, wo Urheberrechtsverletzungen stattfinden und die entsprechenden Links ermitteln, und dann den entsprechenden Filehostern mitteilen, dass sie die runternehmen und bitte ein Warnschild aufstellen. Oh, das ist das Notice-and-Takedown-Verfahren?
Unsere Firma hat z. B. für Springer SBM rund 150000 bedenkliche Links ermittelt und abgemeldet, und wer Bücher von Springer, Apress, Humana Press, Gabler, VS, Vieweg-Teubner etc. „klauen“ (ja, liebe Bibliothekare) möchte, hat ein ernsthaftes praktisches Problem. Da steht dann bei den Filehostern: Nö, sorry, is nich, oops!, wurde gelöscht.
Was will der Börsenverein mehr? Geht es um das Design der Filehoster-Mitteilung? Muss es ein echtes deutsches Warnschild sein? Und wie will er das bei den zur Stunde rund 300 Filehostern durchsetzen, von denen, wenn ich da noch die Übersicht habe, kein einziger seinen Firmensitz in Deutschland hat?
Warnschilder! – Das ist der Erkenntnisstand der deutschen Buchbranche zum Thema Piraterie Ende August 2012! Erbärmlich!
PS: Man bemerke, dass auf der mit weitem, weitem Abstand größten (außer Amazon) deutschsprachigen Buchplattform boerse.bz in diesen Tagen der zweimillionste Subscriber zu begrüßen ist. Vor diesem Hintergrund sei die Vermutung ausgesprochen, dass die GVU-Studie methodisch nicht ganz sauber war.
Nobody expects the Frankfurt inquisition!
„
Mit Überwachung hat dieser Vorschlag nichts zu tun“ – aha dann mögen die Damen & Herren doch bitte mal erklären, wie ein Warnhinweis ohne Überwachung technisch möglich sein soll. Es ist nicht so, dass Piratenwebseiten eine Tür hätten, vor die man ein hübsches Warnschild stellen kann, man muss den Nutzer dafür gewissermaßen abfangen und das wiederum erfordert eine Überwachung.
Die »gegenwärtige Form der Rechtsdurchsetzung« hat zur Verankerung des Begriffs »Abzocke« in einer mehrheitlich scheinenden Bevölkerungsmeinung geführt.
Das »Mehrheitliche« im Ergebnis einer bezahlten Studie ist bislang nicht überprüfbar.
Ich weiß nicht, ob man das merkt, aber ich versuche immerzu den Begriff »dreist« zu vermeiden.
Mit „dummdreist“ ist es auch nicht einfach.