Haben wir ein Problem, oder haben wir kein Problem? Diese Frage schwelte über der Fachkonferenz APE – Academic Publishing in Europe. Als erster Branchentreff des Jahres versammeln sich bei der APE in Berlin traditionell die Wissenschaftsverlage zur Standortbestimmung zusammen mit Technologieanbietern und Stakeholdern aus Bibliotheken und Forschung, die zugleich Autoren und Kunden sind.
Im Fokus stehen die Mechanismen der Forschungsökonomie und wie sich das System der Wissenschaftskommunikation verändern muss – mit vielen bekannten Themen wie Veröffentlichungsdruck, daraus resultierender Artikelflut und Problemen im Peer Review, der gegenseitigen Begutachtung von Beiträgen zur Qualitätssicherung. Ulrich Dirnagl, Direktor des Quest Center for Responsible Research am Berliner Institut für Gesundheit der Charité, sprach pointiert von einer „Reputationsökonomie“, die das akademische Publizieren gekapert habe. Das Peer-Review-System sei nicht nur wegen der Masse an Inhalten, sondern u.a. auch wegen der heute hoch speziellen Forschungsansätze und der fehlenden Skalierbarkeit unter Druck: „Peer Review wird als Instrument der Qualitätskontrolle stark überschätzt“.
Kritische Open-Access-Jahre
Auch das Großthema der vergangenen Jahre, der Wandel der Geschäftsmodelle hin zu Open Access, ist trotz großer Fortschritte in jüngster Zeit noch lange nicht abgeschlossen. Teil des Problems nachhaltiger Modelle seien die Unterschiede, die Ungleichheiten und die Lücken des Systems; diese gelte es je nach Forschungsrichtung, Journal und Stakeholder individuell zu berücksichtigen, sagte Rachel Burley (CPO, American Physical Society): „Die nächsten 3 Jahre werden kritisch sein, weil alle Szenarien durchspielen und modellieren werden.“
Guido Herrmann, Chef des deutschen Wiley-Ablegers Wiley-VCH und im Konzern verantwortlich für die 2022 neu gestartete Dienstleistungssparte Wiley Partner Solutions, identifizierte bei den Forschungsgesellschaften diese Schmerz- und für Verlage Ansatzpunkte:
- Wechsel vom Journal-basierten zum einem Artikel-basierten Publikationssystem, mit der Aussicht einer etwaigen Preprint-Ökonomie in der Zukunft
- Standardisierung und Datenhaltung
- Peer Review und Forschungsintegrität
- Open Science und die dafür nötigen Infrastrukturen.
Agenda 2023
Für 2023 konstatierte Ulrich Dirnagl in seiner Eröffnungsrede „Herausforderungen in Hülle und Fülle“ und aktuelle Trends:
- Starke Verbreitung von Preprints
- Weniger klassische Fachzeitschriften, resultierend aus dem seit Jahren beschworenen Trend zu einem eher artikelbasierten System
- Entflechtung von Veröffentlichung und Begutachtungsprozess
- Trend zu modularen Inhalten (u.a. Protokolle, Methoden, Analyse, Daten)
- Automatisierungen (u.a. Archivierung, Indexierung)
- Weniger kommerzielle Ansätze, etwa im Open-Access-Bereich
- Stärkere Einbeziehung von Perspektiven und Ansätzen außerhalb westlicher Industrienationen.
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