Rund zehn Jahre ist es her, dass Apple mit dem iPhone den Mobile-Boom ausgelöst hat. Für App-Anbieter ist es in der Zeit immer schwieriger geworden, sich neben Facebook & Co. einen Platz auf den Homescreens der Nutzer zu sichern. Wie müssen Verlage darauf reagieren? Welche Rolle spielen Tablets noch im Mobile-Gerätepark? Die Verlagsberaterin Martina Steinröder (Steinröder Publisher Consulting) sondiert den Markt.
Besonders in den USA sinkt die App-Nutzung drastisch, wie eine Adobe-Studie zeigt. Welchen Eindruck haben Sie vom deutschen Markt?
Martina Steinröder: In den USA sank die Zahl der App-Installationen seit 2014 um 38%, und auch die installierten Apps werden um 28% seltener geöffnet. Aber die App-Nutzungszeit steigt weiter an, weltweit seit dem letzten Jahr um 25%, in Deutschland um 10%. Das geht aus dem aktuellen Jahresbericht von App Annie hervor. Ca. 90 Minuten am Tag werden mit Apps verbracht. Das heißt, es werden nur wenige Apps benutzt, diese aber oft sehr intensiv. Und das sind vor allem WhatsApp, Facebook, Snapchat und andere Messenger, Bild-/Kamera-Apps, Streaming-Apps wie Spotify, Netflix, YouTube sowie Games. Auch die Shopping-Nutzung steigt. Die Zahl der auf dem Smartphone installierten Apps bleibt dabei mit ca. 28 seit Jahren gleich.
In Deutschland stellt sich die Situation etwas anders dar. Wo sehen Sie die Ursachen für den deutschen Sonderweg?
In Deutschland ist die Zahl der Installationen nur gering zurückgegangen (-5%), die Zahl der Sessions je App ist leicht gestiegen. Die Situation ist seit 2014 eigentlich unverändert. Aber ich denke, dass der deutsche Markt dem US-Markt etwa ein bis zwei Jahre hinterherhinkt. Auch hier werden es neue Apps in Zukunft schwer haben.
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Worauf kommt es vor diesem Hintergrund für Medien und Verlage an, den Platz auf dem Homescreen der Nutzer zu sichern?
Eine einzelne App zu einem Erfolg zu machen, ist kaum möglich, es sei denn der Anbieter verfügt über sehr viel Kapital, viel Glück und setzt kompromisslos auf internationale Reichweitengenerierung, wie z.B. „Kitchen Stories“, einige Games oder vergleichbare Start-Ups. Eine gute App ist aber ein wichtiger – und unverzichtbarer – Bestandteil eines digitalen Angebots-Portfolios und des passenden Geschäftsmodells. Es kommt darauf an, digitale Angebote mit hohem Nutzen für die Kunden zu entwickeln, die dann über verschiedene Kanäle, auch als App, aber selbstverständlich auch über responsive Websiten, ausgespielt werden. Der Nutzer entscheidet über die für ihn bzw. sie optimale Nutzung. Ob Runtastic, AirBnB oder The Simple Club, ein digitales Video-Angebot für Schüler und Schülerinnen, viele erfolgreiche Anbieter entwickeln kleinere oder größere Ökosysteme.
Wie bringen Medien die Nutzer dazu, ihre App zu installieren?
Gerade Medienanbieter können ihre Marken nutzen, aber es wird natürlich ein sehr intensives Marketing benötigt und nicht nur App Store-Optimization. Kostenlose Angebote oder Freemium-Modelle, z.B. auch in Kombination mit einem digitalen Lizenzmodell/Abonnement, sind unabdingbar. Apps, die etwas kosten, werden kaum installiert.
Und wie verhindern Medien, dass ihre Apps gleich wieder gelöscht werden?
Jede App muss einen echten Nutzen bringen und natürlich über eine sehr gute Usability und ein attraktives, modernes Design verfügen. Bereits bei der App-Entwicklung ist zu überlegen, wie der Nutzer gehalten werden kann, Retention ist ein wichtiges Thema.
Welche Perspektive haben Tablets im Geräte-Portfolio der Mediennutzer? Stimmen Sie ein in den Abgesang?
Auch hier können die Zahlen sprechen: 66% der deutschen Bevölkerung nutzen das Smartphone, 38% ein Tablet. Allerdings ist die Nutzungsintensität von Tablets deutlich geringer. Tablets sind ein Dritt-Gerät. Sie werden abends als Second-Screen, zum Nachschlagen, zum Lesen, Videostreamen oder Spielen auf der Couch genutzt – Nice-to-have für die gelegentliche Nutzung. Daher kommen auch die in der Adobe-Studie festgestellten relativ geringen Traffic-Raten von 10%-Anteil am Gesamt-Traffic. Neuere Smartphones sind aufgrund der ausreichenden Bildschirmgrößen und der sehr guten Displays für viele Anwendungen absolut ausreichend. Und wenn nicht, wird das Notebook genutzt. Diskutiert wird die Bedeutung von Tablets ja auch im schulischen Umfeld. Sollen die Schulen Tablets anschaffen oder sollen die Schüler ihr eigenes Device, meist das Smartphone, nutzen, also BYOD („Bring your own device“)? Hier ist die Diskussion etwas anders gelagert, aber ich persönlich denke, dass sich mittelfristig BYOD durchsetzen wird.
Dr. Martina Steinröder ist Gründerin von Steinröder. Publishing Consulting. Ihre Beratungsschwerpunkte sind strategische Planung, Innovationsmanagement und Geschäftsprozessoptimierung. Als Expertin für Digital Publishing berät sie viele Verlage an der Schnittstelle zwischen Print und E-Publishing. Dr. Martina Steinröder war Programmleiterin im Print- und Onlinebereich mehrerer Verlage der Verlagsgruppe Georg von Holtzbrinck sowie Senior-Beraterin im Bereich „Medien“ einer internationalen Unternehmensberatung.
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