Neben den zahlreichen Patentstreitigkeiten droht Apple jetzt auch ein Kartellverfahren. Doch bei der Klage des US-Justizministeriums (hier mehr) steht de facto nicht Apple, sondern der große Rivale aus Seattle im Fokus. Die Apple-Klage könnte auf eine Lex Amazon mit weitreichenden Folgen für die gesamte Buchbranche hinauslaufen. Daniel Lenz kommentiert.
Vordergründig geht es bei dem Verfahren darum, ob Verleger tatsächlich im Weinkeller und per Telefonkonferenzen mit Unterstützung von Apple ein gemeinsames Vorgehen gegen die E-Book-Preispolitik von Amazon verabredet haben. Nach den Vorstellungen des US-Justizministeriums sollen die Verlage außerdem künftig nicht mehr eine Preisbindung beim Verkauf ihrer elektronischen Bücher veranlassen können. Dies könnte dazu führen, dass sich das Preisgefüge auf dem gesamten Markt für digitale Bücher in den USA verändert und der Gesamtumsatz mit elektronischen Büchern – den Hoffnungsträgern der Branche – sinkt.
Entscheidend ist jedoch ein anderer Punkt. Eine Verurteilung von Apple und der Verlage, die sich gegen das US-Justizministerium juristisch zur Wehr setzen, wäre ein Freifahrtschein für Amazon, die Marktmacht auszubauen. Schon heute kontrolliert Amazon weite Teile der Wertschöpfungskette im Büchergeschäft, von der Produktion neuer Bücher (eigene Verlage) über den Vertrieb bis hin zur Verwertung gebrauchter Bücher. Die Marktstellung im E-Book-Bereich ist dabei perspektivisch entscheidend. Kürzlich hat eine Studie herausgefunden, dass Amazon in den meisten Ländern, in denen das Unternehmen mit einem eigenen E-Book-Angebot präsent ist, bereits die Führung übergenommen hat.
Der Anteil von Amazon auf dem US-E-Book-Markt vor Einführung des Agency-Modells wurde vom US-Schriftstellerverband auf 90% taxiert (seither sei er auf 60% gesunken, hier mehr). Vermutlich wird Amazon bei einem Sieg vor Gericht an diese goldenen Zeiten nicht anknüpfen können, weil inzwischen weitere starke Player auf dem E-Book-Markt mitmischen, darunter Kobo aus Kanada. Dennoch würde eine Lex Amazon zu einer rasanten Marktbereinigung führen, von der besonders der Kindle-Erfinder profitieren würde.
Der größte Leidtragende dürfte dann Barnes & Noble sein. Der durch die Pleite des US-Marktführers Borders zur Nummer eins aufgeschriebene Buchhändler hat in den vergangenen zwei Jahren im Windschatten des Apple-Agency-Schulterschlusses mit massiven Investitionen ein ambitioniertes E-Book-Angebot aufgebaut, das – analog zum Ansatz von Apple – Hardware, Software und Content integriert. Doch während das E-Book-Programm bei Barnes & Noble floriert, bremst der stationäre Buchvertrieb das Unternehmen aus. Sollte Amazon, beschwingt durch die Abschaffung des Agency-Modells, außerdem in den stationären Vertrieb von Büchern und E-Readern einsteigen (was angeblich aktuell in Seattle sondiert wird), würde die Situation für Barnes & Noble bedrohlich.
Dann könnte rückblickend Scott Turow, Chef des US-Schriftstellerverbands, recht gehabt haben, der kürzlich schrieb: Um den Anschein von Wettbewerb zu erhalten, sei das US-Justizministerium gerade dabei, den realen Wettbewerb zu zerstören.
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