Sollen die europäischen Kulturhüter auf ihrer digitalen Mission mit dem Konzern kuscheln – oder auf eigene Faust die Digitalisierung von Büchern und anderen Kunstwerken stemmen? In dieser Frage, die seit Jahren die Bibliotheken polarisiert, hat sich eine Expertenkommission für eine verstärkte Zusammenarbeit mit Google & Co. ausgesprochen. Und mehr Geld für die Digitalisierung gefordert.
Hintergrund der Fehde-Frage: Die eine Fraktion sieht in Googles Digitalisierungsprojekt eine Konkurrenz für das EU-Projekt Europeana, die andere verweist auf die – besonders finanziellen – Vorteile einer Zusammenarbeit – u.a. die Österreichische Nationalbibliothek und Bayerische Staatsbibliothek arbeiten mit Google zusammen.
Am gestrigen Montag hat der „Ausschuss der Weisen“, ein Expertengremium aus Maurice Lévy (Chairman und CEO des französischen Werbe- und Kommunikationsunternehmens Publicis), Elisabeth Niggemann (Generaldirektorin der Deutschen Nationalbibliothek und Vorsitzende der Stiftung für die Europäische Digitale Bibliothek) und Jacques De Decker (Schriftsteller und Ständiger Sekretär der belgischen Königlichen Akademie der französischen Sprache und Literatur), mit einem Bericht (hier zum PDF-Download, hier die Zusammenfassung) Vorschläge u.a. zur Bücherdigitalisierung vorgelegt. Die wichtigsten Aspekte aus „Die neue Renaissance“:
- Finanzierung: Die Mitgliedstaaten müssten ihre Mittel für die Digitalisierung erheblich aufstocken. „Die für den Bau von 100 km Straße notwendigen Mittel würden ausreichen, um 16% aller in den Bibliotheken der EU vorhandenen Bücher oder alle Audio-Inhalte der Kultureinrichtungen der EU-Mitgliedstaaten zu digitalisieren.“
- Auf 100 Mrd. Euro taxiert das Gremium die Kosten für die komplette Digitalisierung der europäischen Bücher, Fotos, Tonbänder und Archive. Der zu digitalisierende Bücher-Bestand in der EU umfasse 77 Mio. Titel.
- Google: Öffentlich-private Partnerschaften für die Digitalisierung sind laut Weisen-Rat zu fördern. „Sie müssen transparent, nichtausschließlich und gegenüber allen Partnern gerecht sein und grenzübergreifenden Zugang zu digitalisierten Materialien für alle schaffen.“
- Zentrale Einschränkung: Konzerne wie Google sollen maximal sieben Jahre lang die digitalisierten Materialien bevorzugt kommerziell nutzen dürfen – so soll ein Informationsmonopol verhindert werden; parallel dazu sollen nicht-urheberrechtlich geschützte Werke auch kostenlos über Portale wie Europeana angeboten werden.
- Google Books, so die Weisen, sei zu schnell und erfolgreich, um aufgehalten werden zu können – weltweit hat Google nach eigenen Angaben rund 15 Mio. Bücher in über 400 Sprachen digitalisiert; der Konzern kooperiert mit 35.000 Verlagen und 40 Bibliotheken. Zum Vergleich: Beim unterfinanzierten Portal Europeana liegen weniger als fünf Mio. Texte.
- EU-Regeln für verwaiste Werke (Werke, deren Rechteinhaber nicht ermittelt werden können) sollen so bald wie möglich erlassen werden. Die British Library schätzt, dass 60% der Bücherbestände mit Urheberschutz verwaist sind. Die Kommission will noch in diesem Jahr konkrete Vorschläge vorlegen.
Die im Beitrag berichteten Punkte sind nicht sehr originell. Dagegen lohnt es sich, im Bericht über verwaiste Werke den Passus zur angestrebten Änderung der Berner Konvention zu lesen. Da steckt der eigentliche Sprengstoff drin. Das weiter zu verfolgen würde sich in meinen Augen aus journalistischer Sicht sehr lohnen.