Die Digitalisierung verändert nicht nur die Art zu lesen, sondern unsere Buchkultur und den Buchmarkt grundlegend. Deshalb sollte die Ausgestaltung nicht wenigen kommerziellen und zunehmend dominanten Anbietern wie Amazon überlassen werden. Das ist (stark verkürzt) die Ausgangsthese von Volker Oppmann (Foto, ehemals Textunes/Thalia) und seiner Mitstreiter, die mit ihrem Projekt Log.os seit vergangenem Frühjahr eine alternative Konstruktion („Betriebssystem für Literatur“) entwickeln und jetzt durchstarten wollen. Gegründet ist bisher ein Log.os Förderverein.
Die Log.os-Initiatoren rechnen mit Unterstützung sowohl in der datenpolitisch sensiblen Nutzerszene als auch bei den Branchenunternehmen, denen die geschäftsmodellbestimmende Marktmacht der Online-Giganten zunehmend Sorgen bereitet.
5-Jahres-Plan zum Produkt
Hintergrund des Projekts ist die Analyse der veränderten Wertschöpfung. Im Unterschied zum klassischen Buchmarkt besitze der Leser keine Inhalte/Bücher mehr, sondern nutze eine Software, die die Texte erschließt, verwaltet, einschließlich seiner Notizen, Kommentare und Kommunikation. Diese Bibliothekars-Funktionen einem Unternehmen wie Amazon zu überlassen, sei „gesellschaftlich nicht tragbar“, argumentiert Katja Splichal, Vorstandsmitglied im Förderverein (und hauptberuflich beim Ulmer Verlag verantwortlich für Lernmanagement-Systeme / das Foto zeigt Splichal in der Mitte, neben den Mitstreitern Oppmann und Marcel Diel).
Auf der Basis der ökonomischen und politischen Marktanalyse (mehr dazu im buchreport.blog hier und hier und hier und hier) soll ein ganz großes Rad gedreht werden und eine multiple und vielseitige Plattform geschaffen werden für sechs potenzielle und letztlich alle relevanten Nutzergruppen: Autoren, Leser, Verlage, Bibliotheken, Buchhandlungen und Bildungseinrichtungen.
Dabei sollen drei Kunststücke gelingen:
- das hochambitionierte wie komplexe Großprojekt in handhab- und vermittelbare Teilziele zerlegen
- einen nicht-kommerziellen Kern in Form einer Stiftung schaffen, der sicherstellt, dass das Projekt „nicht kaufbar“ ist
- Fundraising in siebenstelliger Höhe.
Bei der Kick-off-Konferenz am 1. Februar in Berlin mit ca. 130 Teilnehmern stand vor allem die Vermittlung der Grundidee und inhaltliche Weichenstellungen auf dem Programm. Jetzt geht es ganz konkret darum, Geld einzusammeln. Zielstufen:
- 50.000 Euro für die Bürgerstiftung über die Crowdfunding-Plattform sumofus.org
- 500.000 Euro für die Anschubfinanzierung bis zum Start der Open Beta-Phase im März 2015
- 5 Mio Euro für den weiteren Ausbau der Plattform „zu einem richtigen Produkt“ (Oppmann) mit einer 5-Jahres-Perspektive.
Zitat aus dem vorstehenden Text: „Auf der Basis der ökonomischen und politischen Marktanalyse (mehr dazu im buchreport.blog) soll ein ganz großes Rad gedreht werden und eine multiple und vielseitige Plattform geschaffen werden für sechs potenzielle und letztlich alle relevanten Nutzergruppen: Autoren, Leser, Verlage, Bibliotheken, Buchhandlungen und Bildungseinrichtungen.“
Da kann ich nur sagen: Das wollen alle, aber warum solche Worthülsen wie „multible“ (muss es im Internet ja wohl) und „vielseitige“ (eigentlich eine Binsenweisheit) verwenden.
Zitat: „Hintergrund des Projekts ist die Analyse der veränderten Wertschöpfung.“ Gut, das braucht Geld, aber wem bringt noch eine Analyse, und noch eine Analyse zur Analyse etwas?
Zitat aus vorstehendem Text: „Im Unterschied zum klassischen Buchmarkt besitze der Leser keine Inhalte/Bücher mehr, sondern nutze eine Software, die die Texte erschließt, verwaltet, einschließlich seiner Notizen, Kommentare und Kommunikation. Diese Bibliothekars-Funktionen einem Unternehmen wie Amazon zu überlassen, sei „gesellschaftlich nicht tragbar.“
Das ist so eine ultimative Behauptung, die durch nichts belegt ist. Genau so kann man mit einer Stange im Nebel herumstochern und hoffen, dass irgendeiner „Aua“ schreit.
Mein Fazit: Ich bin über dieses „verkopfte“ Projekt beeindruckt, aber genau so ratlos wie zuvor, und bei Betrachtung der Overhead-Projektion, drängt sich mir spontan der Eindruck einer Geldverbrennungsmaschine nicht auf, weil ich ja nicht den Durchblick habe. Vielleicht hätte etwas mehr klare und nachvollziehbare „Butter bei den Fischen“ geholfen, meine laienhafte Ratlosigkeit zu lindern, dies auch, weil ja offensichtlich Investoren gesucht werden.
Aber bis 2015 ist ja noch lange hin, und vielleicht wirds ja doch das Perpetuum mobile das alle von Amazon geschlagene Wunden heilt, und den wie auf der Titanic nach Rettungsbooten hechelnden (Verlags)-Passagieren eine Menge Geld bringt, und die Branche rettet.
Sehr geehrte Frau von Tharach,
es ist sicherlich schwierig, in einem Artikel all das zusammenzufassen, was den ganzen Tag über diskutiert wurde. Dies war auch einer der Gründe, weshalb wir die Konferenz überhaupt erst veranstaltet haben, da sich das Konzept eben nicht in knapper Form vermitteln lässt.
Wir haben am Samstag daher ausführlich dargelegt, worauf unsere Ansätze fußen und wie wir uns positionieren wollen – die Dokumentation des Tages ist noch in Arbeit und wird in den kommenden Tagen (allgemeiner Teil) und Wochen (Ergebnisse der Workshops) veröffentlicht.
Unsere Grundthese: Wir werden es in Zukunft ausschließlich mit integrierten Systemen zu tun haben, d.h. dass wir als Kunden eben nicht mehr an der einen Stelle einen Inhalt kaufen (buchhandlungXYZ.de), diesen an anderer Stelle lesen (eReader oder Lese-App ABC), um uns dann an dritter Stelle über diese Inhalte auszutauschen (Bsp. goodreads oder lovelybooks), sondern dass wir uns als Nutzer eben in jenen „voll integrierten“ (Öko)Systemen aufhalten die uns alles aus einer Hand bieten (Bsp. Amazon & Co.).
Außerdem gibt es im digitalen Bereich keinen Unterschied zwischen Bibliothek und Shop mehr, da ich als Kunde zum Einen ja kein eBook, sondern lediglich ein Nutzungsrecht erwerbe (sodass der einzige Unterschied tatsächlich im Umfang der eingeräumten Nutzungsrechte liegt) und dass unsere (digitalen) Inhalte ja nicht länger im heimischen Bücherregal stehen, sondern zentral von einem Server verwaltet werden – wo neben „meinen“ eBooks eben auch all meine Kommentare, Anmerkungen und Nutzerdaten gesammelt werden.
Durch diese Funktion, die solcherlei Anbieter damit erfüllen, usurpieren sie unseres Erachtens den Auftrag öffentlicher Bibliotheken und wir machen uns als Gesellschaft in der Versorgung mit digitalen Inhalten komplett von einigen wenigen Großkonzernen abhängig – der traditionelle Buchhandel sowie das Bibliothekswesen spielen hier nämlich keine Rolle mehr.
Das ist der Zustand, den wir gesellschaftlich nicht tragbar finden und wofür wir eine mit log.os eine Lösung suchen.
Unser Ziel ist der Aufbau einer digitalen Universalbibliothek (im Sinne eines Online-Speichers für digitale Buchinhalte UND Nutzerdaten), die gleichzeitig eine Marktplatz für Inhalte ist, da Anbieter von Inhalten ja von etwas leben müssen.
Über eine gemeinsame technische Infrastruktur wollen wir so eine direkte Interaktion zwischen Privatpersonen (Autoren und Lesern), Branchenteilnehmern (Buchhandlungen und Verlagen) sowie öffentlichen Institutionen (Schulen, Universitäten und Bibliotheken) ermöglichen.
Um sicherzustellen, dass die Plattform nicht zu einem beliebigen Zeitpunkt durch ein wie auch immer geartetes Wirtschaftsunternehmen übernommen werden kann, soll das ganze Konstrukt im Hintergrund durch eine Stiftung getragen werden.
Dass dieses Modell für Investoren nicht attraktiv ist bzw. den gesamten Kapitalmarkt ausschließt, ist uns klar und beabsichtigt, weshalb wir andere Möglichkeiten der Finanzierung finden müssen. Spenden sind aber nur eine Möglichkeit, das nötige Kapital einzuwerben. Einen Großteil müssen wir über Fördergelder und andere Mittel akquirieren.
Ich hoffe, dass unsere Überlegungen damit ein wenig klarer und nachvollziehbarer werden und sende
herzliche Grüße,
Ihr
Volker Oppmann
Ich wünsche den Machern wirklich viel Erfolg. Es ist eine wichtige Initiative, die einen ansonsten fast unbeachteten Aspekt der Digitalisierung sehr deutlich macht. Wir sind im Begriff, die Kontrolle über unsere Kultur an amerikanische „Ökosystem“ zu verlieren. Die Verlagsbranchen steht wie das „Oh, mein Quartalsergebnis“-Kaninchen vor der „Hier spielt die Umsatz-Musik“-Schlange und sieht das Problem nicht.
Ein sehr schönes Bild, lieber Ralph – dürfen wir das verwenden ?!
Der Artikel läßt mich jetzt etwas ratlos zurück auch nach der Lektüre der vier verlinkten Beiträge.
Man macht also eine Stiftung, welche Geld einsammelt um eine Lesesoftware zu entwickeln, welche Epups lesen und eventuell sogar verwalten kann?
Das ist sowas von neu und inovativ das mir die Worte wegbleiben. Das „offene“ Format Epub gibts schon eine Weile, Freeware Lese- und Verwaltungssoftware auch. Ohne DRM ist Epub auch jetzt schon sehr beliebt und deshalb bei Autoren und Verlagen gefürchtet.
Also meine Fragen, was soll das Ganze bringen (außer eine Reihe von neuen Posten)?
Warum soll der Kunde/Leser zum verwalten nicht Calibre nehmen, sondern diese neue Lösung?
Was habe ich als Leser davon, das vermutlich das Endergebnis eine Software sein wird, welche dafür sorgt das Inhalte nur über diese angezeigt werden können, also eine Art von Nutzungseinschränkung, welche sowieso nach kurzer Zeit ausgehebelt wird?
Wie sieht es mit nicht verlagsgebundenen Autoren aus, sind die außen vor oder können die ein solches System mitnutzen?
Lieber Leser,
es tut mir sehr leid, wenn wir es noch nicht geschafft haben, unser Anliegen besser zu transportieren. Was Sie beschreiben – also den status quo mit ePub & Co. – ist ja lediglich die Basis, auf der alles aufsetzt.
Unser Hauptaugenmerk liegt darauf, was mit den Daten passiert, die der Nutzer selbst erzeugt, wenn er beispielsweise eBooks kommentiert und diese Kommentare mit anderen Nutzern teilt, sich also Inhalte und Nutzer miteinander vernetzen.
Diese Daten wandern nicht in das ePub, das man, wie Sie richtig bemerken, auch mit Calibre selbst verwalten kann. Diese Daten werden auf den Servern jener Anbieter gespeichert, welche diese so genannten „Social Reading“-Angebote zur Verfügung stellen und werten damit die in der Cloud = auf einem Server liegende Bibliothek natürlich auf.
Wir sind der Überzeugung, dass der sich dort anlagernde Wissensschatz, d.h. unser digitales Kulturerbe ebenso wenig wie unsere (privaten) Nutzerdaten nicht einzelnen Unternehmen gehören sollten, sondern den einzelnen Nutzern und mithin der Gesellschaft als solchen.
Damit wir dieses Ziel erreichen können und nicht Gefahr laufen, dass die ganze Organisation nicht eines schönen Tages doch von einem Wirtschaftsgiganten geschluckt werden kann, benötigen wir eine Stiftung im Hintergrund, welche die dauerhafte Unabhängigkeit der Plattform als 100%ige Eigentümerin sichert.
Eine Stiftung ist als Rechtsform insofern besondern, als dass sie ausschließlich sich selbst gehört und in ihrem Handeln ihrer Satzung unterworfen ist, die ihrerseits testamentarischen Charakter hat, d.h. einmal erklärt, kann sie nicht wieder geändert werden, was es uns möglich macht, die Gesamtorganisation auch für die Zukunft einem festen Wertechanon zu unterwerfen.
Doch zurück zur Plattform: Das Herz der Plattform soll eine Datenbank werden, welche die Nutzerbibliotheken sowie die darin liegenden Nutzerdaten verwaltet (und sichert) – damit die Nutzer ihre eBooks nutzen können, würden wir selbstverständlich auch eine eReading-Software anbieten.
Aber auch hier ist unser Ziel Offenheit und Wahlfreiheit, sprich: Der Nutzer sollte nicht gezwungen sein, ausschließlich unsere Lesesoftware zu nutzen, sondern die freie Wahl haben zwischen verschiedenen Anbietern, deren Lesesoftware über eine Schnittstelle mit der „log.os-Bibliothek“ kommuniziert.
Und nicht verlagsgebundene Autoren sollen die Plattform natürlich ebenso nutzen können wie alle anderen auch.
Ich hoffe, dass die Idee hinter log.os damit ein weniger transparenter geworden ist und sende
herzliche Grüße,
Ihr
Volker Oppmann
Ja etwas Licht ist ins das Dunkel gekommen :).
Ich verstehe nur nicht wieso die Anmerkungen der Nutzer unbedingt gespeichert werden sollen (find ich gut, voll schön, hat mir gefallen usw). Umfangreichere Kommentierungen würde ich ungern einer allgemeinen Plattform mit Rückschlußmöglichkeit auf reale Personen anvertrauen (egal welcher Rechtsform).
Gerade das Leseverhalten verrät doch einiges darüber wie eine Person tickt.
Die aktuellen Disskusionen zeigen das es eher nicht angebracht ist alles nach außen zu tragen (oder dies nur unter Pseudonym zu tun).
Oder wäre eine anonyme Nutzung bei Ihrer Plattform möglich? Gekoppelt mit ebenso anonymen bezahlen der Ebooks, könnte dies wirklich eine Lücke füllen und neue Zielgruppen erschließen.
Gerade ein, wir wollen nicht alle über unsere Kunden wissen, würde Ihr Projekt sympathisch und (zumindest für mich) attraktiv machen.
Wie stehen die „Projektmacher“ zum DRM?
Gerade der ist ja aktuell (ADE) wieder ein Quell von Ängsten und Ärgernis sowie eines der potenziell größten Probleme (neben einem EMP), bei der langfristigen Sicherung der Verfügbarkeit von elektronischen Werken.
Lieber Leser / liebe Eleve ?!
gerade weil das Leseverhalten so viel über die eigene Person verrät, ist es uns wichtig, eine vertrauenswürdige Plattform zu schaffen, der man sich und seine Daten anvertrauen kann.
Insofern befinden wir uns auch in einem Zwiespalt zwischen Fragen der Privatsphäre auf der einen und den Möglichkeiten des Social Reading bzw. kollaborativen Arbeitens auf der anderen Seite (z.B. wenn man an den ganzen professionellen (Verlage) sowie wissenschaftlichen Bereich (Hochschulen) denkt – die Technologie dahinter ist ja dieselbe, ob ich sie nun fürs Privatvergnügen und zum Austausch von Nichtigkeiten benutze, oder um mit einer Gruppe von Menschen an einem / über einen Text zu arbeiten).
Wir wollen unsere Nutzern daher die Wahl lassen, ob Sie ihre Anmerkungen / Daten öffentlich oder nur einer definierten Gruppe von Nutzern zugänglich machen wollen – oder ob sie die Plattform lieber vollkommen anonymisiert nutzen.
Was die Frage DRM anbelangt: Wir verstehen grundsätzlich etwas anderes unter DRM als die Kollegen von Adobe, die das Thema ja meist auf „Kopierschutz“ begrenzen.
Ganz generell lässt sich sagen, dass keine Plattform ohne ein DRM im eigentlichen Sinne auskommt, das heißt einem „Digital Rights Management“ im Wortsinne = einer (Zugriffs-) Rechteverwaltung, da man ansonsten ja überhaupt nicht nachvollziehen könnte, welche Nutzer Zugriff auf welche Inhalte haben bzw. was in ihren virtuellen Bücherregalen liegt bzw. an welchen Texten sie (z.B. als Selfpublisher) ihrerseits Rechte halten.
In Sachen Kopierschutz plädieren wir für Wasserzeichen, da jede Form des harten Kopierschutzes allenfalls ehrliche Kunden einschränkt und bestraft.
Letzten Endes können wir hier aber nur beratend wirken, da sich jede Plattform, auch wir, dem Willen der Rechtegeber, d.h. den Autoren und Verlagen beugen muss.
D.h. wenn ein Autor selbst oder über seinen Verlag auf harten Kopierschutz besteht, müssen wir dies leider abbilden können. Die meisten Verlage würden entgegen dem landläufigen Vorurteil übrigens gerne auf harten Kopierschutz verzichten, sind jedoch ihrerseits den Verträgen mit ihren Autoren unterworfen.
Und wenn Sie mir eine persönliche Anmerkung gestatten: ADE halte ich für die Pest.
Herzliche Grüße,
Ihr
Volker Oppmann
Vielen Dank für eure Berichterstattung und die andauernde Unterstützung von Log.OS – die uns ebenso zuversichtlich stimmen wie die Reaktionen bei der Konferenz! Ein großes Rad, ganz sicher – aber siehe, es dreht sich doch!