Das Buchgeschäft bewegt sich wieder einmal auf die Stromschnellen in der ewig fließenden Reimweisheit „Handel ist Wandel“ zu. Nach dem Strukturwandel der Nuller-Jahre des 21. Jahrhunderts mit der starken Filialisierung zu Lasten des Standortbuchhandels und dem Ausbau von Großflächen steht jetzt die Zukunft der Kettenkonzepte und ihr Wechselspiel mit dem Online-Buchhandel im Mittelpunkt.
Auf die Frage, wohin sich der Buchhandel entwickelt, gibt es unterschiedliche Antworten, bei denen man durchaus einen gemeinsamen Grundton heraushören kann:
- Die Marktführer Weltbild/DBH und Thalia singen das Lied vom Multichannel-Marketing und -Vertrieb, bei dem sich vor allem Versender Weltbild leichttut, den vorhandenen Verbund von Online, Katalogwerbung und den schmalspurigen Weltbild-Shops als Siegerstrategie auszugeben, mit der man auch Nur-Onlinern wie Amazon tendenziell Paroli bieten kann.
- Die reinen Internet-Buchhändler machen bereits mit großen Schritten Boden gut: Nach den jüngsten Zahlen der Versandhändler geht die Krise an den Onlinern vorbei. Im buchreport-Interview zeigt sich buch.de-Chef Albert Hirsch optimistisch, dass ein Marktanteil von 25% für die Web-Buchhändler im Rahmen des Erreichbaren liegt. Eine zusätzliche Konkurrenz für den stationären Handel erwächst durch das mobile Internet, das Kaufen per Handy und Smartphone.
- Bleibt die Frage, was Multichannel für die Großbuchhandlungen bedeutet, deren Top-Lagen, edle Ausstattung und hoher Anspruch mit entsprechender Warenbreite zu viel Geld kosten, um Umsatz an den eigenen Online-Shop abzugeben und sich mit einer Mischung aus Zusatzsortiment und Personaleinsparung über Wasser zu halten. Die DBH-Chefs Carel Halff und Maximilian Hugendubel senden weiter Rückbau-Signale aus und haben zuletzt öffentlich den Kopf geschüttelt über verschärfte Wettbewerbsschlachten, wie sie sich etwa die Mayersche und Angreifer Thalia seit Frühjahr in Dortmund liefern.
- Mayersche und Thalia wiederum versuchen das Beste aus der wachsenden Erkenntnis zu machen, dass die Rationalisierung durch Standardisierung im Filialbetrieb seine Grenzen hat, wenn letztlich die lokalen Besonderheiten jedes Standorts entscheidend werden. Die Balance zwischen Zentralbewirtschaftung einerseits und eines Marketings mit lokaler Note andererseits muss mit schlankem Personalstamm erst einmal gelingen.
- Dieses Dilemma sieht auch der amerikanische Literaturagent und Provokateur Andrew Wylie, wenn er die Zukunft des Buchhandels auf zwei Säulen sieht: Die Online-Buchhandlungen à la Amazon für die ganz große Auswahl und die lokal verankerten Standortbuchhändler mit dem Know-how für die lokalen Bedürfnisse. Das Geschäftsmodell der großen Ketten, sagt Wylie, werde dagegen nicht aufgehen, weil die großen Flächen in den 1a-Lagen zu teuer sind für die Mischkalkulation aus aktuellen Schnelldrehern und der Backlist-Büchertapete, die für den Anspruch eines großen Buchhauses wichtig ist, aber unrentabel (s. Porträt im buchreport.magazin 8/2010).
All dies sind Varianten der Wahrheit, dass sich die Branche nach der allzu munteren Flächenvermehrung weiter in einem massiven Umbruch befindet. Wylies Abgesang auf die großen Ketten darf man als Provokation mit einem wahren Kern lesen: So wie sie sind, werden Sie nicht bleiben können.
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