SPIEGEL ONLINE nimmt sich jede Woche den wichtigsten Neueinsteiger, Aufsteiger oder den höchstplatzierten Titel der SPIEGEL-Bestsellerliste vor – im Literatur-Pingpong zwischen Maren Keller und Sebastian Hammelehle.
Diesmal: „Ein ganz neues Leben“, der erste Hardcover-Erfolg von Jojo Moyes, Nachfolger des Jahresbestsellers 2013 und Toptitel von Wunderlich, steigt auf Platz 1 ein. Diskutiert wird die entscheidende Frage: Und das soll ich lesen?
Hammelehle: Wir haben eine neue Nummer eins. Jojo Moyes löst mit dem Roman „Ein ganz neues Leben“ David Lagercrantz‚ „Verschwörung“ ab. Auf einen Krimi folgt ein Liebesroman. Aber was für einer?
Keller: Jojo Moyes hat mit „Ein ganzes halbes Jahr“ einen der erfolgreichsten Liebesromane der vergangenen Zeit geschrieben. Der hat ein derart tragisches Ende, dass zartbesaitete Leser die letzten Kapitel besser nicht in der S-Bahn oder im Café lesen sollten. „Ein ganz neues Leben“ ist nun so etwas wie die Geschichte nach dem Abspann.
Hammelehle: Also die Fortsetzung. Mit Fortsetzungen ist es ja immer so eine Sache. Besonders bei diesem Buch. Ich finde, die Handlung ist ziemlich haarsträubend: Die Heldin fällt aus dem fünften Stock, überlebt aber. Natürlich verliebt sie sich in den Rettungssanitäter. Und dann wird auf diesen Sanitäter auch noch geschossen. Ein Kind taucht auf, von dem die Heldin nichts wusste. Das sie aber mit dem Mann verbindet, mit dem sie im Vorgängerbuch „Ein ganzes halbes Jahr“ eine große Liebesgeschichte hatte. Der Mann war übrigens am ganzen Körper gelähmt.
Keller: Naja, Moment, Moment. In den Sanitäter kann sie sich nur verlieben, weil sie ihn zufällig in einer Trauerselbsthilfegruppe wiedertrifft. Denn das wirkliche Thema dieses Romans ist doch die Frage, wie man nach dem Tod eines geliebten Menschen weiterleben soll. Louise hat ein schlechtes Gewissen, weil sie nicht das Leben lebt, das sich ihr verstorbener Geliebter für sie gewünscht hätte. Es hat etwas durchaus Beruhigendes, wie hier diese Stehaufmännchen-Mentalität unterlaufen wird, nach der man aus jeder schlechten Situation immer noch das Beste machen soll. Manchmal muss man aber eben auch einfach abends Wein trinken und aufs Dach klettern.
Hammelehle: Unbedingt. Aber warum hat die Frau ein schlechtes Gewissen, weil sie nicht das tut, was der Mann von ihr erwartet hat? Du hast im SPIEGEL gerade einen Text veröffentlicht, in dem du dich mit der Frage auseinandersetzt, warum Männer Fleischsalat essen. Ohne allzu sehr in Geschlechterklischees verfallen zu wollen, würde ich behaupten: Männer essen Fleischsalat, Frauen haben ein schlechtes Gewissen. Oder sind die Männer in diesem Buch keine Fleischsalatesser?
Keller: Ich mag die Bücher von Jojo Moyes, weil ich sie für das Genre als angenehm wenig klischeehaft empfinde. Noch mehr als eine Liebesgeschichte ist dies eine Selbstfindungsgeschichte. Ein Kleinstadtmädchen sucht das Leben, das zu ihr passt.
Hammelehle: Welches Leben wäre das? Und welche Rolle spielt dabei der Sanitäter?
Keller: Das Leben einer Frau, die selbst in Flugzeuge steigt, statt nur die anderen Reisenden im Flughafen-Pub zu bedienen. Und den Sanitäter braucht sie dazu, sich darüber klar zu werden, ob sie bereit für eine neue Beziehung ist. Das hat also nichts mit erster Hilfe für gebrochene Herzen zu tun.
Hammelehle: Aber es hat, wenn ich das so pauschal sagen darf, doch etwas mit der Gattung Liebesroman zu tun – und den lesen eher Frauen als Männer. Und um in aller Vehemenz in Geschlechterklischees zu verfallen: Die typischen Fleischsalatesser unter den Männern kennen das Dilemma, ob sie denn bereit sind für eine neue Beziehung, gar nicht. Es läuft also alles auf eine Frage hinaus: Und das soll ich lesen, auch wenn ich ein Fleischsalatmann bin?
Keller: Ich würde empfehlen, es zunächst einmal mit „Ein ganzes halbes Jahr“ zu probieren. Dabei werden männliche und weibliche Leser ohnehin sehr deutlich erkennen, ob sie bereit für die Fortsetzung sind.
Maren Keller ist Kulturredakteurin des SPIEGEL. Sie musste zum Glück erst einmal in ihrem Leben einen Rettungswagen rufen. Sie war sehr beeindruckt von der Arbeit der Notfallsanitäter. Daraus ist keine Liebesgeschichte geworden.
Auch Sebastian Hammelehle ist SPIEGEL-Kulturredakteur. Als Süddeutscher isst er lieber Wurstsalat als Fleischsalat.
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