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Bernd Sommerfeld: Chancen der Digitalisierung

Bernd Sommerfeld: Chancen der Digitalisierung

„Digital ist besser“ lautet das neue Buch des Musikproduzenten Tim Renner. Seine These: Das Abendland wird durch das Internet nicht untergehen – im Gegenteil: Die Digitalisierung biete mehr Chancen als Risiken. Was die Buchbranche im Zuge der Digitalisierung noch lernen muss, erläutert der Autor im Gespräch mit Bernd Sommerfeld.

Warum ist digital besser?

Digital ist besser, weil digitale Kulturproduktion und Konsumption demokratischer ist. Ein jeder kann mitgestalten und auf das Angebotene reagieren. Partizipation ist im Netz keine Frage von Geld oder Kontakten, sondern lediglich von Engagement und Einstellung. Zudem ist eine digitale Verbreitung von Kulturgütern einer analogen überlegen. Das gilt für ihre Ökobilanz genauso wie für die Verfügbarkeit und Handhabung. Stellen Sie sich vor, Sie würden statt Ihrem iPod jetzt ihre ganze Plattensammlung samt Stereoanlage auf einer Handkarre hinter sich her ziehen…

Wir lesen digital, gehen zum Einkauf ins Internet und kommunizieren via Facebook & Co. Wozu brauchen wir überhaupt noch den Einzelhandel?

Wir brauchen keine Geschäfte mehr, die reine Abverkaufsstätten ohne Charakter und Beratung sind. Wir brauchen aber dringend Orte, die uns Interaktion und Fachwissen von Mensch zu Mensch ermöglichen und den unterschiedlichen Bedürfnis- und Interessengruppen eine Heimat sind. Je mehr der Nutzer in die abstrakten Welten des Netzes abwandert, desto stärker wird sein Bedürfnis, Realität und Gemeinschaft zu erleben. Wer Musik herunterlädt, geht um Beispiel erwiesenermaßen öfter ins Konzert.

Tim Renner

Tim Renner

Zerstören digitale Angebote wie Google Edition, Kindle & Co nicht traditionelle Buchhandels-Strukturen und schaffen Machtmonopole?

Im Gegenteil. Der Buchhandel kann prima überleben, wenn er sich bewusst wird, wofür er steht. Auch hier greift das Beispiel aus der Musikwirtschaft: Die Plattenläden, die sich spezialisiert haben, sei es Opus 61 in Leipzig oder Michelle Records in Hamburg, sind bislang gut mit den digitalen Zeiten zurecht gekommen. Dafür müssen Verleger Vielfalt ermöglichen. Neue Angebote und Lesegeräte sollten nicht durch Kopierschutz und prohibitive Preise blockiert, sondern gefördert werden.

Wie kann der Buchhandel auf veränderte Nutzungsgewohnheiten reagieren?

Die Branche hat die Chance, das Lesen zu einem spontanen Erlebnis zu machen. Ein gutes E-Book-Angebot ermöglicht den Zugriff, wann und wie der Nutzer will. Vor allem im Sachbuchbereich scheint das Lesen von Abschnitten sinnvoll. Aber ich kenne auch den ein oder anderen „Agendasetting“-Roman, bei dem mir das erste und das letzte Kapitel gereicht hat. Je mehr es gelingt, die Beschäftigung mit Literatur zum positiven Erlebnis zu machen, umso größer wird der Markt dahinter wachsen können.

Der Science-Fiction-Schriftsteller William Gibson schrieb, dass die Zukunft bereits Realität geworden ist, sie sei nur nicht gleichmäßig verteilt…

Das stimmt. Alles ist möglich, aber nicht jeder profitiert davon. Das gilt sowohl in der globalen Verteilung als auch bei der Nutzung geistigen Eigentums. Gelingt es einer Branche nicht schnell ein ansprechendes legales Angebot aufzubauen, entsteht ein illegales, dem man kaum mehr Herr werden kann. Die Konsequenz ist dann ein Verteilungsproblem zwischen Künstlern und Nutzern.

Amazon kennt unsere Vorlieben fast besser, als viele Freunde. Nun soll diese Datenbasis mit Facebook um eine soziale Komponente erweitert werden. Wo bleibt da noch Raum für die Privatsphäre?

Haben Sie wirklich Angst vor dem Buchhändler Ihres Vertrauens? Der weiß auch genau, was Sie kaufen und hat im Beratungsgespräch wahrscheinlich Dinge erfahren, die Sie im Netz nie abbilden würden. Natürlich vernetzen sich diese Informationen im Internet, dennoch entstehen keine scharfen Bilder. Während der Buchhändler weiß, dass ich „Hanni und Nanni“ für meine Tochter gekauft habe, empfiehlt mir Amazon nach wie vor den schrecklichen Komödianten Tim Toupet nur weil ich der anderen Tochter als Erinnerung an den Skiurlaub „Ich habe eine Zwiebel auf dem Kopf, ich bin ein Döner“ heruntergeladen habe…

Auch das Fernsehprogramm ist digital. Werden wir bald beim Fernsehkonsum beobachtet?

Sofern sich die Vorratsdatenspeicherung nicht doch noch durchsetzt, müssen wir das nicht in Form personalisierter Daten befürchten. Ich hoffe, aber dass dies in anonymisierter Form bald geschieht. Zahlen der Marktforscher GfK und AgMA, die den Erfolg von Rundfunkprogrammen ausweisen, entstehen dann nicht mehr auf Basis von Telefonbefragungen oder anhand der Daten von Familien, die sich für 50 Euro im Monat ausforschen lassen. Welcher anspruchsvolle Konsument ist schon bereit, eine halbe Stunde für eine Telefonbefragung zu opfern oder gar GfK-Haushalt zu werden? Unsere heutigen Nutzerzahlen sind doch – ob der Art wie sie erhoben werden – Abbild der Medianutzung von einsamen Seelen und Wichtigtuern. Es steht zu hoffen, dass wir über eine auf die reale Nutzung bezogene Ausweisung zu besseren Zahlen kommen.

Früher war Kompetenz gleichbedeutend mit Wissen. Heute definiert sich Kompetenz immer mehr über die Fähigkeit, die vielen Informationen bewerten zu können. Droht uns damit eine Gesellschaft der Halbwissenden? Jüngster Fall Guttenberg…

Das Problem Guttenberg ist doch nicht durch das Internet verursacht, sondern durch die Universität Bayreuth. Wie kann man einer Arbeit, die als Montage gar keine geschlossene Linie aufzeigen kann, ein „summa cum laude“ verpassen? Das Internet hat doch erst ermöglicht, dass dieser Betrug aufgedeckt werden konnte. Halbwissen entsteht nicht dadurch, dass man auf das gesamte Wissen Zugriff hat, sondern dadurch, dass man sich mit den einzelnen Themen nicht gründlich auseinandersetzt – eine Fähigkeit, die eigentlich in der Schule vermittelt werden sollte. Wie viele Lehrer können dem wirklich gerecht werden? In der Tatsache, dass viele Schüler ihren Lehrern bei der Nutzung der zeitgemäßen Kommunikationsmittel überlegen sind, sehe ich die wirkliche Gefahr.


Bernd Sommerfeld ist Ur-Blogger der Branche und Buchhändler bei Lehmanns in Berlin.

Kommentare

2 Kommentare zu "Bernd Sommerfeld: Chancen der Digitalisierung"

  1. Klasse Interview!
    Alle, die tatsächlich etwas beizutragen haben, sind nicht nur in der analogen, sondern in erhöhtem Maß auch in der digitalen Wertschöpfungkette Aktivposten.
    Die Macht von Algorithmen alá Google und Amazon führen in unseren zarten Anfängen der Digitalisierung zwar zu beeindruckenden Ergebnissen. Bereits mittelfristig sind es aber die Kompetenzen von Individuen, die die entscheidenden Mehrwerte bieten werden:
    Musik wird immer noch von Menschen gemacht, Bücher von Autoren geschrieben und von Lesern und Buchhändlern im persönlichen Gespräch empfohlen. Die Digitalisierung hilft einfach nur dabei, Kreativität, Komplexität und Schönheit effektiver zu kommunizieren.

  2. lesefröschchen | 22. März 2011 um 11:09 | Antworten

    Partizipation im Netz ist natürlich eine Geldsache… und wenn es auch „nur“ die 2 EUR fürs Internetcafe sind.

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