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Bilanz: Erlanger Poetenfest

Mit einem Autorenporträt des belgischen Schriftstellers, Bildenden Künstlers und Regisseurs Jean-Philippe Toussaint ging am Abend des 26. August das 32. Erlanger Poetenfest zu Ende. Im Gespräch mit der Literaturkritikerin Verena Auffermann und seinem Übersetzer und Verleger Joachim Unseld stellte Toussaint sein in den nächsten Tagen in deutscher Sprache erscheinendes Buch „Die Dringlichkeit und die Geduld“ vor, das anlässlich einer von ihm kuratierten Ausstellung im Pariser Louvre entstanden ist, und gab darüber hinaus Einblicke in seine Beschäftigung mit der Psychologie des Lesens und des Schreibens. Weitere Autorenporträts des 32. Erlanger Poetenfests waren der schottischen Schriftstellerin A. L. Kennedy und Uwe Timm gewidmet. A. L. Kennedy stellte in Erlangen ihren soeben erschienenen Roman „Das blaue Buch“ vor und demonstrierte ihrer Gesprächspartnerin Sigrid Löffler und den 600 Gästen im ausverkauften Erlanger Markgrafentheater auch ihre ausgeprägten performativen Fähigkeiten. Ebenfalls seit Tagen ausverkauft war das Autorenporträt mit Uwe Timm, das von der Journalistin Maike Albath moderiert wurde. Beobachtungen der deutschen Nachkriegsgeschichte und die 68er-Generation standen im Mittelpunkt eines ebenso heiteren wie nachdenklichen Abends.
Über 80 Schriftstellerinnen und Schriftsteller, Publizisten und Literaturkritiker lasen vier Tage lang aktuelle Neuerscheinungen und diskutierten gesellschaftliche und politische Fragestellungen. Die langen Lese-Nachmittage, unter anderem mit Stephan Thome, Marjana Gaponenko, Marcel Beyer, Clemens J. Setz, Dea Loher, Nora Bossong, Anne Weber, Gerhard Seyfried und Jenny Erpenbeck im Erlanger Schlossgarten und – am Sonntag Nachmittag wegen des teilweise kühlen und regnerischen Wetters – in Innenräumen, standen auch in diesem Jahr im Mittelpunkt des Publikumsinteresses. Mit über 12.000 Besuchern war die 32. Ausgabe des Erlanger Poetenfests eine der erfolgreichsten. Einen wesentlichen Anteil daran hatten auch die zahlreichen mit großem Interesse aufgenommenen Gesprächsrunden und Podiumsdiskussionen zu Fragen wie „Wer hat die Macht im Staat?“, „Schafft sich Europa ab?“ oder zur Urheberrechtsdebatte.
Als besonders aktuell erwies sich ein Poetenfest-Schwerpunkt zum Thema Russland: Während der Osteuropa-Forscher Jörg Baberowski im Gespräch über sein mit dem Preis der Leipziger Buchmesse ausgezeichnetes nicht unumstrittenes Buch „Verbrannte Erde. Stalins Herrschaft der Gewalt“ den Bogen zum heutigen Russland spannte, hatte die Zeichnerin Viktoria Lomasko, deren Graphic Docu „Verbotene Kunst“ im Herbst in deutscher Sprache erscheinen wird, für ihre Ausstellung im Rahmen des Poetenfests nur wenige Tage alte Zeichnungen aus dem Prozess gegen die Moskauer Punk-Band „Pussy Riot“ mitgebracht. In diesem Zusammenhang regte sie einen Boykott der Olympischen Winterspiele 2014 in Sotschi an. Die russische Bestseller-Autorin Ljudmila Ulitzkaja schlug im Gespräch mit Wilfried F. Schoeller ebenfalls politische Töne an. Anlass ihres Auftritts in Erlangen war die Premiere ihres 600-seitigen Romans „Das grüne Zelt“, in dem sie ein Vierteljahrhundert von Stalins Tod bis zur Breschnew-Ära aufgearbeitet und gleichzeitig einen brandaktuellen gesellschaftskritischen Kommentar zur Situation im heutigen Putin-Russland verfasst hat. Auch die diesjährige Gewinnerin des Ingeborg Bachmann-Preises Olga Martynova bremste westliche Erwartungshaltungen hinsichtlich der komplizierten Entwicklungen in Russland und betonte, dass Russland seinen eigenen Rhythmus auf dem Weg zur Demokratie finden muss.
Mit Lesungen und Gesprächen, einem umfangreichen Kinder- und Jugendliteratur-Programm, der Neunten Erlanger Übersetzerwerkstatt, Konzerten, Ausstellungen, Bayern 2-Nacht der Poesie, Poetry-Slam, Filmprogramm und einem Erinnerungsabend an Christa Wolf zählte das Erlanger Poetenfest in diesem Jahr über 70 Veranstaltungen. Das 33. Erlanger Poetenfest wird vom 29. August bis zum 1. September 2013 stattfinden.

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