Welche Auswirkungen hat die Krise des stationären Buchhandels für das Sortiment und die US-Verlage? Mike Shatzkin, Gründer und CEO des New Yorker Beratungsunternehmens The Idea Logical Company mit Schwerpunkt Digitalisierung der Buchbranche, geht davon aus, dass in den kommenden fünf Jahren mehr als die Hälfte der Flächen verschwinden werden. Und setzt alle Hoffnungen auf das E-Book.
Die Analyse von Shatzkin ist die leicht gekürzte Fassung eines Blog-Eintrags, aus dem Amerikanischen von Daniel Lenz.
Manchmal, und offenbar ziemlich häufig im Moment, kommt die Zukunft schneller als erwartet. Leser dieses Blogs und Zuhörer meiner Vorträge aus der Zeit, als es noch keinen Blog gab (dieser startete 2001!) wissen, dass ich schon lange erwartet habe, dass die E-Book-Lektüre bei vielen Menschen die Lektüre gedruckter Bücher verdrängt. Ich habe mich nur beim Timing vertan (vor zehn Jahren dachte ich, wir würden heute dort sein, wo wir schon vor drei oder vier Jahren waren). Ich habe mich getäuscht in der Frage, ob ein spezielles Lese-Gerät Erfolg haben würde (ich las so komfortabel auf meinem Handy und davor auf meinem PDA, dass ich dachte, nur wenige würden ein weiteres Gerät wollen, das nur das Lesen ermöglicht). Und ich überdenke meine Annahmen rund um das Thema angereicherte Bücher und den Nutzen des sozialen Lesens.
Mir war aber schon lange klar, dass E-Books unwiderstehliche Vorteile gegenüber Print besitzen – die Tragbarkeit, die Bequemlichkeit des Kaufens sowie die niedrigere Kosten-Basis, die zwangsläufig zu niedrigeren Verkaufspreisen führt –, die dazu führen, dass immer mehr Menschen mit Handheld-Computern vom neuen elektronischen Format überzeugt werden.
Außerdem haben mir meine langjährigen Erfahrungen im Bereich der Buchhandels-Wirtschaft gezeigt, dass die Umsatzverluste bei den stationären Läden letztlich zu Schließungen führen, was wiederum die Anfahrtzeit zum nächsten Buchhändler für den Kunden erhöht und schließlich noch mehr Menschen dazu verführt, gedruckte oder digitale Bücher online zu kaufen. Was wiederum zu noch mehr Schließungen führt. Dies ist für all jene ein positiver Kreislauf, die im E-Book-Geschäft aktiv sind oder Print im Internet verkaufen. Oder diejenigen, die darauf hoffen, dass die Amerikaner weniger Benzin verfahren.
Das ist aber ein Teufelskreis – eine Todesspirale – für die Buchhändler.
Michael Cader von Publishers Lunch hat zuletzt berichtet, dass die BookScan-Zahlen einen Umsatzrückgang von 4,4% von 2009 bis 2010 ausweisen.
Doch mit der Zahl sollte man nicht zur Bank gehen. Sie ist schon veraltet. Nach einer neueren BookScan-Analyse sind die Print-Umsätze in den ersten sechs Wochen des Jahres 2011 um 15% eingebrochen.
Dagegen steigt der Anteil der online verkauften Bücher weiterhin, weshalb man ziemlich sicher davon ausgehen kann, dass die Print-Verkäufe im stationären Handel noch schneller sinken. Kann es sein, dass dieser Umsatz um 20 oder 25% gegenüber dem Vorjahreszeitraum gefallen ist? Durchaus.
Verkäufe von iPads, Kindles und Nooks haben im Weihnachtsgeschägft 2010 die meisten Erwartungen übertroffen. Dominique Raccah, Chefin beim unabhängigen Verlag Sourcebook, hat in ihrem Blog berichtet, dass 35% ihrer Umsätze auf digitalem Weg erfolgen.
Kein Wunder, sagt sie. „Wir haben vielleicht den Tipping-Point erreicht. Ich gehe davon aus, dass wir eine dramatische Neubeurteilung vornehmen müssen, sobald die Verlage ihren Zahlen am Ende des ersten Quartals 2011 vorliegen haben.“
Prognosen, dass die E-Book-Umsätze in den kommenden fünf Jahren 50% des Marktes ausmachen werden und im Gegenzug im gleichen Zeitraum die Flächen im stationären Buchhandel um 50% kleiner werden – wovon ich selbst ausgegangen bin – erschienen seinerzeit ziemlich aggressiv. Heute jedoch nicht mehr. 2011 wird ein richtiges „Schnall Dich an“-Jahr wird für die Verleger. Und Raccah hat recht damit, dass Verlage erstaunt sein werden, wenn sie die Zahlen nach dem ersten Quartal anschauen.
Eine Folge, die den meisten Verlegern klar ist, aber einem ungeübten Auge vielleicht nicht, ist die, dass mit dem Rückgang der Umsätze die Remittenden-Quote – unvermeidbar und erbarmungslos – ansteigt. Wenn ein Verlag die Remittenden-Quote für einen Zeitraum berechnet – sei es für eine Woche, einen Monat, ein Quartal oder Jahr –, werden immer die in dieser Periode erhaltenen Retouren mit den Umsätzen verglichen. Die Retouren stammen aber de facto aus der Zeit davor, als die Konjunktur-Erwartungen noch höher waren als aktuell; in ganz seltenen Fällen werden Bücher früher als drei Monate nach der Lieferung zurückgeschickt. Dies bedeutet, dass der Nettoumsatz nach Retouren für viele enttäuschend, wenn nicht verheerend ausfällt.
Zwei weitere Kennzahlen sind für Verlage Besorgnis erregend:
- Eine davon bezieht sich auf die Stückkosten. Wenn weniger Bücher gedruckt werden, aber die Verkaufspreise konstant bleiben müssen (von beidem ist auszugehen), dann steigt der Anteil des Umsatzes, der für die Herstellung entfällt.
- Auch die Fixkosten in Prozent sind Besorgnis erregend. Viele Verlage folgen weiterhin der nicht gerade klugen Praxis, bei jedem Buch den prozentualen Anteil der Fixkosten in die Berechnung der Stückkosten einfließen zu lassen. Wenn aber die Umsätze schneller sinken, als die Fixkosten reduziert werden können, steigt der Prozent-Anteil der Fixkosten ebenfalls. Und auf die Schnelle Personal abzubauen, ist auch nicht so leicht möglich.
(…)
Zwar wird auch Barnes & Noble den Margen-Druck aller stationären Händler spüren, andererseits wird sich der Filialist seiner gewachsenen Bedeutung in einer „Borders-less (oder less-Borders)-Welt“ bewusst sein. B&N wird mit Sicherheit jetzt auf bessere Konditionen drängen, und den Verlagen wird sicherlich die Schwäche ihrer Verhandlungsposition klar sein. (…)
Also: Die Umsätze sinken, die Retouren steigen, die Stückkosten nehmen zu, die Gewinnmargen schrumpfen, während der richtige Zuschnitt der Fixkosten zu einem immer größeren Problem wird. Die gute Nachricht ist aber, dass die E-Book-Umsätze steigen und ihre Gewinnmargen – zumindest zuletzt – konstant geblieben sind.
Doch das erste Anzeichen, dass die E-Book-Preise sinken werden, war die Nachricht, dass 99-Cent-E-Books jetzt auf den E-Book- und kombinierten Bestsellerlisten der Mainstream-Medien „The New York Times“ und „USA Today“ auftauchen (bei denen der Absatz der Titel und nicht die Umsatzstärke zählt, d. Red.).
Dies hat unangenehme Folgen. Bislang unbekannte Autoren, die 99-Cent-E-Books verkaufen, werden als Bestseller-Schöpfer präsentiert. Und die Verlage werden animiert, die Verkaufspreise zu senken, um auf die Bestsellerlisten zu kommen.
Verleger werden kämpfen müssen, um ihre Geschäfts profitabel zu halten, und zudem in den kommenden Wochen ihre althergebrachten Praktiken auf den Prüfstand stellen.
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