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Buchhändler lesen keine Wirtschaftsbücher

1998 wandte sich buchreport an acht „Wortführer von morgen“, jüngere Entscheidungsträger aus Verlagen und Buchhandelsunternehmen, die ihre Visionen und Prognosen zur Entwicklung der von ihnen vertretenen Sparte vorstellten. Zehn Jahre später fragt buchreport die Branchenvertreter erneut. Im buchreport.magazin 10/2008 antworteten mit Rainer Moritz, Thedel von Wallmoden, Matthias Ulmer (hier) und Patrick Sellier die ersten Vier der „neuen Generation“, im Heft 1/2009 folgen neben Tanja Graf Hartwig Schulte-Loh, Jürgen Diessl und Susanne Koppe. In seinem Gastbeitrag erklärt Diessl, seit 2004 Chef beim Econ-Verlag, warum das Thema Wirtschaft im deutschsprachigen Buchhandel unterrepräsentiert ist.

Meine Einschätzung, dass das Thema Wirtschaft im deutschsprachigen Buchhandel eindeutig unterrepräsentiert ist, hat sich auch in den letzten zehn Jahren nicht verändert. Ich kann nur wiederholen, dass der mögliche persönliche und unternehmerische Nutzen aus der Lektüre von Wirtschaftsbüchern, die in den eigenen Regalen stehen, nicht ausgeschöpft wird. Dabei geht Wirtschaft uns alle an, egal ob es um die Themen Beschwerdemanagement, Verkaufen, Kosten sparen, Prioritäten setzen, Motivieren oder – ganz aktuell – die Finanzkrise, geht. Eine Nachfrage an Leseexemplaren aus dem Bereich Wirtschaft gibt es praktisch nicht.

Es ist noch schwerer geworden, engagiertes Personal zu finden, das sich freiwillig für diese Abteilung meldet, sich selbstständig in das Thema einarbeitet, Kunden souverän berät, Buchempfehlungen aussprechen kann und den Kontakt mit den Verlagen pflegt. Mit den Seminaren des 8er-Clubs (Campus, Econ, Gabal, Gabler, Hanser, Redline, Schäffer-Poeschel und Wiley) unterstützen wir den Handel bereits seit einigen Jahren, um Mitarbeiter zu qualifizieren. Außerdem haben wir einen Wettbewerb für den Preis um die beste Wirtschaftsabteilung im deutschsprachigen Raum aufgesetzt, der auch im Jahr 2009 wieder stattfinden wird. Die dünne Personaldecke und die hohe Personalfluktuation erleichtern uns diese Aktivitäten aber nicht. Parallel dazu ist mir in den letzten drei Jahren verstärkt aufgefallen, dass der erste Weg eines befragten Buchhändlers überwiegend der zum Rechner ist  und nicht mehr zum Regal. Das ist aus meiner Sicht ein fatales Signal, auch an den Kunden.

Die von mir erwartete Spezialisierung hat bedauerlicherweise nur punktuell stattgefunden und zwar online. Im hochpreisigen Bereich gibt es eine spürbare Verlagerung. Der stationäre Buchhandel kauft teure Bücher kaum mehr ein, bei Amazon fließen sie ab. Konsequenterweise wünscht sich der Sortimenter verstärkt möglichst niedrige Preise. Ob wir uns damit ökonomisch einen Gefallen tun, stelle ich in Frage. Die Halbwertszeit der Bücher wird immer kürzer, es wird immer schneller remittiert. Für Backlist, Longseller und Klassiker gilt Ähnliches wie für hochpreisige Bücher: Der Buchhandel tut sich schwer damit, der Umsatz verschiebt sich zu den Online- und Versandbuchhandlungen.

Nach dem Zusammenbruch der New-Economy-Blase wurden einige Abteilungen stark reduziert, sind aber in den letzten Jahren wieder etwas gewachsen. Wir dürfen gespannt sein, ob die Finanzkrise in den Wirtschaftsabteilungen als Chance für Umsatz erkannt  wird oder ob sie noch mehr Zurückhaltung gegenüber dem Thema verursacht.

Die großen inhaltlichen Trends bleiben zweifellos der Aufstieg Chinas, dessen Wettbewerber Indien (danach wird auch Brasilien bald in den Blickwinkel kommen), die demografische Entwicklung und natürlich Zukunftsprognosen. Die Finanzkrise wird uns noch eine Weile beschäftigen und zahlreiche weitere Bücher, die sich kritisch mit der Globalisierung auseinandersetzen, nach sich ziehen. Die Schnittstellen zwischen Politik und Wirtschaft werden unschärfer und die Buchhändler werden sich noch öfter als jetzt fragen, in welche Abteilung die Bücher gehören. Ich hoffe, es wird mehr Buchhandlungen geben, die diese beiden Abteilungen räumlich nah beieinander präsentieren.

Es gibt immer noch einen großen Markt für Biografien, aber es ist auffällig schwer geworden, geeignete hochkarätige Unternehmer und Politiker zu finden.
Deutlich erkennbar ist auch die Zunahme an Titeln zur Verhaltensökonomie wie „Tipping Point“, „Blink“, „Freakonomics“, „Denken hilft zwar, nützt aber nichts“ oder „Underground Economy“, welche den Widerspruch zwischen dem theoretischen, idealen Marktteilnehmer und dem in Wirklichkeit sehr emotional entscheidenden Menschen  aufzeigen und damit einige traditionelle ökonomische Gesetze ad absurdum führen.

Unverändert ist im Übrigen die Neigung zum „tierischen Management“. Ich darf – ohne Anspruch auf Vollständigkeit und primär zu Ihrer Unterhaltung – einige Titel rekapitulieren:

  • 1988 Schwimm mit den Haien, ohne gefressen zu werden (Econ)
  • 1991 Delphin-Strategien (Paidia)
  • 1994 Wenn die Affen den Zoo regieren (Campus)
  • 2000 Die Mäuse-Strategie für Manager (Ariston)
  • 2001 Fish! (Ueberreuter Wirtschaft)
  • 2001 Wölfin unter Wölfen (Econ)
  • 2001 Zieh dem Nilpferd keine Socken an (Verlag Moderne Industrie)
  • 2002 Noch mehr Fish! (Redline Wirtschaft)
  • 2002 Unter Pinguinen (Redline Wirtschaft)
  • 2003 Das Ratten-Prinzip (Goldmann)
  • 2003 Für immer Fish! (Redline Wirtschaft)
  • 2005 Die Bären-Strategie (Ariston)
  • 2005 Pferdeflüstern für Manager (Wiley)
  • 2006 Das Frosch-Prinzip (Scherz)
  • 2006 Das Pinguin-Prinzip (Droemer)
  • 2006 Ente oder Adler (Gabal)
  • 2007 Die Kakerlagen-Strategie (dtv)
  • 2007 Whale done! – Von Walen lernen (Goldmann)
  • 2007 Von Wölfen lernen (Hanser)
  • 2008 Der Ferkel-Faktor (Econ)
  • 2008 Der schwarze Schwan (Hanser)
  • 2008 Von Bienen und Leitwölfen (Haufe)
  • 2008 Brehm für Manager (Cornelsen)
  • 2009 Die Faultier-Strategie (Econ)

Dabei ist „Führen, Gestalten, Bewegen“ des Dalai Lamas noch nicht enthalten. Ich vermute, dass sich in den nächsten Jahren noch weitere Vorbilder in der Natur finden und die Bionik fortschreiten wird. Eines unserer erfolgreichsten Bücher im vergangenen Jahr war im Übrigen „Alles, außer gewöhnlich“ von Anja Förster und Peter Kreuz. Dieses Buch, das auch den Wirtschaftsbuchpreis 2007 erhalten hat, empfehle ich allen Buchhändlern und Verlagskollegen, die diesen Artikel aufmerksam lesen. Nach weiteren zehn Jahren erlaube ich mir dann, daraus zu zitieren.

aus: buchreport.magazin 1/2009

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