Auch bei Büchern gibt es Zeitgenossen, die einen nicht auf Anhieb begeistern, beim zweiten Hinschauen dafür umso intensiver berühren. „Fünf Viertelstunden bis zum Meer“ ist so ein Buch. Das Cover ist schlicht, das Buch ist mit weniger als 100 Seiten eher ein Büchlein und zugegebenermaßen auch nicht billig. Wer ihm aber eine Chance gibt, wird mit einem ganz besonderen Leseerlebnis belohnt. Er bekommt die Geschichte von Ezio und Giovanna erzählt, eine Liebesgeschichte voll Zauber und Bitterkeit, die 1945 beginnt und 60 Jahre später noch nicht zu Ende ist. Man möchte weinen über all die Chancen, die in dieser Geschichte nicht ergriffen werden, aber dazu kommt man nicht. Denn Ernest van der Kwast schafft es, mit so wenigen Worten eine derart dichte Atmosphäre zu schaffen, dass alle Tränen sich in Freude an der Erzählkunst auflösen. Wir erleben, wie Ezio in der Obstbaumwiese in Südtirol steht und „der längst vergangene Tag, an dem Giovanna in einem zweiteiligen Badeanzug in die Brandung watete, auf die Äpfel niederregnet“ und wie „die Sehnsucht immer stärker wird, solange Fragen bleiben“. Denn die Liebe bleibt unerfüllt, die junge Frau möchte sich (noch) nicht binden, der junge Mann flieht enttäuscht. Erst 60 Jahre später kommt es zum Wiedersehen. Der niederländisch-indische Autor flicht viele kleine Nebengeschichten ein und wechselt ungestüm zwischen heute, gestern und vor 60 Jahren. Aber er und sein Übersetzer schaffen es, dass wir ihm gebannt folgen und uns fühlen, als wären wir zu jeder Zeit dabei.
Ernest van der Kwast
Fünf Viertelstunden bis zum Meer
übersetzt von Andreas Ecke
mareverlag, 96 Seiten, geb.
18,- € (D), 18,50 € (A), 25,90 sFr
ISBN 978-3-86648-205-0
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