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Bücher-Bühne und Branchen-Labor

Die Buchmesse macht Frankfurt zum Brennpunkt der Branche. Die Leistungsschau spiegelt die Dynamik eines Wirtschaftszweigs im Aufbruch. Messedirektor Juergen Boos (Foto: Alexander Heimann/Frankfurter Buchmesse) erklärt, warum das Spektakel unverzichtbar bleibt.
Laufsteg der Novitäten und Brennpunkt einer Branche im Aufbruch: Ihren Stellenwert als Leistungsschau mit globaler Strahlkraft muss die Frankfurter Buchmesse auch in diesem Jahr erneut untermauern. Bei rückläufigen Ausstellerzahlen (7100 bei Redaktionsschluss, 2012: 7307) betont Juergen Boos, Direktor der Frankfurter Buchmesse, die Rolle des Branchentreffs als Impulsgeber für das technikgetriebene Publishing. Dafür stehen prominent das Konferenzformat Contec und zahlreiche Hot Spots, die Innovatoren und Start-ups Raum für die Darstellung bieten.
Während der rote Teppich für das Gastland Brasilien ausgerollt wird (das Land präsentiert sich in Frankfurt mit rund 480 Veranstaltungen), will die Messe auch näher an den Buchhandel rücken. Das stationäre Sortiment, durch die vertrieblichen Verschiebungen der Gewichtung in Richtung Internet dramatisch unter Druck, bekommt in Halle 4.0 einen eigenen Schwerpunkt. Auf der Bühne „Level 2“ werden Konzepte für den Buchhandel der Zukunft vorgestellt. Weitere Neuerungen: 
  • Auf der Publishing Perspectives Stage (Halle 8.0) wird ein breites Themenspektrum ausgeleuchtet, das von technischen Fragen der E-Book-Produktion bis zum Verkauf von Film- und TV-Rechten reicht.
  • Am Licensing Day (11. Oktober) will die Messe die Buch- und Licensing-Branche noch enger vernetzen.
  • Stärker akzentuiert wird in diesem Jahr auch der Wachstumsmarkt Kinder- und Jugendbuch. Neben dem Forum für Kinder- und Jugendmedien (Halle 3.0) spielt das Kinder- und Jugendbuch auch in den internationalen Hallen (5, 6 und 8), beim Weltempfang (Halle 5.0), dem Hot-Spot Kids & Reading (Halle 3.0) und dem neuen Areal Kids Bubble auf der Agora deutlich aufgewertete Rollen.

Im Interview konstatiert Boos Aufbruchstimmung und zeichnet das Bild einer Leistungsschau auf der Höhe der Zeit.
In vielen Verlagen wird derzeit besonders genau auf die Kosten-Nutzen-Relation geschaut. Warum bleibt die Reise nach Frankfurt unverzichtbar?

Dafür gibt es so viele Gründe wie es „Wahl-Frankfurter“ im Oktober gibt. Das zeigt nicht zuletzt die Webseite „wirsindhier frankfurt.de“ mit der unsere Kunden Gesicht zeigen und auf der es kurz nach Freischaltung schon Hunderte Statements zu lesen gab. Für Verlage wie Fachbesucher gilt, glaube ich, wie eh und je: Gesicht zeigen, Kontakte knüpfen und Netzwerken ist wichtig. Nirgends sonst zeigt sich die geballte Leidenschaft, mit der wir alle unseren Job machen, besser. Und nirgends sind mehr Content-Experten so konzentriert anzutreffen wie in Frankfurt. Auch und gerade die Neuen im Publishing, also Gründer und Innovatoren, haben hier mittlerweile ihre Heimat gefunden. 

Ein weiterer Punkt ist die zunehmende Internationalisierung: Waren es früher eher große Verlage, die in internationalen Kategorien dachten, sind das jetzt auch mittelgroße und kleine, denn die neuen Technologien machen Ländergrenzen überflüssig und die Skalierung neuer Produkte international möglich. Und der ewig gültige Grund, nach Frankfurt zu kommen, ist: Der Lizenzhandel für das kommende Jahr wird hier aufgesetzt. Das zeigen die ständig wachsenden Zahlen rund um das Literarische Agentenzentrum.
Ihr persönliches Highlight im Katalog der Neuerungen?
Einmal ist das Contec, der Nachfolger der Tools of Change for Publishing (Toc)-Konferenz, die von O’Reilly so überraschend abgesagt worden war. Contec wird sich mehr als Toc auf das europäische Publishing konzentrieren, aber auch auf Start-ups. Zweitens sind das die Hotspots, die 2010 eingeführten Ausstellungsformate für Innovatoren. Hier zeigt sich mit rund 80 Ausstellern das Selbstbewusstsein, das im internationalen Publishing enorm gewachsen ist: Innovationen kommen auch aus dem Herzen der Branche heraus, nicht nur von außen, und der Schulterschluss mit den angrenzenden Kreativbranchen, aber auch mit der Informations- und Telekommunikationsbranche ist viel selbstverständlicher als noch vor drei Jahren.

Die Ausstellerzahl ist rückläufig. Spiegelt sich hier das Bild einer Branche auf Schrumpfkurs? 

Nein, es spiegelt sich eher eine Konsolidierung im Markt, die sich schon seit Längerem vollzieht und sich jetzt auf der Messe niederschlägt. Dazu kommt noch, dass diese Konsolidierung durch externe Treiber beschleunigt wird – siehe die Fusion von Penguin und Random House als Antwort auf die überwältigende Marktmacht von Amazon. Gleichzeitig findet jedoch ein Prozess der Differenzierung statt: Digitalität führt zu einer Entbündelung von Services, die früher innerhalb eines Verlags gebündelt waren, gleichzeitig entstehen neue Services. Eine ganze Reihe von Start-ups im Bereich Service-Provider zeigt diese Entwicklung und sie wird auch auf der Messe zu sehen sein. 2013 ist der Gründergeist auch im deutschsprachigen Raum angekommen. 
Die Welt des Buches durchläuft einen Transformationsprozess. Muss sich auch die Messe neu erfinden?
Ja. Wie jedes Jahr muss sich die Messe auch dieses Jahr neu erfinden, und genau das sage ich schon seit Jahren. Denn die Buchbranche war schon immer innovativ, was Inhalte angeht. Jetzt, mit der Digitalisierung, muss sie auch im Bereich Geschäftsmodelle innovativ sein. Die Buchmesse bildet diese Entwicklungen ab und gibt ihnen ein Forum. Wir sehen zum Beispiel eine deutliche Hinwendung der Verlage zum Lesepublikum, die sich in einer stärkeren Inszenierung von Inhalten, Verlagen und Autoren ausdrückt. Also stellen wir als Messe sehr viel mehr Präsentationsfläche zur Verfügung. Dieses Jahr sollen auf der Agora die Open Stage und der Kids Bubble – ein großer Schirm und ein Kuppelzelt – als ganz neue Bühnen funktionieren.
Frankfurt steht im Wettbewerb mit starken internationalen Konkurrenten. Trägt die Rolle als Impulsgeber mit internationaler Strahlkraft? 
Die Konkurrenz sehen wir allenfalls für einzelne Teilbereiche des Publishing-Marktes. Insgesamt spiegeln uns unsere Kunden, dass sie in Frankfurt einerseits das gesamte Leistungsspektrum von Lizenzhandel bis Konferenzen und Networking-Events erwarten und gleichzeitig wie sonst nirgends auf der Suche nach neuen Trends und zukünftigen Entwicklungsmöglichkeiten sind. Entsprechend ist die Internationalität der Messe bislang von Jahr zu Jahr gestiegen: Kurz nach der Gründung waren 1951 schon knapp mehr internationale als deutschsprachige Aussteller auf der Messe, heute ist das Verhältnis 39:61. Auch unsere Konferenzformate der Frankfurt Academy internationalisieren sich rasant: Dieses Jahr fanden mit Contec Brazil und StoryDrive China zwei große Frankfurter Formate mit Erfolg im Ausland statt, neben vielen anderen kleineren Formaten. Das Spannendste daran ist: Die internationale Konkurrenz verändert sich jährlich. Die größte Herausforderung ist, diese Konkurrenz zu erkennen – denn sie sieht für einzelne Kundengruppen verschieden aus – und uns zu fragen: Was machen sie anders? Welches Kundenbedürfnis wächst da heran? Denn nur dadurch können wir weiterlernen.

Profilierung kostet Geld. Müssen die Aussteller mit steigenden Standmieten rechnen?

Nein, zwar sind wir abhängig von unseren Dienstleistern, insbesondere der Messe Frankfurt, doch sollten uns langfristige Verträge dagegen schützen. Außerdem werden wir immer die Besonderheiten des Publishing-Marktes, wie z. B. die Notwendigkeit kleinerer Player zum Funktionieren des gesamten Publishing-Ökosystems, in unserem Preissystem berücksichtigen.

Die Digitalisierung verändert die klassischen Geschäftsgrundlagen der Branche. Wo sehen Sie die Frankfurter Buchmesse in fünf Jahren?

Drei Dinge: Erstens, ich sehe vor allem ein großes Bedürfnis nach Tuchfühlung, so nenne ich das für mich. Damit meine ich, dass das Händeschütteln echt ist, der Kontakt und das Netzwerk erprobt sind und tragen. Zweitens bringt gerade die Immaterialität von Content ein Bedürfnis nach der Inszenierung von Inhalten zum Vorschein. Noch nie haben Verlage so dringend nach Inszenierungsflächen gefragt wie dieses Jahr – und wir haben darauf reagiert und verstärkt Bühnen und Treffpunkte entwickelt wie die Kids Bubble oder den Open Stage. In fünf Jahren wird sich dieser Trend noch verstärkt haben und wir werden auf der Messe in Themenwelten eintauchen. Als dritten Punkt sehe ich, dass Autoren und Leser als Content-Experten eine zunehmende Rolle spielen werden, auch auf der Messe; die Trennung in B2C und B2B wird sich zusehends auflösen. Was immer bleiben wird, ist die Buchmesse als Versammlungsort der Menschen weltweit, deren Profession und Passion sich rund um Inhalte dreht.
Text/Interview: Rainer Uebelhöde

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