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Craig Mod: Subkompaktes Publizieren

Craig Mod: Subkompaktes Publizieren

Kleine Publikationen, minimale Dateigrößen, vernünftige Abo-Preise, fluider Veröffentlichungsplan, Anschluss ans Open Web – darin besteht die Zukunft des Publishing. Angebote wie The Magazine oder Matter sind die Disruptor der Branche (mit dem Thema beschäftigt sich auch das nächste buchreport-Webinar, hier mehr).

 

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Einfache Mittel und Systeme für ein digitales Verlegen

„Ich erkenne Gott in den Instrumenten und Mechanismen, die zuverlässig funktionieren.“ –  Buckminster Fuller

Disketten haben Floppy-Disks gegessen.
CDs haben Disketten gegessen.
DVDs haben CDs gegessen.
Festplatten haben den Film gegessen.
LCDs haben die Röhren gegessen.
Telefonie hat die Telegraphie gegessen.
Twitter und SMS haben das Reden gegessen.
Tablets essen unser Papier

 

Stellen Sie sich einen Tisch vor:

Aus Holz und hunderte von Metern lang.
Alt und abgenutzt.
Von Ästen befreit.
Breit genug für eine Person.

Und jetzt, reißen Sie den Himmel auf und schmeißen sie alles auf diesen Tisch, was uns zum Herausgeben von digitalen Produkten zur Verfügung steht. Lassen Sie die Infrastruktur, die Typografien, die Plattformen und Geräte herunterregnen. Dann zerteilen Sie alles in die kleinsten Einzelteile und verteilen es gleichmäßig.

Nehmen Sie sich eine Leiter.
Stellen Sie die neben den Tisch.
Klettern Sie hoch und schauen runter.

Was sehen Sie? Was können Sie daraus machen?

 

Ein Magazin

Als ich zum ersten Mal „The Magazine“ (hier) gesehen habe, musste ich lachen.

Ich habe gelacht, weil es so vernünftig, so rational und so unglaublich naheliegend war.

Es war wie ein platonischer, mobil herausgegebener Container. Kein Müll, nur Substanzielles. Ein Schatten an der Wand. Die Art von App, die nichts Ausgefallenes macht, dafür aber alles richtig. Die Art von App, die von den Autoritäten der Verlags-Zukunft mit dem Bannfluch belegt wurden, denn, ganz ehrlich, es ist langweilig.

Wir haben das Gefühl, dass wir das schon einmal gesehen haben, aber – stimmt das?

In einem Gespräch über die Zeitungs-Branche mit dem renommierten Harvard Business School-Professor Clayton Christensen hat Joshua Benton angemerkt: „Mein Eindruck von den herannahenden Störungen (disruptors) ist, dass sie eher geringe Qualität haben und deswegen auch nicht Wert sind, wirklich beachtet zu werden.“

Beachten wir also:

 

Autos & Verlagswesen

1967 hat Honda den N360 enthüllt. Der N360 war ein Kleinstwagen, ein Subkompakter.

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 VIA KEMEKO1971

Ich stelle mir immer vor, dass die Ingenieure von Honda zusammengekommen sind und alles, was sie über Autodesign und -produktion wussten, auf unseren großen Holztisch geschmissen haben. Dann haben sie sich um den Tisch gestellt und sich gefragt „Was ist das Einfachste, was wir daraus bauen können?“

Mit dieser Frage im Hinterkopf haben sie einen Motorradmotor in ein Mini-Cooper-ähnliches Chassis gepackt. Das Ergebnis: 31 PS, zuverlässig und bezahlbar. Es war das Minimum, was man für ein brauchbares Auto benötigte.

„Sie haben mit billigen Kleinwagen angefangen, die weitestgehend für einen Witz gehalten wurden. Heute stellen sie Lexus-Limousinen her, die das Beste herausfordern, was die Europäer zu bieten haben“ – Christensen, Skok, Allworth

Honda war ein Niemand in der Automobil-Industrie, aber sie haben Fuß gefasst, weil sie ein Auto produziert haben, das für viele Kunden angemessen war. Sie haben den Kleinwagen gebaut.

Ich frage also: Wo ist der Kleinstwagen der Verlagswelt?

 

Aktuelle Angebote

Unseren gedruckten Büchern und Zeitschriften ist durch ihre physische Beschaffenheit ein intuitives Handling inne. Ein Leser hat zwei mögliche Richtungen – die hängen von Sprache und Kultur ab. Von da an ist die Benutzeroberfläche, meist linear, ziemlich eindeutig.

Tablet- und Smartphone-Bücher und –Zeitschriften sind nicht so eindeutig und einfach zu bedienen. Oftmals sind sie so undurchschaubar, dass wir Anleitungen benötigen, die uns ihren Gebrauch erklären.

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Warum haben wir so komplexe Benutzeroberflächen?

 

Die Gegenwart

Die etablierten Verleger haben schon seit einiger Zeit mit Störungen zu kämpfen. Aber eine merkwürdige, natürliche Sache passiert jetzt: Ein anderes, immer schwieriger zurückzudrängendes  Verlags-Ökosystem entwickelt sich, das mit den Altlasten der etablierten Herausgeber gar nichts mehr zu tun hat.

Noch vor einigen Jahren wurden „Verlags-Startups“ in der Regel von solchen Typen gegründet:

  1. Technokraten, die nichts über das traditionelle Ökosystem der Inhalte wussten
  2. Betreiber des traditionellen Inhalte-Systems, die von der Technologie nichts verstanden

Was die Verlags-Startups zu dieser Zeit wirklich gebraucht haben, war beides: Technokraten, die die Infrastruktur und die Produkte haben, gekoppelt mit dem Wissen und den Inhalten der traditionellen Betreiber. Was sie gebraucht hätten – aber oft vermissen ließen –, war gegenseitiges Verständnis.

Jetzt ist das völlig klar. Die Inhalte der alten Herausgeber werden immer unwichtiger, je mehr neue Inhalts-Produzenten auf den Markt kommen. Und sie kommen.

„Mit der Geschichte als Leitfaden, sollte es uns nicht überraschen, wenn Neueinsteiger wie die „Huffington Post“ und „BuzzFeed“, die als reine Nachrichten-Sammler angefangen haben, jetzt ihren Marsch in Richtung Qualitätsmedien- und Netzwerke beginnen. Sie mögen vielleicht damit angefangen haben, Bilder von niedlichen Katzen zu sammeln, aber mittlerweile erweitern sie ihr Feld auf Politik und entwickeln sich vom Sammler zum Produzenten von originären Inhalten und gewinnen, wie im Falle der „Huffington Post“, einen Pulitzer Preis für ihre Berichterstattung.“  – Christensen, Skok, Allworth

Wir können auch noch aktuellere Beispiele betrachten, um eine Entwicklung zu erkennen.

 

Matter

Am 14. November 2012 ist Bobbie Johnsons und Jim Giles‘ neues Publikations-Projekt „MATTER“ (hier) an den Start gegangen, und vielleicht kann es ein Indikator für die Qualität der aufstrebenden Verleger in diesem Segment sein. Im März 2012 haben sie 140.000 Dollar von 2500 Spendern über Kickstarter eingenommen.

Mit diesen Spenden haben sie ihre Website aufgebaut Autoren und Fotografen in Auftrag genommen und sich daran gemacht, die bislang unbekannte Schnittstelle zwischen Paid Content und Qualitätsjournalismus zu erforschen.

In ihren Worten:

„MATTER ist nicht einfach nur ein Website, es ist auch nicht wirklich ein Magazin, und es ist auch kein Buchverlag. Matter ist etwas Anderes – ein neues Modell für Qualitätsjournalismus, ein Gebiet, das durch die Verschiebung von gedruckten zu digitalen Medien ziemlich gebeutelt wurde. Wir denken, dass unser Schwerpunkt, der darauf liegt, individuelle, lange Geschichten zu verkaufen, die man auf jedem Gerät rezipieren kann, egal ob Computer, Telefon, E-Reader oder Tablet, eine Möglichkeit ist, die harte Arbeit, die für die bestmögliche Berichterstattung erforderlich ist, nachhaltig zu entlohnen.“

Was für eine großartige Beschreibung: nicht wirklich Website, nicht wirklich Magazin, nicht wirklich Buch. Das fasst sehr schön den Raum zusammen, den wir als digitale Herausgeber haben.

Der erste Artikel, den sie veröffentlicht haben, hatte 7.826 Wörter. Man konnte eine Vorschau lesen oder den Artikel für 0,99 Dollar kaufen. Dafür erhielt man:

  • Werbefreie Web-Ausgabe
  • E-Book-Version für Kindle, iPad oder andere Reader
  • Eine Einladung zu einem Gespräch mit dem Autor

Sie verkaufen außerdem Mitgliedschaften, die beinhalten, dass man als Herausgeber genannt wird.

MATTER arbeitet an seinem wertvollsten Schatz: Community. Sie sind hungrig und talentiert. Und sie sind nur die Spitze des Eisbergs.

Nicht wirklich Website, nicht wirklich Magazin, nicht wirklich Buch. Was immer sie sein mögen, wir werden mehr davon sehen – bald.

 

Skeuomorphismus-Geschäftsmodelle

Skeuomorphismus bezieht sich klassischerweise auf Fragen des Designs. Wir applizieren den Ton eines mechanischen Fotoapparats auf unsere Digitalkameras, weil es sich gut anfühlt.  Und in unseren E-Readern sieht das Umblättern aus, als wäre es Papier, weil es so schön vertraut ist.

Aber Skeuomorphismus  hält auch in Geschäftsmodellen Einzug.

Ein Verlag wie MATTER nimmt das Beste vom Alten – ein Verständnis für die Ethik von Herausgebern, Geschichtenerzählen, das Handwerkliche – und verändert die Form der Inhalte und die Vertriebswege so, dass sie den digitalen Möglichkeiten entsprechen. Das ist nicht immer der Fall.

Geschäfts-Skeuomorphismus liegt vor, wenn wir Geschäfts-Entscheidungen nehmen, die sich ausdrücklich auf ein bestimmtes Medium beziehen und sie auf ein anderes Medium anwenden – ohne weitere Fragen. Dieser Geschäfts-Skeuomorphismus ist in der Verlags-Branche im Kommen. Das naheliegendste Beispiel sind Zeitschriften, wenn man sich nur die Cover in Newsstand anschaut:

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Kein einziges Cover ist lesbar. Das mag wie Design- Skeuomorphismus aussehen, ist es aber nicht. Kein Designer hat sich diese Cover in Newsstand angeschaut und gesagt: „Perfekt! Das kann so raus!“  Es ist geleitet von Geschäfts-Entscheidungen und einer Infrastruktur, die sich mit ihren Altlasten beschäftigt.

Je mehr Abstand wir gewinnen, desto klarer wird es. Eine gedruckte Zeitschrift setzt sich pauschal aus den folgenden Merkmalen zusammen:

  • Jedes beinhaltet ein Dutzend Artikel oder mehr
  • Das Heft kommt im monatlichen Rhythmus raus
  • Alle Artikel werden zusammengefügt und erscheinen gleichzeitig

Altes in Neues

Warum also veröffentlichen so viele der digitalen Zeitschriften nach dem gleichen Zeitplan, mit der gleichen Anzahl an Artikeln wie ihre gedruckten Gegenstücke? Mit dem gleichen Cover? Natürlich weil es einfacher ist, einen einheitlichen Ablauf über verschiedene Medien zu bewahren. Man muss nicht zwei Mal designen. Nicht zweimal testen (wenn überhaupt).

Unglücklicherweise – vom Blick einer medienspezifischen Benutzererfahrung – ist es unmöglich, ein originäres digitales Magazin zu produzieren, das sich mit diesen beschränkenden Altlasten herumplagt. Warum? Nicht zuletzt, weil wir Tablets und Smartphones ganz anders benutzen als gedruckte Publikationen.

Als Teil der gerade entstehenden Verlagswelt ist es ein großer Vorteil, dass man nicht über verschiedene Medien hinweg veröffentlichen muss. Man kann und sollte sich direkt auf das digitale Feld konzentrieren. Später kann man dann vielleicht – je nach Nachfrage und inhaltlicher Qualität – darüber nachdenken, eine gedruckte Anthologie herauszugeben, um der Publikation literarisches Format zu verleihen.

Aber was sind die originären Merkmale des Digitalen?

 

Die Werkzeuge für das Subkompakte der Verlagswelt

Das subkompakte Verlegen ist zu allererst immer direkt.

Die Methoden benötigen kaum bis keine Anleitungen.

Sie sind beim ersten Hinschauen leicht zu verstehen.

Die Entscheidungen von Herausgebern, Redaktion/Lektorat und Designern sehen das Digitale als Raum zum Vertrieb und zum Konsum.

Sie sind das Ergebnis davon, dass wir alle unsere Herausgeber-Technologien auf einen Tisch geschmissen haben und uns gefragt haben – was sind die zentralen Werkzeuge, die wir mit dem ganzen Zeugs bauen können?

Es sind, genau wie früher, kleine N360s.

Ich schlage vor, dass die Werkzeuge für subkompakte Veröffentlichungen und das Ethos für die Verleger mit den folgenden Merkmalen beginnen (aber nicht enden):

  • Kleine Publikationen (3 bis 7 Artikel/Heft)
  • Kleine Dateigrößen
  • Vernünftige Abo-Preise
  • Fluider Veröffentlichungsplan
  • Scrollen (nicht die Seiten nummerieren)
  • Eindeutige Navigation
  • HTML(-mäßig) basiert
  • Berührungspunkte zum Open Web

Einige dieser Merkmale bedingen sich. Betrachten wir sie im Detail:

Kleine Publikationen

Ich habe nun schon Einiges darüber geschrieben, dass man sich in der digitalen Welt ein „Format“ schaffen muss. Einer der einfachsten und intuitivsten Wege dazu ist, die Anzahl der Artikel zu limitieren, die man für den Nutzer täglich veröffentlicht.

Es ist deutlich schwieriger, den Umfang einer digitalen Zeitschrift intuitiv zu erfassen, wenn das Magazin 20 Artikel hat, als wenn es beispielsweise fünf hat. Indem man die Artikelanzahl niedrig hält, senkt man außerdem die Dateigröße und vereinfacht die Navigation.

Kleine Dateigrößen

In der heutigen Software wird der Wert von Geschwindigkeit weitestgehend unterschätzt – digitale Zeitschriften inklusive. Geschwindigkeit (und damit eine fließende und Spaß machende Nutzererfahrung) sollte die Eigenschaft sein, die man für sein Produkt optimal gestaltet.

Eine Möglichkeit, Tempo in das veröffentlichte Produkt zu bekommen, ist, die Dateigröße des Produkts so klein wie möglich zu halten. Das passiert logischerweise, wenn man die Anzahl der Artikel pro Heft limitiert.

Vernünftige Abo-Preise

Im Optimalfall spiegeln die Preise für Digital-Abos die Kosten für die Herstellung eines originär digitalen Produktes wider und dienen nicht dazu, die Preise der Print-Abos zu schützen. Dies ist ein Vorteil für Publikationen, die zu allererst digital erscheinen. Anders als Print-Produkte, die sich erst zum Digitalen wandeln, haben sie keine vererbte Infrastruktur, die sie während des Wandels bezuschussen müssen.

Fluider Veröffentlichungsplan

Mit kleineren Ausgaben kommen auch variablere Veröffentlichungspläne. Noch einmal: Um sich am Markt als Produkt von Format zu positionieren, ist es nicht das Ziel, zehn Artikel pro Tag zu veröffentlichen, sondern lieber nur einige wenige Artikel von extrem hoher Qualität. Je nachdem, welche Art von Inhalt veröffentlicht wird, kann der Tages-Rhythmus zu granular sein, und bei Monatlichem Erscheinen stauen sich zu viele Artikel auf. Der Wochenrhythmus scheint für digitale Produkte ein vernünftiger Weg zu sein.

Scrollen (fürs Erste)

Als ich diese Ideen ursprünglich vorgestellt habe, auf der „Books in Browsers“-Conference 2012, war die Abschaffung der Seitennummerierung bei weitem der umstrittenste Punkt. Ich will damit nicht sagen, dass jede Art von Seitenzahlen schlecht ist. Es geht immer noch darum, den absoluten Kern der subkompakten Verlagswelt zu beschreiben. Alles, was belanglos oder zu komplex ist, soll wegfallen.

Ich habe die letzten zwei Jahre damit verbracht, das Scrollen und das „Umblättern“ (pagination) auf Tablets und auf Smartphones zu analysieren. Wenn der Inhalt formlos ist, kann man ihn vielleicht mit wenig Aufwand mit Seitenzahlen versehen. Wobei – vermutlich nicht.

Bestimmte Arten von Seitennummerierung lassen die Komplexität einer Anwendung ins Unermessliche steigen. Der Entwicklungs-Aufwand, der benötigt wird, um schöne, einfache, originäre, beständige – und schnelle – Seitennummerierungen zu produzieren, ist ganz einfach zu hoch und gehört nicht in den Subcompact-Bereich.

Darüber hinaus vereinfacht man die Navigation ganz erheblich, wenn man das Umblätter-Modell entfernt und der Nutzer sich verstärkt auf den Inhalt konzentrieren kann.

Überhaupt keine nummerierten Seiten sind auf jeden Fall besser als schlecht angelegte nummerierte Seiten.

Eindeutige Navigation

Die Navigation sollte einheitlich und mühelos funktionieren. Solche subkompakten Anwendungen würden keinerlei komplexe „Wie geht das“-Seiten oder Anleitungen erfordern. Man sollte keine berühmten Schauspieler engagieren müssen, die den Leuten zeigen, wie man die App mit der Nase bedient. Wie bei einem gedruckten Magazin oder Buch soll die Handhabung intuitiv und mühelos sein.

Durch die limitierte Anzahl an Artikeln pro Ausgabe und das Weglassen der nummerierten Seiten wären bereits einige der möglichen Irrwege, die zu komplexer Navigation führen, entfernt.

HTML (ähnlich)-basiert

Wenn ich HTML sage, meine ich auch EPUB oder MOBI oder jedes andere Format, das auf HTML zurückgeht. HTML hat sich unstrittig zum zukünftigen Format für alle noch kommenden (dann vielleicht auch interaktiven) Textinhalte entwickelt. Wenn man nun die subkompakten Produkte auf HTML beschränkt, sichert man Übertragbarkeit und zukünftiges Funktionieren auf den Plattformen. Zudem minimiert man die Entwicklungsarbeit, da die meisten EDV-Geräte ohnehin mit hochqualitativen HMTL-Lese-Maschinen ausgestattet sind.

Open Web

Ganz einfach: Welcher Inhalt auch immer auf einem Tablet veröffentlicht wird, sollte ein entsprechendes, fassbares Zuhause im Open Web haben.

Inhalt ohne eine öffentliche Adresse im Netz sind nicht existent.

 

Zu erledigende Aufgaben in Verlagen

Clayton Christensen, Autor von „The Innovator’s Dilemma“ betrachtet das Verhältnis von Verbrauchern und Produkten aus Sicht der Zu-erledigende-Aufgaben-Theorie. In seinen Worten:

„Die wesentliche Idee besteht darin, dass die Leute nicht herumgehen, um Produkte zu kaufen. Vielmehr stoßen sie auf ein Problem, für das sie eine Lösung suchen, und am Ende kaufen Sie ein passendes Produkt oder eine Dienstleistung.“

Die entscheidende Erkenntnis, wenn man so auf sein Geschäft schaut, liegt darin, sich auf den Job statt den Kunden oder das Produkt zu konzentrieren“.

In seinem jüngsten Nieman Reports-Text zur Disruption im Nachrichtengeschäft bringt Christensen das Beispiel, dass man in einer Schlange zehn Minuten auf Kaffee wartet. Die Person mit dem Problem, diese Zeit totzuschlagen, greift zum Smartphone, um sich in den zehn Minuten zu unterhalten oder zu bilden.

Noch mehr zeitgenössische Jobs

Es gibt im Verlagsbereich einige ungelöste Aufgaben. Ich ärgere mich seit Jahren darüber, dass es keine tolle Lösung gibt, um eine Webseite, einen Autor oder Verlag zu abonnieren, gegen Bezahlung. Wenn ich einen neuen Autor entdecke, gibt es keine einfache Möglichkeit, um für seine Inhalte zu zahlen.

Dazu passt, dass die abonnierten Inhalte schnell, leicht, vorhersehbar, verlässlich und lokal speicherbar ausfallen.

 

Skizze eines Systems

Wie sieht die Oberfläche der einfachsten Computer-Verlagssoftware der Welt aus?

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Es hat drei Spalten: Ausgaben, Artikel-Übersicht und Artikel-Texte. Man klickt auf die Ausgabe, erhält die Übersicht der Artikel und sieht den kompletten Text der Artikel. Und es gibt einen Knopf „Veröffentlichen“. Das ist alles.

Wohin wird veröffentlicht?

Das offene Web

Bei den meisten Inhalten – in den meisten Kontexten – profitiert der Verleger nur davon, wenn er seinen Inhalten feste Adressen zuweist. Also ist der erste offensichtliche Ort der Veröffentlichung das offene Netz.

Das ist einfach, das machen wir seit fast zwei Jahrzehnten, und es gibt zahlreiche Werkzeuge, um im Netz zu veröffentlichen.

Im  Netz sollte man sich zunächst um die Lesbarkeit kümmern, danach um zusätzliche Eigenschaften wie einen App-Download oder ein E-Mail-Abo. Man sollte nie die Lese-Erfahrung unterschätzen, denn nur wenn die Lektüre angenehm ist, werden die Inhalte weiterempfohlen und geteilt.

Tablets und Smartphones

Desktop — das offene Web — ist einfach. Tablets und Smartphones sind schwieriger.

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Tablets und Smartphones werden meist anders genutzt als Desktop-Computer und Laptops. Sie sind oft ohne Internetverbindung. Smartphone-Nutzer suchen oft nach einem „Snack“ und wollen über Inhalte schnell verfügen. Das offene Internet ist oft nicht der schnellste Weg, um Inhalte zu bekommen: Es speichert meist keine  Inhalte und ist nicht ohne Internetverbindung verfügbar.

Um das Tablet-Thema zu vereinfachen, gehen wir mal nur von iOS-Geräten aus. Hätte nur jemand einen Übertragungsmechanismus konzipiert, um Inhalte nahtlos und im Hintergrund von unserem Verlagssystem zu den Lesern zu „pushen“.

Newsstand

Aha, jemand hat es getan: Apple mit Newsstand.

„Apples Newsstand? Leben da nicht diese seltsamen Kreaturen?“, höre ich Sie sagen. Oder: „Oh, diesen Ordner habe ich noch nie geöffnet.“

Newsstand ist vielleicht das am wenigsten genutzte, meistunterschätzte Vertriebs-Werkzeug in der kurzen Geschichte des Tablet-Verlegens. Obwohl Newsstand etwas Magisches hat: Im Hintergrund werden Inhalte heruntergeladen, das Angebot ist auch ohne Internet nutzbar, und die Inhalte können gegen Geld abonniert werden.

Newsstand löst elegant unsere Zu-erledigenden Jobs.

 

The Magazine

Das führt uns zurück zu The Magazine.

In den Worten des Verlegers Marco Arment:

„Viele iPad-Magazine tragen viel unnützes und teures Gepäck aus ihrer Print-Zeit mit sich. Einige digital geborene Magazine haben sogar Print-Gepäck mit sich geschleppt, weil sie dachten, sie müssten das so tun.“

Auf Anhieb hat Marco ein N360 herausgebracht, designed und programmiert als eine der ersten und tablet-affinen Subkompakt-Veröffentlichungen.

  • Jede Ausgabe enthält nur vier bis fünf Artikel.
  • Jede Ausgabe umfasst weniger als ein paar Megabyte, was den Download in wenigen Sekunden statt Minuten oder Stunden ermöglicht (wie es bei anderen Magazinen der Fall ist).
  • Der Abopreis liegt bei 1,99 Dollar pro Monat.
  • Das Abonnieren ist nahtlos integriert in die Plattform via Newsstand.
  • Es wird zwei Mal im Monat veröffentlicht.
  • Es ist eine Publikation ohne Seitenzahl.
  • Die Navigation erfolgt konsistent und komplett intuitiv.
  • Es basiert auf HTML.

UI und UX

Die Bedienoberfläche ist extrem einfach. The Magazine benötigt keine Bedienungsanleitung.

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Ausgaben

Da die Ausgaben sehr klein sind, wird die Komplexität von Inhaltsverzeichnissen reduziert, die Navigation besteht aus einer einfachen Liste.

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Links

Die Links sind erst einmal Fußnoten: Der Autor fasst den Inhalt des Links zusammen, dann kann der Nutzer entscheiden, ob er mit einem weiteren Klick die URL besucht.

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Newsstand

Der magischste Teil besteht in der Integration des Magazines in Apples Newsstand:

  • Inhalte werden im Hintergrund herunterladen
  • Newsstand vereinfacht alle Bezahl-Mechanismen, man bezahlt Apple, nicht Marco. Die Infrastruktur ermöglicht ein kostenloses Abo, das in ein nahloses Abonnement münden kann.

Open Web

Schließlich – keine Überraschung – trifft The Magazine ins Netz. the-magazine.org ist minimalistisch und für zwei Aktivitäten optimiert worden: Lesen und zum Download von The Magazine animieren.

 

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Klarheit

Die Klarheit von The Magazine ist aufregend – das ist genau die App, gegen die sich die amtierenden Verleger sträuben. Und das ist Programm. Christensen schreibt:

„Disruptive Technologien bleiben hinter den Erwartungen von etablierten Produkten in Mainstream-Märkten zurück. Aber sie haben andere Eigenschaften, die von ein paar Kunden am Rand – und grundsätzlich neuen Kunden – geschätzt werden. Die Produkte, die auf disruptiven Technologien basieren, sind typischerweise, günstiger, einfacher, kleiner und oft auch bequemer zu nutzen“.

Wir sind die neuen Kunden: die neuen Leser, Autoren, Verleger. Und The Magazine ist tatsächlich günstiger, einfacher, kleiner und in der Nutzung bequemer als die meisten anderen Verlags-Apps.

Und warum veröffentlicht Matter nicht via Newsstand? Weil die größte Hürde darin besteht, eine iOS-App zu programmieren, um Newsstand nutzen zu können. Eine kostenintensive Aufgabe für Verlage, die überdies nicht gut darin sind, Software herzustellen.

Marco ist nicht nur ein verlagsinteressierter Ingenieur, er ist ein Subkompakt-Publishing-Magnat. Und lebt als dieser außerhalb der herkömmlichen Verlags-Infrastruktur. Er produziert Podcasts, ein Magazin, eine Lese-App und kuratierte Leselisten – das alles mit einfachen Werkzeugen, die in minimalen Containern verpackt sind.

Man benötigt ein technologisches Verständnis, um ein Disruptor des künftigen Verlegens zu sein; auch wenn man sich selbst so nicht einschätzt.

Fazit

Der Winter 2012 war das erste Weihnachtsgeschäft, in dem eine große Zahl an Verbrauchern ein Verständnis von Tablets und genügend Auswahl-Möglichkeiten besaßen. Wenn 2013 nicht ein entscheidendes Jahr für das digitale Publizieren wird – speziell für die nicht-eingesessenen Akteure –, dann kann ich mir keine Rahmenbedingungen auf dem Markt vorstellen, die dafür die Voraussetzung bilden sollten.

Es würde mich sehr wundern, wenn es neben The Magazine nicht ein Dutzend anderer Verlage gibt, die ähnliche Magazine konzipieren. Noch besser wäre es, wenn jemand ein System bauen würde, mit dem jeder eine Newsstand-App wie The Magazine starten könnte – mit minimalen Kosten und minimaler Komplexität.

Es ist einfach, etwas zu verwerfen.

Es herrscht eine große Geringschätzung.

Warum nicht Teil derjenigen sein, die alles aufmischen?

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Leicht gekürzte Übersetzung des Original-Textes, von Torge Frühschulz und Daniel Lenz, mit freundlicher Genehmigung des Autors Craig Mod.

Der Text ist zuerst auf der Webseite von Mod veröffentlicht worden. Hier sind auch Fußnoten zum Text zu finden.

Kommentare

2 Kommentare zu "Craig Mod: Subkompaktes Publizieren"

  1. Viele interessante Aspekte, aber zugleich zeigt der Text selbst auch das Problem, wenn es kein Gefäss, keinen Container gibt wie das limitierende Papier: Zu lang, nur scheinbar strukturiert, ein irgendwie fließendes Schreiben. Es reicht nicht, „kleine Dateien“ zu fordern

  2. Einer der besten Artikel, die ich jemals zu dem Thema gelesen habe. Nicht nur der 3-schichtige Aufbau macht literarischen Spaß, auch der Inhalt scheint das Ergebnis einer unbefangenen, freien Wahrnehmung, einer umfassenden Perspektive auf Gesellschaft, Technologie und neue Formen der Kommunikation.
    Solche Texte gehören aus meiner Sicht in den Schulunterricht.

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