Schon ein schneller Blick auf die Welt der Werbung zeigt: Die meisten Produkte suchen in der Kommunikation geradezu verzweifelt nach „Sinn“. In dieser Hinsicht sind Bücher im Vorteil, ihr Sinn ist ab Werk eingebaut. Jedes einzelne Buch trägt sein eigenes Sinnversprechen vor sich her, im Titel, auf dem Cover, in der Buchbeschreibung. Eigentlich die perfekte Vorlage für das Marketing. Und trotzdem gehört Online-Buchmarketing zu den schwierigsten Übungen für Verlage. Als eine Spezialisierung von Online-Marketing verstanden, ist Buchmarketing ein anspruchsvolles Gebiet geworden, weil es immer schwieriger wird, kosteneffizient aus der Masse herauszuragen.
Da das Buch als Kulturprodukt selbst „Sinn“ enthält, kann es aber besser vermarktet werden als zum Beispiel Tennisschläger und MP3-Player. Die Branche tut das bereits mit Leseproben, aber auch mit den natürlichen, angrenzenden Sinnträgern, den Buchautoren, in Form von Autorenportraits und -interviews.
Aufmerksamkeit für Buchvermarktung
Eine Social-Reading-Plattform wie Sobooks ist im Netz naturgemäß in einer guten Ausgangsposition, um den Aufmerksamkeitsfokus vieler Menschen auf ein Buch zu richten. (Man kann die Plattform auch als „Metering System für E-Books“ begreifen, weil Sobooks aus jeder Buchseite ganz wörtlich eine „Web-Seite“ macht. Nach z.B. 10 probegelesenen Seiten greift die Paywall – und der Nutzer muss das Buch kaufen, um weiterzulesen.) Denn anders als herkömmliche Online-Shops, die ein Ebook gewissermaßen nur ins Regal stellen, erlaubt Social Reading den Lesern, auf jeder Seite aus dem Buch heraus zu kommunizieren. Ein Facebook-Like? Mit einem Klick. Eine Einladung an Freunde, über ein Buch zu diskutieren? Ein Klick, eine Mailadresse, fertig. Die Empfänger klicken – und landen direkt im Buch.
Nutzung erzeugt Leseempfehlungen
Über die direkte Empfehlung in sozialen Medien sind Webseiten wie „heftig.co“ in Deutschland aus dem Nichts buchstäblich zu Millionen Lesern gekommen. Mit Sobooks führen genau solche Empfehlungen direkt in das Buch hinein, wo nach 10 Seiten dann die Paywall greift. Das Sharing über Facebook, Twitter, Mail oder auch direkte Links ins Buch hinein dient aber nicht nur der Verbreitung der Bücher. Sobooks hat einen Indikator namens „Heat“ entwickelt. Das ist ein Wert, der die Intensität der sozialen Interaktion beschreibt: Was wird genau jetzt diskutiert, geliket, verlinkt? Was also vordergründig „nur“ wie Social Reading aussieht, erzeugt auch eine Relevanzempfehlung. Zugleich entsteht ein sozialer Sog, wenn ein bisher unbekanntes Buch wegen der Kommentare „trendet“, auch dort hineinzuschauen. Diese Trends werden bei Sobooks in Form einer Rangliste der derzeit meistbesprochenen Bücher angezeigt.
Das Buch als „Event“
Die ersten Versuche mit Autorenkommentaren im Buch haben gezeigt, dass viele Leser zwar wegen eines Buches kommen. Die Kommentare der Autoren in ihren eigenen Büchern – die wir sofort erkennbar anzeigen – scheinen nach der bisherigen Datenlage aber ein wichtiges Kaufargument zu sein. Die Leser haben gern das Gefühl, mit dem Autor im Buch zu kommunizieren. Dies ist ein Produktvorteil, den Amazon nicht bieten kann.
Nutzerfeedbacks haben bestätigt, dass das Buch wie ein „Raum“ wahrgenommen wird, in dem sich viele Leser „befinden“. Kommt der Autor hinzu und kommentiert mit, hat das ganze Veranstaltungscharakter: der Star ist auf die Bühne getreten. In den kommenden Monaten wird bei Sobooks gemeinsam mit Autoren, Verlagen und der Community daran geforscht, unter welchen Voraussetzungen sich dieser Effekt verstärkt und wie daraus ein neues Bucherlebnis wird.
Der erste Schritt in diese Richtung ist die Funktion „Live-Autor im Buch“. Alle Leser eines Buchs werden dadurch automatisch in Echtzeit informiert, wenn der Autor im gleichen Buch kommentiert. Mit einem dezent für ein paar Sekunden eingeblendeten Hinweis wird die Aktivität des Autors im Buch angezeigt – und zwar mit einem Link. Dadurch können die Leser mit einem Klick diese Stelle springen.
Der nächste Schritt: Hybrid-Marketing
Interessanterweise zeichnet sich ab, dass die alten „Plattform-Modelle“ mit extrem großem Sortiment („long tail“) bei zugleich hoher Automatisierung zwar für den eBook-Verkauf sinnvoll sind, aber die Chancen von Kulturprodukten im Netz kaum ausreizen. Denn die besten Erfolge werden durch systematische Inszenierung erzielt: Subskriptionen, Live-Events im Buch und nun auch durch Lesesalons, die man online buchen kann und deren Videomitschnitte später das Buch aufwerten. Die bisher beobachteten wechselseitigen Effekte zwischen Online-Publikation, Online-Event und Präsenzveranstaltung sind äußerst vielversprechend und lassen sich beispielsweise für Markteinführungen von Büchern besonders gut nutzen. Zugleich zeichnet sich ab, dass das Publikum einer periodischen Ansprache gegenüber sehr aufgeschlossen ist, so dass sich feste Termine mit einem „Live-Autor“ auch ankündigen lassen. Die wöchentliche Taktung der „Bücher der Woche“ im von Sobooks ab dem ersten Quartal betriebenen F.A.Z.-Lesesaal bringt ebenfalls eine spannende Entwicklung bei der Buchinszenierung.
Online als erste Phase der Buchvermarktung
Dabei muss man keinen Hehl daraus machen, dass Sobooks sich an der Innovationsgrenze bewegt und noch nicht alle Chancen und vielleicht auch Risiken ausgeleuchtet sind. Neben dem Plattformgeschäft wird mit den „Sobooks Labs“ weiter versucht, unbekanntes Terrain zu erforschen. Als nächstes liegt es nahe, mit Ankündigung, Subskription, Live-Autor und virtuellen Lesungen ein E-Book erst online zu vermarkten und erst dann eine Entscheidung über eine Print-Version zu treffen. Das wäre dann das Modell „online first“, das auch bei Zeitungsverlagen angewendet wird.
Christoph Kappes ist seit 1985 selbstständig in der IT-Branche, darunter 17 Jahre als Geschäftsführer der Multimedia- bzw. Internetagentur Pixelpark. Als Berater hat Kappes u.a. für die OTTO Group, Tchibo, „FAZ“ sowie Investoren und Startups gearbeitet; publizistisch war Kappes u.a. für die „FAZ“, SPIEGEL Online und ZEIT Online tätig. Nebenher produziert er „ServusTV“ für Red Bull Media. Mit Sascha Lobo und Oliver Wagner sowie Oliver Köster gründete er 2013 die digitale Buchplattform Sobooks.
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