Nicht nur für die Medienwirtschaft könnten „Connected Cars“ in den nächsten zehn Jahren zu einem großen Markt werden. Der BVDW reagierte darauf mit einem Zehn-Thesen-Papier. Es beschreibt die mögliche Reichweite und die Implikationen der erwarteten Vernetzungs-Welle.
Herr Himmelreich, beschreiben Sie bitte in kurzen Worten, was unter „Connected Cars“ zu verstehen ist.
Wörtlich genommen handelt es sich bei einem Connected Car um ein Fahrzeug, das über Mobilfunk permanent mit dem Internet verbunden ist. Damit sind prinzipiell alle digitalen Dienste im Fahrzeug nutzbar, die wir vom Computer und dem Smartphone her kennen. Und natürlich Services, die spezifisch auf das Auto abgestimmt sind, wie zum Beispiel Sicher¬heits- und Navigationsdienste.
Wie fühlt es sich für Verbraucher an, in einem „Connected Car“ zu sitzen?
In der letzten Ausbaustufe fühlt der Verbraucher sich wie am Display am Arbeitsplatz oder zu Hause, weil er dieselben Dienste nutzen kann. Nur dass er darüber hinaus mobil ist und das Gefühl eines intelligenten Fahrzeugs gewinnen kann, weil das Connected Car zum Beispiel weiß und ihm sagen kann, dass bei seinem Lieblingsitaliener, an dem er in ein paar Minuten vorbeifahren wird, heute Saltimbocca das Tagesgericht ist.
Wie lang wird es dauern, bis jeder Verbraucher in Deutschland schon mal dieses Gefühl genießen konnte?
In der Basisversion wird das recht schnell gehen. Alle Neuwagen werden aufgrund einer EU-Richtlinie (eCall) ab dem 31. März 2018 mit SIM-Karten ausgestattet sein und daher zumindest Basisdienste anbieten.
Mit „Connected Cars“ werden neue Bedürfnisse geweckt und adressiert – wie viel sind die „wert“, was für ein Markt-Volumen kommt da auf uns zu?
Das ist schwer abzuschätzen. Viel entscheidender ist, dass sich die Wertschöpfung verändern wird: Ein immer größerer Anteil des Umsatzes, den alle am Ökosystem Connected Cars Beteiligten machen, wird auf Connected Services beruhen. Es geht also in erster Linie nicht um ein „Mehr“, sondern um eine strukturelle Verschiebung der Wertschöpfung in substanziellem Ausmaß. Und da ist die Frage offen, wer davon profitieren wird.
Sprechen wir von Hardware: Was sind die Interfaces im „Connected Car“?
Eigentlich wäre das Smartphone der zentrale „Steuerungscomputer“, darf aber aus Sicherheitsgründen nachvollziehbarerweise nicht als Interface genutzt werden. Aktuell sind es Bedienungsinstrumente im Pkw wie z.B. BMW idrive. In naher Zukunft werden Sprach- und Gestensteuerung dominieren – bis dann im voll selbstfahrenden Auto das Smartphone und seine Nachfolger wieder zum Einsatz kommen dürfen, in Verbindung mit Head-Up-Display natürlich, das in diesem Fall die gesamte Scheibenfläche umfassen kann.
Es ist absehbar, dass eine Reise im „Connected Car“ müheloser sein wird als je zuvor. Andererseits werden wachsende Verkehrsdichte und wachsende Mobilität dafür sorgen, dass die durchschnittliche Verweildauer auf deutschen Autobahnen weiter ansteigt. Entsteht da Raum für Entertainment- und Informations-Angebote?
Auf jeden Fall, und dies wird natürlich durch autonom fahrende Fahrzeuge noch einmal deutlich gesteigert. Allerdings existiert zeitgleich eine gegenläufige Entwicklung, denn die Tendenz zu Carsharing („Zugang statt Besitz“) reduziert ja gerade in den Ballungsräumen die Anzahl der Fahrzeuge pro Einwohner, was letztlich in Kombination mit intelligenten Verkehrsleitsystemen staureduzierend wirken sollte.
Spielt das den Buch-, Presse- und Fachinformations-Verlagen in die Hände, oder wer sonst wird den Inhalte-Markt im „Connected Car“ „machen“?
Das Automobil wird zu „just another screen“, d.h. Content wird auch im Connected Car eine große Rolle spielen. Hier können die Verlage sicher von ihren bisherigen Erfahrungen profitieren und proaktiv eigene Angebote etablieren.
Wie müssen Inhalte beschaffen sein, um im „Connected Car“ konsumiert werden zu können?
Prinzipiell sind es dieselben Inhalte wie auf den anderen Devices auch. Die Kür liegt darin, sie kontextsensitiv zu machen, was bedeutet, dass man je nach Ort des Fahrzeugs Zugriff auf georelevante Informationen bekommt. Und in der Smart-Data-Ausbaustufe bedeutet dies, dass dahinter auch eine personalisierte Auswertung liegt, sprich der Historiker, der durch die Kölner Innenstadt fährt, Geschichtsdaten zum Bau des Kölner Dom angezeigt bekommt, während der Independent-Musiker Informationen zu alternativen Labels und Clubs bekommt, während beide ggfs. durch dieselbe Straße fahren.
Wird es eine neue Renaissance von Audio-Inhalten wie Hörbüchern geben?
Ja, und perspektivisch auch multimediale Inhalte, weil das Fahrzeug als rollender Screen mit Surroundanlage eingebunden werden wird.
Gibt es eine „Killer-Applikation“ im „Connected Car“, die zu liefern Verlage besonders qualifiziert sind?
Wenn ich die kennen würde, würde ich sie selbst entwickeln. Im Ernst: Das wäre ein so genannter positiver schwarzer Schwan, für den es keine exakten Prognosen geben kann. Verlage können aber die Bedingungen schaffen, um die Wahrscheinlichkeit zur Entwicklung einer Killerapplikation zu erhöhen. Dazu müssen sie allerdings viel mutiger als bisher und abseits der etablierten Kultur und der gängigen Prozesse Experimente erlauben.
Wie muss ich als Verlag vorgehen, um mich und meine Inhalte frühzeitig in eine vorteilhafte Position in diesem Markt zu bringen?
„Techies an die Macht“ ist die Devise. Deren Analyse und Visionen bilden dann die Grundlage, um Content in neue Use Cases zu gießen.
Was mit „Connected Cars“ auf uns zukommt – interaktive Grafik.
Achim Himmelreich ist Diplom-Kaufmann (Universität zu Köln) und war selbstständiger Berater und Dozent, bevor er 2006 zu Mücke, Sturm & Company kam. Der Schwerpunkt seiner Tätigkeit liegt in den Feldern E-und M-Commerce sowie Social Media. Die umwälzenden Veränderungen durch die digitale Revolution hat er von Anfang an begleitet und in zahlreichen Projekten die Etablierung neuer Geschäftsmodelle vorangetrieben. Er ist Vizepräsident des Bundesverbands der Digitalen Wirtschaft (BVDW).
Foto Achim Himmelreich: BVDW
Foto „In-car-Living“: Daimler AG
Teaser-Bild: Sharjeel Ashraf / flickr Lizenz: CC BY 2.0
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