In der Einleitung der von Svenja Hagenhoff, Inhaberin des Lehrstuhls für Buchwissenschaft an der Universität Erlangen-Nürnberg, herausgegebenen Studie heißt es: „Gespräche mit Praxisvertretern ließen die Vermutung aufkommen, dass das crossmediale Publizieren an sich noch keinen hohen Verbreitungsgrad erreicht hat und dort, wo bereits Inhalte über verschiedene Kanäle distribuiert werden, Systemlösungen noch kein Standard sind“. So war es das Ziel der Erhebung, Informationen „über die tatsächliche Verbreitung der Systeme in Verlagen – in diesem Fall deutschsprachigen Fachverlagen – zu erhalten“.
Mit dem CMS zur Mass Customization
Zunächst einmal ruft die Studie in Erinnerung, warum CMS-gestütztes, crossmediales Publizieren strategische Bedeutung hat: In der „analogen Welt“ konnten Verlage – wie andere Unternehmen auch – ein einheitliches Gut massenhaft in hoher Auflage produzieren. Die digitalen Zeiten erfordern allerdings Mass Customization – also zielgruppengenaue Varianten zu produzieren und trotzdem effizient zu bleiben. Verlage folgen diesem Ansatz mit ihren Crossmediastrategien, und um dies automatisiert zu bewerkstelligen – Stichwort Effizienz – sind Content-Management-Systeme notwendig.
Die Studie war in zwei Etappen angelegt, aus qualitativen Interviews mit zwölf Führungskräften in Fachverlagen haben die Medienforscher interessante Fragestellungen herausdestilliert und in einen breiter gestreuten Fragebogen eingearbeitet, den 73 auf den Gebieten B2B, B2C, Wissenschaft sowie Unternehmenskommunikation aktive Fachverlage beantwortet haben. Die Erhebung lief von Juli bis September 2011.
Einige zentrale Ergebnisse:
- Von den 73 an der Befragung teilnehmenden Fachverlagen verfügen nur 25 über ein Produktionssystem.
- Nur zwei der 73 befragten Verlagsführungskräfte halten ihr Haus beim Thema crossmediales Publizieren für „sehr weit fortgeschritten“; immerhin 19 sehen würden sich noch als „fortgeschritten“ bezeichnen.
- Auf der anderen Seite halten 49 der Befragten Produktionssysteme für „überlebensnotwendig“, nur 19 sehen dies anders und stimmen dem eher nicht oder gar nicht zu.
Kluft zwischen Wunsch und Wirklichkeit
Die Studie untersucht auch die Gründe für die Kluft zwischen Wunsch und Wirklichkeit. Als größte Hürden bei der Entscheidung für ein bestimmtes Produkt benennen die mündlich befragten Experten, die noch über keine Produktionssysteme verfügen,
- den unübersichtlichen Markt für solche Systeme,
- Unklarheit darüber, welche Veränderungen im Haus die Umstellung voraussetzt,
- und die Frage, ob bzw. wann sich das Investment rechnet.
In der quantitativen Erhebung nannten die CMS-losen Verlagsvertreter als Gründe für den Verzicht auf ein Produktionssystem:
- zu hohe Investitionen
- fehlendes Know-how
- fehlende Ressourcen
- Thema bisher nicht relevant
- Systemmarkt unübersichtlich
- dezentrale Organisation
Die Einschätzung der Experten ergab, dass wegen der notwendigen Investitionen mittlere und größere Verlage weiter fortgeschritten sind als kleinere; Zeitungsverlage liegen in der Entwicklung vor Zeitschriftenverlagen, Buchverlagen stehen noch ganz am Anfang.
Denke in Printprodukten
Ein Befragter wies darauf hin, „dass in technischer Hinsicht schon ein guter Stand erreicht ist, allerdings auf redaktionell/journalistischer Ebene noch viel Arbeit zu leisten ist, insbesondere die ‚Denke in Printprodukten‘ ist noch nicht überwunden“. Viele Kollegen hätten „die Notwendigkeit der Entwicklung in Richtung crossmedialer Angebote noch nicht erkannt.“
In vielen Häusern, in denen CMS eingeführt wurden, scheint es der Studie zufolge vernehmbar zu knirschen. So sehen einige der befragten Experten, die bereits mit Produktionssystemen arbeiten, durch die Änderung der Arbeitsabläufe Reibungsflächen insbesondere in den Redaktionen. Autoren und Redakteure, äußerte einer der Befragten, würden „eine Dominanz von Prozessen über Produkte spüren, der gegenüber sie kritisch eingestellt sind.“
Was crossmediales Publizieren bremst
Kein Wunder also, dass die Mehrheit der Befragten bei Fachverlagen noch Luft nach oben beim Thema crossmediales Publizieren sieht: Der Aussage „Fachverlage sind im Thema crossmediales Publizieren insgesamt schon weit fortgeschritten“ neigen 29 Befragte voll oder eher zu, 33 sehen das anders.
Als größte Herausforderungen im crossmedialen Produzieren nennen die Befragten, vom höchsten zum niedrigsten Zustimmungsgrad:
- Denke in Printprodukten,
- fehlende Erlösmodelle,
- Investitionserfordernisse,
- Beschaffenheit der Produkte,
- technische Aspekte.
Von den 25 Verlagen, die ein Produktionssystem implementiert haben, nutzen die meisten Eigenentwicklungen, teilweise in Kombination mit zugekauften Lösungen. An eingesetzten Systemen externer Anbieter nannten die Befragten Censhare, SiteFusion, InterRed, K4, Smart Connection Enterprise, CGI Europe, Conware, Joomla, Noxum Pubishing, Studio Oracle UCM, Redline und ScholarOne. Fünf der Verlage, also ein Fünftel, planen bereits an einer neuen Lösung. Im Interview äußerte einer der Experten, Häuser mit Eigenentwicklungen seien eher unzufrieden, „da verglichen mit Standardlösungen immer mehr Software-Funktionalitäten zur Unterstützung des crossmedialen Publizierens fehlen.“ Dass sich der Markt noch in einem eher unreifen Stadium befindet, schließen die Verfasser der Studie aus dem Umstand, dass mehr als die Hälfte der laufenden Systeme ab 2006 eingerichtet wurden.
Dienstleister für Marktübersicht, Prozessanalysen und Systemauswahl gefragt
„Als Fazit kann festgehalten werden“, so schließt die von der Deutschen Post unterstützte Studie, „dass das crossmediale Publizieren und insbesondere das systemunterstützte crossmediale Publizieren nach wie vor ‚in den Kinderschuhen steckt‘ und insbesondere für KMU Dienstleister erforderlich sind, die bei Marktübersicht, Prozessanalysen und Systemauswahl unterstützen oder gar Teile der crossmedialen Wertschöpfung (‚Cloud‘-Lösungen) übernehmen.“
Die Studie bildet den Auftakt einer neuen Schriftenreihe mit dem Titel „Erlanger Beiträge zur Medienwirtschaft“, herausgegeben von der Professur für E-Publishing und Digitale Märkte der Universität Erlangen-Nürnberg. In der Reihe sollen Arbeiten erscheinen, die Mitarbeiter, Doktoranden oder Studierende am Institut für Buchwissenschaft verfasst haben. Der Fokus liegt auf Themen der Medienwirtschaft und anwendungsorientierten Technologien in diesem Bereich. Die Beiträge sind als Open-Access-Veröffentlichungen über das Online-Publikationssystem OPUS der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg zugänglich.
Hier geht es zur Veröffentlichung „Content-Management-Systeme in Fachverlagen: Ergebnisse einer empirischen Erhebung“
(hff)
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