In wenigen Wochen wird der Immobilienmogul Donald Trump zum 45. US-Präsidenten vereidigt. Den überraschenden Sieg verdankt er nicht zuletzt seinen verbalen Ausfällen, die im Wahlkampf tagtäglich für Schlagzeilen sorgten.
Vor allem die großen amerikanischen TV-Sender boten Trumps skandalösen Auftritten eine breite Bühne. Bereits während des republikanischen Vorwahlkampfes „schenkten“ sie ihm Sendezeit im Wert von knapp 2 Mrd US-Dollar. Hillary Clinton erhielt zeitgleich weniger als die Hälfte, Trumps republikanischer Gegenspieler, Ted Cruz, gerade einmal ein Sechstel. Und während Trumps Konkurrenten im gleichen Zeitraum rund 266 Mio US-Dollar in TV-Werbung steckten, konnte sich dieser auf 10 Mio Dollar beschränken. Den Sendern war dies gleich – solange Trump ihnen weiterhin rekordhohe Einschaltquoten und Werbeeinnahmen bescherte.
„Wie ein Crack-Süchtiger seinen Stoff“
Tatsächlich haben vor allem die wirtschaftlich angeschlagenen privaten Nachrichtensender „Trump gebraucht, wie ein Crack-Süchtiger seinen Stoff“. Denn wann immer Trumps Gesicht auf der Mattscheibe auftauchte, sprangen die Einschaltquoten nach oben.
So verzeichnete CNN im vergangenen Jahr zur prime time durchschnittlich 170% mehr Zuschauer als 2014. Auch die Werbeeinnahmen schossen in die Höhe: CNN etwa verlangte für einen 30-sekündigen Werbespot während der Live-Übertragungen der TV-Duelle Preise von bis zu 200.000 US-Dollar – und damit rund vierzig Mal so viel wie an einem regulären Abend.
Die Droge Trump zerstreute dabei offensichtlich sämtliche Bedenken: Leslie Moonves, Geschäftsführer des Medienkonzerns CBS, räumte bereits im März ein, der „Zirkus“ um Donald Trump „mag nicht gut für Amerika sein, er ist aber verdammt gut für CBS.“ Es bereite ihm großes Vergnügen dabei zuzusehen, wie das Geld hereinfließe. CNN-Chef Jeff Zucker geriet kurz vor dem entscheidenden Wahlabend ebenfalls ins Schwärmen: Das laufende Jahr werde als das ertragreichste in die Geschichte des Kabelfernsehens eingehen. CNN wird voraussichtlich 100 Mio Dollar mehr an Werbeumsatz machen als 2015. Insgesamt rechnen die privaten Nachrichtensender für 2016 mit einem Rekordumsatz in Höhe von 2,5 Mrd US-Dollar.
Ungefilterte Eskapaden
Der Haken ist nur: Mit Journalismus hatte die Quotenjagd der Fernsehsender nicht viel gemein. Stattdessen glich die Berichterstattung der Dokumentation eines sehnsüchtig erwarteten Auffahrunfalls.
Trumps Eskapaden strahlten die Sender meist ungefiltert aus. Nur selten kam es vor, dass ein Moderator die Inszenierung störte, indem er einer Behauptung Trumps widersprach oder dessen Beschimpfungen kritisierte. Sämtliche von Trumps Aussagen gerieten so unmittelbar in den Sog des Spektakels: die zahllosen Attacken gegen Afroamerikaner, Latinos, Frauen, Muslime und Behinderte ebenso wie die Tatsache, dass er weder die Höhe seiner Einkünfte noch seine Steuerabgaben offenlegte.
Ein moderater Konservativer, wie Jeb Bush, oder eine bemüht sachlich argumentierende Hillary Clinton gingen in diesem Getöse schlicht unter. Zugleich boten Trumps destruktive Polemiken all jenen Zuschauern eine Projektionsfläche, die sich nicht länger von „Washington“ repräsentiert sahen und dem „Establishment“ endlich einmal die rote Karte zeigen wollten.
Für den Verlauf des Wahlkampfs entscheidend war indes, dass Trumps Verbalattacken überaus erfolgreich von seinen eigenen Fehltritten ablenkten. Kam hin und wieder doch einmal Kritik an Trump auf, wurden dessen Anschuldigungen und Beschimpfungen nur noch schriller und lauter – mit der Folge, dass einmal mehr vor allem die von Trump gezielt herbeigeführte Eskalation die Berichterstattung dominierte.
Systematische Entpolitisierung
Unterstützt wird Trump dabei von seinen inzwischen mehr als 15 Millionen Twitter-Follower: Eine angedeutete Unterstellung genügt meist – wie etwa dass die Demokraten die Wahlen manipulierten –, und das Thema des Tages ist gesetzt. Trump selbst empfindet es nach eigenem Bekunden als „verrückte Sache“, dass „er nur etwas tweeten muss, selbst etwas Belangloses, und innerhalb von Sekunden ist das dann in den Nachrichten.“
Diese enorme Diskursmacht erlaubte es ihm, den Wahlkampf zu dominieren und gleichzeitig weitgehend frei von politischen Inhalten zu halten. Denn dank des medialen Dauerfeuers kam das Gespräch nur äußerst selten auf die politische Vorhaben Trumps: etwa die Steuersenkungen für die obersten Einkommen, die Privatisierung von Straßen oder auch die Deportation von 11 Mio „illegalen“ Zuwanderern.
Die gezielte Entpolitisierung, die Trump im Passspiel mit den Medien betrieb, garantierte auch seine mediale Immunität. Spätestens in der Wahlnacht dürfte es den Redaktionen jedoch gedämmert haben, auf welch faustischen Pakt sie sich eingelassen hatten. Bis zuletzt hatten sie Donald Trump als skurrilen Außenseiter betrachtet, als Werbegag in eigener Sache, der nicht wirklich Präsident der USA werden wolle.
Die vierte Gewalt
Doch weit gefehlt. Und indem die Medien Trump fatalerweise unterschätzten, haben sie sich selbst einen Bärendienst erwiesen: Mehr als einmal hat Trump seine schiere Verachtung für die Medien und politische Journalisten deutlich gemacht. Seinen giftigen Worten könnte der in Kürze „mächtigste Mann der Welt“ bald Taten folgen lassen.
Denn der „gefährliche Teilzeitclown“ sitzt ab dem 20. Januar 2017 an den Schalthebeln der Macht. Die Republikaner halten zudem den Senat, den Kongress und in Kürze wahrscheinlich auch den Supreme Court in ihrer Hand. Das System der checks and balances ist somit erheblich geschwächt.
All das verspricht nichts Gutes, ganz im Gegenteil. Umso dringlicher braucht es in den USA nun einen kritischen, investigativen Journalismus – kurzum, eine vierte Gewalt, die sich wieder ihrer Kernaufgabe erinnert: der Kontrolle politischer Macht.
Erste Ansätze dieser Rückbesinnung gibt es bereits. Nur wenige Tage nach der Präsidentschaftswahl verschickten der „New York Times“-Herausgeber, Arthur O. Sulzberger Jr., und Chefredakteur Dean Baquet einen Brief an sämtliche ihrer Abonnentinnen und Abonnenten. Darin versichern sie ihnen, dass die „Times“ unparteiisch und fair über den künftigen Präsidenten berichten werde. Zugleich stellen sie die Frage, ob „der unkonventionelle Stil von Donald Trump uns und andere Medien dazu verführt [hat], seine Unterstützung durch amerikanische Wähler zu unterschätzen?“
Diese Frage sollte sich keinesfalls nur die „Times“ stellen.
Daniel Leisegang ist Redakteur bei der Monatszeitschrift Blätter für deutsche und internationale Politik (www.blaetter.de) und schreibt vor allem zu den Themen Medienentwicklung, Netzpolitik, politische Theorie, Grundrechte und Datenschutz. Seit April 2015 ist er zudem Vorsitzender des log.os Fördervereins e.V. (www.logos.vision). Außerdem gehört er dem Editorial Board von Eurozine (www.eurozine.com) an. Zuletzt erschien von ihm im Schmetterling Verlag das Buch „Amazon – Das Buch als Beute“. 2016 wurde er für seine Medienkritik „Facebook rettet die Welt“ mit Sonderpreis Medienkritik der Zweiten Aufklärung aus Berlin ausgezeichnet.
Kommentar hinterlassen zu "Daniel Leisegang: Im Sog des Spektakels – Trump und die Medien"