Schmunzeln, den Untergang des Abendlandes befürchten, Dreck schleudern… Trotz teilweise heftiger Reaktionen auf die Entwicklungen bei Suhrkamp in den Medien hat der Verlag in den vergangenen Jahren meist geschwiegen – eine weise Reaktion. Denn mit dem offenen Brief an die „Welt“ haben sich die Frankfurter keinen Gefallen getan.
Kopf schütteln, schmunzeln, den Untergang des Abendlandes befürchten, Dreck schleudern… Im öffentlichen Diskurs führt die jüngere Geschichte des Suhrkamp-Verlags seit Jahren zu unterschiedlichsten Reaktionen. Der Verlag selbst hat sich auch nach teilweise fragwürdigen Zukunftsprognosen und Unterstellungen gegenüber der Verlegerin Ulla Unseld-Berkéwicz in den Medien meist zurückgehalten. Aus heutiger Sicht war das lange Schweigen eine weise Reaktion. Mit dem heute von Verlags-Geschäftsführer Thomas Sparr an die Medien gelotsten offenen Brief an die „Welt„-Chefredaktion haben sich die Frankfurter keinen Gefallen getan.
Worum geht es? Suhrkamp regt sich – offenbar schon lange Zeit – über die Berichterstattung von Literaturredakteur Uwe Wittstock auf, besonders nach dem jüngsten Artikel „Ulla allein zu Haus“ in der „Literarischen Welt“ (21. November, Seite 36), und beschwert sich mit einem Brief an „Welt“-Chefredakteur Thomas Schmid.
Begründungen: In seinem jüngsten Artikel gratuliere Wittstock dem Unseld-Sohn Joachim zum Verkauf seiner Anteile am Verlag, verzichte aber auf eine Analyse, auf richtige Informationen, vermische Bericht und Kommentar, ohne den Konjunktiv zu wählen, bringe Äpfel (den Anteilsverkauf Unselds) und Birnen (der Abschied von Katharina Hacker) zusammen, verzichte darauf, die Perspektive des Verlags zu beziehen, und, und, und…
Man mag zu solchen Artikeln stehen, wie man will – und möglicherweise hat Sparr sogar in einzelnen Punkten recht. Blamabel wird Sparrs Anklage jedoch nicht nur dadurch, dass er seine Wittstock-Anklage an andere Medien streut – mit welchem Mehrwert für die Medien? Was lernen die Leser? Sondern insbesondere durch einen performativen Widerspruch Sparrs: Er beklagt sich über fehlende Fakten in den Artikeln – und sorgt in seinem Brief anschließend selbst für noch mehr Dampf in der Gerüchteküche: Wittstock stehe mit Joachim Unseld „auf freundschaftlichem Fuß“ und habe „wie allenthalben in Frankfurt zu hören ist“ – sind das Fakten, Fakten, Fakten? – „vor geraumer Zeit seine Bewerbung als Leiter des Literaturhauses in Frankfurt am Main bei eben jenem Herrn Dr. Joachim Unseld als Vorstand des Instituts eingereicht“.
Hier der gesamte Brief im Wortlaut:
Sehr geehrter Herr Schmid,
die Berichterstattung Ihrer Zeitung über den Suhrkamp Verlag ist bei Herrn Uwe Wittstock seit Jahren in denkbar schlechten Händen. Das Ungleichgewicht von Information und ressentimentgeladenem Kommentar kennen wir als Leser der „Welt“ und haben es Artikel für Artikel zum Übrigen gelegt und uns bemüht, das gute und produktive, auch das zuweilen kritische Verhältnis zu den Kollegen von der „Literarischen Welt“ – was ist da für eine vorzügliche Beilage entstanden – nicht trüben zu lassen. Der Artikel „Ulla allein zu Haus“ in der „Literarischen Welt“ vom 21. November (Seite 36) ist indessen des Schlechten zu viel: Zweimal „gratuliert“ Herr Wittstock Joachim Unseld zum Verkauf seiner Anteile am Verlag; er gratuliert, analysiert aber nicht oder zieht nur in Erwägung, was bei einem Verkauf naheliegt: dass da jemand Geld braucht. Kaum eine einzige Information, dafür aber Wertungen bestimmen den Artikel: „ein skandalgeschütteltes Haus“, die Vermutung, „dass der Verlag in keiner beneidenswerten wirtschaftlichen Situation ist“, die Vermutung würde doch den Konjunktiv gebieten, „allerdings bleiben dem Verlag seine finanziellen und personellen Sorgen sowie sein Image-Problem“, die an den Haaren herbeigezogene Verknüpfung von Joachim Unselds Anteilsverkauf mit der Autorin Katharina Hacker. An keiner Stelle bezieht Uwe Wittstock die Perspektive des Verlags mit ein. Altera pars audiatur.
Dass Herr Wittstock mit Joachim Unseld auf freundschaftlichem Fuß steht, mag angehen. Schon das erlegt ihm eine besondere journalistische Sorgfaltspflicht auf. Schwerer indes wiegt, dass Herr Wittstock, wie allenthalben in Frankfurt zu hören ist, vor geraumer Zeit seine Bewerbung als Leiter des Literaturhauses in Frankfurt am Main bei eben jenem Herrn Dr. Joachim Unseld als Vorstand des Instituts eingereicht habe. Im Lichte dieses Gerüchts erscheint die Berichterstattung Ihrer Zeitung, lieber Herr Schmid, noch verfälschender als sie es ohnehin schon ist.
Mit freundlichen Grüßen
Dr. Thomas Sparr
Frankfurt am Main, 23. November 2009
Daniel Lenz ist Wirtschaftsjournalist, schreibt seit 2000 für buchreport, ist verantwortlich für buchreport.de und betreibt nebenher das Wirtschaftsportal ecolot.de
Suhrkamp hat sichnicht zum ersten Mal blamiert.