Braucht die Buchbranche noch Vordenker, die mit Memento-mori-Unterton die digitale Transformation durchdeklinieren? Die vor den Folgen der Disruption warnen? Im Anschluss an das Akep-Treffen stellt sich diese Frage einmal mehr.
Und die erste naheliegende Antwortet lautet: nicht unbedingt. Denn das, was der Journalist Tim Cole beim #akep 16 in der Berliner Kalkscheune präsentierte, wirkte zunächst wie eine Kompilation des Allzubekannten und oft Gehörten:
- Die drei wichtigsten Trends des Internetzeitalters sind Digitalisierung, Vernetzung und Mobilität.
Besonders bei den Punkten 2 und 3 hapert es in deutschen Unternehmen. - #2/Vernetzung: Die Systeme im Unternehmen sind oft verinselt, statt verbunden. Die so wichtigen Kundendaten bleiben im CRM-System drin, ohne dass andere Abteilungen wie die Produktentwicklung darauf zugreifen können/wollen – was CRM zum „Datengrab“ macht.
- #3/Mobile: Die Firmen kommen der Entwicklung des Menschen hin zu „digitalen Beduinen“ nicht entgegen, drei von vier Geschäftsführer verlangen Anwesenheitspflicht im Unternehmen.
- Jedes zweite Unternehmen hat nach eigener Angabe keine digitale Strategie (Verweis auf eine neue Bitkom-Studie).
Auch der Folgevortrag von Christian Hoffmeister (Foto), Geschäftsführer des DCI Institute, folgte bei aller rhetorischer Brillianz und großer Unterhaltsamkeit dem bekannten Weckruf-Muster – wenn auch mit weitaus mehr Differenzierungen und Schattierungen. Die Disruption ist nach Einschätzung von Hoffmeister kein explosiver Prozess, sondern erfolgt schleichend, dies seien aber letztlich die „schlimmeren Veränderungen“. Sein Ratschlag: andere Perspektiven auf die eigene Branche einnehmen. Verlage sollten beispielsweise hinterfragen, wer ihr eigentlicher Kunde ist: Ködern sie nicht mit dem richtigen Haken den falschen Fisch? Statt sich zu stark auf den Buchkäufer zu fokussieren, sollten sich Verlage als „Hubs“ begreifen,die Erfolge für Autoren organisierten, ähnlich wie es Soundcloud im Audio-Bereich vormache – oder eben Amazon im Buchgeschft, mit Werkzeugen, die es Autoren tatsächlich ermöglichten, besser zu werden.
Besonders mit Blick auf das Nachmittagsprogramm in Berlin, in dem sich die Tagung mit ganz konkreten Fragestellungen beschäftigte (Wie sollten Verlage auf das mobile Nutzungsverhalten der Kunden reagieren? Wie können Verlage barrierefrei produzieren? Wie sehen gute intermediale Kooperationen von Verlag und Sortiment aus?), scheinen solche holistischen Keynotes inzwischen verzichtbar. Tausendfach gepredigt und inzwischen überall angekommen.
Und doch gibt es gerade aktuell einige Beispiele, die zeigen, dass es offenbar weiterhin solcher Weckrufe bedarf. Man denke an die kürzlich vom Hauptgeschäftsführer des Börsenvereins Alexander Skipis getroffene Aussage, das (vermeintlich mehrkanalige) Geschäftsmodell des Buchhandels sei dem von Amazon überlegen („Reine Onlinehändler wie Amazon stehen heute da, wo die Buchbranche vor zehn Jahren gestanden hat. Sie ist festgelegt auf ein Vertriebsmodell, das den Kunden immer weniger ausreicht“). In den sozialen Medien wird viel seither über Skipis These diskutiert, mit dem mehrheitlichen Ergebnis, diese zwischen Realitätsverzerrung und Lobbyisten-Verpflichtung einzuordnen.
Skipis’ Multichannel-Hymne ist allerdings kein Einzelfall, sie knüpft vielmehr an zahlreiche Verlautbarungen des Börsenvereins der vergangenen Jahre an, in denen dem Onlinebuchhandel im Allgemeinen und dem E-Book-Geschäft im Speziellen eine Schwäche angedichtet wird, gerne mit Querverweis in die USA – und meist auf fragwürdiger Zahlenbasis. Auch dies primär als Vorspiel, um anschließend ein Hohelied auf die Überlebensfähigkeit des klassischen Buchhandels anzustimmen.
Was dabei fahrlässigerweise ausgeblendet wird:
- Der US-amerikanische Buchmarkt dient beim Thema digitales Wachstum bzw. digitale Stagnation nur schlecht als Vergleich, weil dort rund ein Viertel des Verlagsgeschäfts bereits von E-Books eingespielt wird und große Teile des Print-Marktes (Softcover) substituiert wurden; ein Abflachen der digitalen Wachstumskurve oder gar ein Rückgang des E-Book-Geschäfts ist keineswegs überraschend.
- Der deutsche Buchmarkt ist weitaus digitaler, als die von GfK/Börsenverein vorgelegten E-Marktanteile (4,5%) suggerieren. Die Befragung von 2500 deutschen Buchkäufern durch buchreport/Codex im Februar 2016 ergab, dass 46% hybrid, also Print und Digitales lesen; fast ein Drittel der bisherigen reinen Printleser wollen die Lektüre von E-Books testen. Der digitale Buchmarkt ist also keine Nische und wird auch morgen nicht verschwinden, weder hierzulande noch auf anderen hochentwickelten Buchmärkten. Weshalb die Entscheidung des britischen Filialisten Waterstones, E-Books aus dem Sortiment zu werfen, nicht als Zeichen der Stärke und Besinnung auf Kernkompetenzen gewertet werden kann, sondern als Stoß vor den Kopf zahlreicher (Hybrid-)Leser, die bei Waterstones nur noch teilweise bedient werden und zu Amazon abwandern dürften.
- Selfpublishing prägt immer größere Teile des E-Buchmarktes – wird aber von vielen Branchenstatistiken gar nicht berücksichtigt. In den USA stammen schon heute weitaus mehr E-Book-Bestseller von den Indies als den Big-5-Verlagshäusern. Und auch hierzulande erkennen immer mehr Autoren, dass sie als Solisten mehr Geld verdienen können als an Bord eines Verlags – was die Chancen von Verlagen, sich als Erfolgs-Hubs aufzustellen, schmälert.
- Die Erholung des Print-Geschäfts in den USA geht zu einem nicht unerheblichen Teil auf den Boom der Ausmalbücher zurück (dazu auch ein Interview mit der US-amerikanischen Verlagsberaterin Jane Friedman im buchreport.express 25/2016), taugt also nicht unbedingt als Vitalitätszeichen.
Fazit: Solange der digitale Markt hierzulande mit klammheimlicher Freude kleingeredet und das traditionelle Geschäft geschönt dargestellt wird, braucht es weiterhin Weckrufe à la Tim Cole oder, wie beim Publishers Forum, à la Douglas McCabe (Enders). Einschränkung: Dies gilt primär für Universalkonferenzen mit breiter Durchmischung der Sparten. Bei Branchentreffen wie dem Akep hätte Cole bzw. hätten die Veranstalter davon ausgehen können, dass diejenigen, die ohnehin mit wachen Augen und klarem Blick die Digitalisierung verfolgen, in der Überzahl sind.
„und meist auf fragwürdiger Zahlenbasis“ – na, dann immer lustig her mit den besseren Zahlen! Und bitte endlich differenzieren zwischen Wissenschaft und Belletristik, wo die E-Dinge je sehr anders laufen.