Wenn man die Branchentreffen rund ums elektronische Publizieren 2005 und 2010 vergleicht, wird man eine verkehrte Welt feststellen: Aus den einstigen Nerd-Treffs sind gutbesuchte Veranstaltungen geworden, bei denen Branchenakteure aus allen möglichen Bereichen zusammenkommen und sich angeregt austauschen. Auch die gestrige Buch Digitale war ein eindrucksvoller Beleg dafür, dass solche Buchbranche 2.0-Konferenzen zu Magneten avanciert sind.Das Paradoxe und gerade deshalb Interessante ist jedoch, dass egal ob BuchCamp, AKEP-Meetings oder die zahlreichen zukunftsweisenden Veranstaltungen von Heinold, Spiller & Partner – nicht nur die dort verhandelten Fragestellungen sind oft ähnlich, Gleiches gilt für die Antworten, die dabei präsentiert werden.
Ein Beispiel: Die von Christophe Maire (Foto), txtr-Chef, in Berlin präsentierte Keynote enthielt, streng genommen, nicht eine außergewöhnliche These oder Prognose und wurde doch in den Konferenzpausen lobend erwähnt:
– Dass Deutschland im E-Book-Bereich drei Jahre hinter den USA zurückliegt… nichts Neues.
– Dass der Rückstand nicht durch eine besondere Entwicklung hierzulande zu erklären ist, sondern wesentlich durch das Fehlen von Inhalten, mit denen die Reader bepackt werden können – was soll der txtr-Chef sonst auch schon sagen?
– Seine Warnung vor Amazon als „weißem Elefanten“ – ebenfalls pro domo gesprochen, weil txtr inzwischen durch das White-Label-Angebot, andere Portale mit E-Book-Shops zu bestücken, zum Konkurrenten geworden ist.
– Dass Reader bald günstiger als 50 Euro werden, und es dann keinen Grund mehr gebe, keinen Reader zu kaufen – wishful thinking von Maire. Kein einziges Mal wurde während der achtstündigen Konferenz dagegen gefragt, was eigentlich passiert, wenn sich das E-Book allen Prognosen zum Trotz doch nicht durchsetzt und ein teures Nischenprodukt bleibt.
Gleiches gilt für die in Berlin gezeigten Pitches. Unter den fünf Startups, die ihre Ideen präsentiert haben, war vielleicht ein neuer Ansatz: Teggit, eine Plattform zur Kommentierung von Texten und Bildern (wofür Amazon vermutlich mechanical turks rekrutieren würde).
Alle anderen Gründer, darunter die schließlich die mit einem Preisgeld von 1000 Euro ausgezeichnete Literaturcommunity tredition.de, treten mit Ideen an, für die es schon ähnlich aufgestellte Anbieter gibt – für sie wird es daher schwer, sich auf dem Markt zu etablieren. Wo sollen die neuen Ideen herkommen, wenn nicht von den institutionell nicht eingebundenen Neueinsteigern, wird so manch einer im Publikum bei der Abstimmung über die Pitches gedacht haben.
An den runden Tischen, an denen die Gäste angeregt diskutiert haben (gute Idee der Veranstalter), war zwar auch Platz für allerlei Exotisches, so etwa den Versuch, analog und digital „zu vermählen“ und ein „kluges Papier“ zu entwerfen, das eine Schnittstelle zu zusätzlichen Informationen umfasst (z.B: in Form von RFID-Chips). Ansonsten gab es viele (modifizierte) Angebote zu bekannten Problemen und Herausforderungen.
Doch zurück zum Ausgangspunkt: Warum sind die inhaltlich ähnlich gelagerten (und übrigens organisatorisch meist durch die Bank exzellent konzipierten) Konferenzen inzwischen zu Magneten avanciert? Offenbar ist die abwartende Haltung der Verlage – denen ihre Winterschlaf-Attitüde ja lange Zeit zurecht vorgeworfen wurde – einer Jetzt-bloß-nichts-verpassen-Haltung gewichen, die solche Konferenzen zu Pflichtterminen gemacht haben, auch wenn dort nicht viel Neues präsentiert wird.
Hinzu kommt, dass die Digitalisierung und der Vertrieb der digitalen Titel die Komplexität in der Buchbranche in rasantem Tempo erhöht hat – und sich die Branchenakteure nun nach einer Reduktion von Komplexität geradezu sehnen. Da immer mehr Mitarbeiter aus Verlagen, (Zwischen-)Buchandel und Dienstleistungsunternehmen ins Pfeifen im digitalen Walde einstimmen, sind die Veranstaltungen voll.
Die eher philosophisch gelagerten Eingangs-Fragen an der Schwelle zum digitalen Buchmarkt, der auf dem (Publikums-)Buchmarkt hauptsächlich durch die 2004 gestartete Google-Print-Initiative eingeläutet wurde, sind inzwischen einer Vielzahl von Detailfragen gewichen, die an der Schnittstelle zu anderen Branchen entstehen und von den Branchenakteuren in vielen Facetten beantwortet werden.
Vermutlich ist dies der Hintergrund für den Erfolg nicht nur von Apple/iTunes, sondern auch des Amazon-Kindle-Programms in den USA: Der Onliner reduziert Komplexität, und zwar für die Verlags- wie auch die Endkunden: bietet Autoren und Verlagen eine vergleichsweise einfache Möglichkeit, um Titel auf die Kindle-Platform zu stellen; offeriert Hardware und Software aus einer Hand, etc.. Dass dabei Wettbewerber auf der Strecke bleiben und Verlags-Kunden (durch die Dumping-Preise der E-Books) düpiert werden, steht auf einem anderen Blatt. Das vermutlich bald auf irgendeinem Podium der Branche als Notizzettel ausliegen wird.
Fotos: Buch Digitale
Nicht als Antwort, auch nicht als Kommentar im eigentlichen Sinne, sondern eher als Ergänzung möchte ich den folgenden Hinweis auf meinen Bericht verstanden wissen, den ich über die BuchDigitale geschrieben habe (ich war als akkreditierter Pressevertreter dabei).
Mir ging es zwar auch so, dass ich viele der erörterten Fragestellungen seit vielen Jahren von der Verlags-/Medien-Branche kenne,ebenso wie die Zögerlichkeit derselben hinsichtlich Digitalisierung. Gleichwohl gab es im Laufe des Tages an sich viele klare Antworten und konkrete Vorschläge, weshalb ich der BuchDigitale insgesamt ein positives Zeugnis ausstelle:
http://homepage.mac.com/hest/steinhau/Blog/files/Buch_Digitale.html
Vielleicht besteht die Funktion solcher Veranstaltung weniger im Entwickeln neuer Aspekte und Lösungen als vielmehr im Vernetzen und Homogenisieren der Kenntnisstände.
*Eine* Entwicklung hat mich in jedem Fall positiv überrascht: Auf die Umfrage von Arnoud de Kemp, ob nach Ansicht der Teilnehmer mit einer Ablösung der papiernen Veröffentlichungsmedien durch digitale Repräsentationen innerhalb der nächsten Jahre zu rechnen sei, hoben weit über die Hälfte die Hand.
Das sind die kleinen Momente, die den Beteiligten Mut machen können, den nächsten Schritt zu gehen. Wieviele hierzu inzwischen trotz der vielen Unbekannten bereit sind, erfüllt mich mit Respekt.