Die Buchbranche ist nicht nur hierzulande beim Pricing von E-Books unsicher. Die Orientierung an Print-Preisen zielt an den Erwartungen der Kunden vorbei.
Spätestens, wenn der 40. E-Book-Reader auf den Markt kommt und auch der technikaffine Leser ohne E-Hemmschwelle den Überblick verloren hat, werden sich viele in der Branche einen Werner Tiki Küstenmacher wünschen. Mit Blick auf den digitalen Dschungel an E-Readern, Formaten und Pricing-Strategien würde ein „Simplify your E-Business“ vielleicht für etwas Ruhe sorgen. Vermutlich würde der E-Küstenmacher eine Liste der dringlichsten Punkte abarbeiten. Platz eins ist aktuell: Pricing. Denn sollten die Verlage dabei ihren aktuellen Schlingerkurs beibehalten, könnte auch der zweite große Versuch, das E-Book zu etablieren, floppen – mit dem Unterschied, dass die Kosten diesmal weitaus höher ausfielen als zur Jahrtausendwende.
Preise auf Print-Niveau nicht vermittelbar
Die internationale Umfrage von Frankfurter Buchmesse und buchreport hat zuletzt gezeigt, wie unsicher die Branche bei der Festlegung der Preise ist. Während sich 19% der Befragten digitale Bücher genauso teuer wie oder teurer als das gedruckte Buch wünschen, plädieren 30% für 30% günstiger und mehr.
Hierzulande wollen sich die Holtzbrinck-Verlage bei ihrer E-Offensive, aber auch andere Publikumsverlage grundsätzlich und gewissermaßen mechanisch am Print-Preis (Hardcover, später Taschenbuch) ausrichten. Sie argumentieren mit Muster-Kalkulationen, die auf den E-Book-Investitionen der Verlage und die vorerst erwarteten kleinen Stückzahlen aufbauen. Diese Rechnung mag aus Sicht eines Controllers für den Start im kleinen Markt stimmen, ist aber mit der mittelfristigen Perspektive und den entfallenden Kosten für die Produktion und Logistik gedruckter Bücher auf Dauer für ein unkörperliches Produkt dem Kunden nicht vermittelbar.
Bei der traditionellen Buchproduktion ist ganz selbstverständlich von der Quersubventionierung jener Titel die Rede, deren Erfolg nicht sicher ist, und jener Autoren, die langfristig aufgebaut werden. Eine solche Mischkalkulation und langfristiges Denken sind jetzt auch dringend für E-Books gefragt. Ein erster Schritt: Print und E-Book müssen gemeinsam kalkuliert werden, um einen Gesamtdeckungsbeitrag zu ermitteln.
Die Verlage sind gefragt, ihre bisher marktgestaltende Rolle auch im neuen Teilmarkt anzunehmen. Nur so lassen sich die anderen Beteiligten mitnehmen und auch dafür gewinnen, zu investieren oder auch nur realistische Erwartungen zu entwickeln, angefangen von Autoren und ihren Agenten bis zu den Handelsplattformen. Diese Überzeugungsarbeit kann aber nur gelingen, wenn es ein Konzept gibt, das nicht nur das Printmodell überstülpt.
Neue Form der Kalkulation
Mögliche neue Impulse:
- Kostenlose E-Books von Debütanten, um die Autoren auf dem Markt einzuführen.
- Backlisttitel teurer als Novitäten – sie werden in der Breite im Internet deutlich stärker umgesetzt als im stationären Handel. Für Amazon sind die rund 200 „New York Times“-Bestseller à 9,99 Dollar ein Verlustgeschäft – das aber Leser auf den Markt lockt und letztlich durch die lukrativen Backlist-Titel kompensiert wird.
- E-Books mit limitierter Nutzungsdauer günstiger als unbeschränkte Titel.
- Für Liebhaber Pakete aus E-, P- und Hörbuch plus Bonus-Material schnüren.
Statt also aus der Defensive und voller Furcht vor Kannibalisierung an Anachronismen festzuhalten, müssen die Verlage mehr Flexibilität wagen, immer ausgehend von der Frage, was der Kunde – und nicht der Controller – wünscht. Auf diesem Weg kann es gelingen, im digitalen Kosmos neue Leserschichten zu erschließen, die der Buchhandel verloren oder nie gesehen hat. Und bei einer Markterweiterung kommen die Verlage so oder so auf ihre Kosten.
Daniel Lenz ist Wirtschaftsjournalist, schreibt seit 2000 für buchreport, ist verantwortlich für buchreport.de und betreibt nebenher das Wirtschaftsportal ecolot.de
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