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Das große Paket der Herausforderungen

Vorstellung der Berliner Erklärung bei der Eröffnung der Buchtage Berlin 2017. v.l.: Vincent Montagne (SNE), Pierre Dutilleul (SNE), Alexander Skipis (Börsenverein), Matthieu de Montchalin (SLF), Heinrich Riethmüller (Börsenverein), Jean Luc Treutenaere (SDLC). (Foto: Tobias Bohm)

Die diesjährigen Buchtage stehen politisch im Zeichen des deutsch-französischen Austauschs. Verbandsvorsteher Heinrich Riethmüller plädiert angesichts der aktuellen Herausforderungen in der Politik für ein gemeinsames europäisches Handeln auch für den Erhalt der Buchkultur. Der Börsenverein und Vertreter der französischen Verbände Syndicat national de l’édition (SNE), Syndicat de la Librairie Française (SLF) und Syndicat des Distributeurs de Loisirs Culturels (SDLC) haben dazu einen Appell an die politischen Entscheidungsträger in Berlin, Paris und Brüssel gerichtet. In der gemeinsamen Berliner Erklärung fordern sie nachhaltige Strategien für die Buchkultur im digitalen Zeitalter. Hintergrund der Erklärung sind Reformvorhaben auf nationaler wie europäischer Ebene, die die Rahmenbedingungen der Buchbranche grundlegend betreffen.

 

Die Berliner Erklärung der deutschen und französischen Buchhandelsverbände im Wortlaut:

Präambel

Die Buchbranche in Frankreich und Deutschland bietet qualitativ hochwertige und vielfältige Literatur in verschiedenen Bereichen, wie z.B. Bildung und Wissenschaft, Sachbuch, Belletristik. Wir leisten damit gemäß unserem eigenen Anspruch einen wertvollen Beitrag zum Gelingen einer freien und demokratischen Gesellschaft. Dies ist möglich, weil wir (noch) in rechtlichen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen arbeiten, in denen Kreativität und unternehmerische Risikobereitschaft stimuliert und ermöglicht werden. Investitionen werden seit Jahren getätigt, weil es eine Aussicht darauf gibt, diese auch erwirtschaften zu können. So können und wollen wir die großen Chancen der Digitalisierung und des Internets für die Buchbranche und damit für unsere Gesellschaft wahrnehmen.

Zunehmend hat sich allerdings die Vorstellung etabliert, Inhalte kostenfrei, sofort und überall nutzen zu können. Die sofortige Nutzung von Inhalten, wo auch immer der Nutzer sich befindet, ist ganz im Interesse der Buchbranche und ihrem Anliegen, Inhalte zu den Menschen zu bringen. Es ist allerdings eine Illusion zu glauben, dass dies auch kostenfrei geschehen könne. Wenn sich Investitionen in das Angebot nicht rentieren, so wird es künftig dieses Angebot auch nicht mehr geben.

Leistungen von Autoren, Verlagen und Buchhandlungen verdienen Respekt und Rahmenbedingungen, die Arbeit und Investitionen, Kreativität und unternehmerisches Handeln auch ökonomisch ermöglichen.

*

Das Jahr 2017 ist für die Buchbranche in Deutschland wie in Frankreich von entscheidender Bedeutung. In Brüssel werden derzeit Weichen gestellt, die den Zugang zu Inhalten im digitalen Zeitalter vereinfachen sollen. Die Europäische Kommission hat mit ihrem Reformpaket für den Digitalen Binnenmarkt verschiedene Schritte vorgezeichnet, die aktuell umgesetzt und beraten werden. Als Vertreter der deutschen und französischen Buchbranche begleiten wir den Reformprozess und begrüßen diesen grundsätzlich, sehen in der aktuellen Diskussion allerdings den deutlichen Bedarf an einer ausgewogenen und verhältnismäßigen Prüfung durch die Mitgliedstaaten und das Europäische Parlament.

Innovative und gut funktionierende Publikationsstrukturen, die wir in Frankreich und Deutschland und in vielen anderen Mitgliedsstaaten kennen, sind über Jahrhunderte gewachsen. Der Wunsch nach einem einheitlichen Digitalen Binnenmarkt darf diese Strukturen und zugleich wesentlichen Garanten für kulturelle Vielfalt und Identität in Europa nicht opfern.

**

Die Zukunftsfähigkeit der europäischen Buchbranche kann nur durch eine weitsichtige und bedachte Herangehensweise an den Reformprozess garantiert werden. Wir fordern die politischen Entscheidungsträger in Frankreich und Deutschland dazu auf, aktuelle gesetzgeberische Entwicklungen auf europäischer Ebene mit gemeinsamen Standpunkten und einer gemeinsamen Strategie für die Buchkultur im digitalen Zeitalter zu begleiten. Insbesondere fordern wir den Einsatz für ein starkes Urheberrecht, das Innovationen, Publikationsfreiheit und kulturelle Vielfalt garantiert, sowie das Eintreten für die Buchpreisbindung, essentielle Grundlage für ein vielfältiges Buchangebot und eine flächendeckende Versorgung der Bevölkerung durch Buchhandlungen.

Wir fordern im Einzelnen,

  • die Grundlage der bewährten gemeinsamen Rechtewahrnehmung durch Urheber und Verlage in Verwertungsgesellschaften zu sichern, indem die Beteiligung von Verlegern an deren Erlösen aufgrund ihrer Rolle als Inhaber übertragener Nutzungsrechte ausdrücklich ermöglicht wird.
  • Bildung konsequent als einen unserer wichtigsten Rohstoffe zu begreifen und deshalb qualitativ hochwertige und vielseitige Lehrmittelangebote von Verlagen als wichtiges Element der Qualität von Bildung anzuerkennen. In Anbetracht der derzeit diskutierten Schrankenregelungen im Urheberrecht ist zu befürchten, dass das Gegenteil erreicht und Bildungs- und Wissenschaftsverlagen der wirtschaftliche Boden entzogen werden soll.
  • den Wert und die Vielfalt sorgfältig kuratierter Inhalte als Grundstein unabhängiger und pluralistischer Meinungsbildung anzuerkennen und die Zukunft einer kritischen und engagierten Buchbranche zu fördern. Ausufernde Zugriffsmöglichkeiten für Nutzer und Institutionen ohne Lizenz würden die Investitionen der Branche gefährden.
  • den vielfältigen und flexiblen Lizenzangeboten der Verlage generell den Vorrang vor Schrankenregelungen einzuräumen, da nur sie eine faire und angemessene Vergütung für Autoren und Verlage und damit einhergehend innovative und hochwertige Angebote für Studenten, Lehrende und Forscher gewährleisten.
  • die Rolle unabhängiger Buchhandlungen mit ihrem kultur- und bildungspolitischen Auftrag zu stärken – mit einem klaren Bekenntnis zu der in über zehn Mitgliedstaaten geltenden Buchpreisbindung, die immer wieder Gefahr läuft, durch Maßnahmen innerhalb des Reformpaketes für den Digitalen Binnenmarkt aufgeweicht zu werden.
  • urheberrechtlich geschützte Inhalte wie E-Books aus der geplanten Geoblocking-Verordnung auszunehmen, da die Regelung in dieser Form die Teilnahme kleinerer und mittelständischer Buchhandelsunternehmen am E-Book-Markt zugunsten weniger, großer Plattformen untergräbt. Nach jetzigem Stand der Verordnung müssten Buchhändler jeden Kunden in Europa gleichermaßen beliefern, was hohe Investitionen erfordern würde, die in Bezug auf die Marktgröße und die grenzüberschreitende Nachfrage nach E-Books unverhältnismäßig wären. Damit würde man letztlich den großen Plattformen das Feld überlassen.
  • sich dafür einzusetzen, dass mit dem Europäischen Rechtsakt zur Barrierefreiheit ein Instrument geschaffen wird, das in einem konstruktiven Zusammenhang mit der Regelung zum Marrakesch-Vertrag steht und es daher vermeidet, die Unternehmen übermäßig zu belasten. Gleichzeitig muss die Regelung im Hinblick auf die technischen Anforderungen zukunftstauglich und entwicklungsoffen gestaltet werden.
  • im Interesse eines fairen Wettbewerbs und der Wahlfreiheit des Lesers die Interoperabilität in Bezug auf Formate und technische Schutzmechanismen von E-Books und Lesegeräten in der Richtlinie über „Vertragsrechtliche Aspekte der Bereitstellung digitaler Inhalte“ zu verankern.
  • sich gemeinsam für eine rasche und lang erwartete Umsetzung der aktuellen Initiative der EU-Kommission hin zu einem ermäßigten Mehrwertsteuersatz für elektronische Publikationen einzusetzen.

Wir ersuchen die Regierungen der Französischen Republik und der Bundesrepublik Deutschland, diese Punkte in gemeinsame Diskussionen aufzunehmen und zum Wohle einer vielfältigen und zukunftsfähigen europäischen Buchpolitik zu berücksichtigen. Gerade im sogenannten postfaktischen Zeitalter, in dem zwischen Fakten und Wissen auf der einen und gefühlten Wahrheiten auf der anderen Seite unterschieden werden muss, ist die Aufgabe von unabhängigen Verlagen und Buchhandlungen für einen freien Markt mit hochwertigen Medien wichtiger denn je.

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