Der internationale Wissenschaftsverlagsriese Elsevier hat die Lieferungen an vertragslose Bibliotheken eingestellt.
Hintergrund: Seit 2016 verhandelt die Hochschulrektorenkonferenz (HRK) für die Allianz der deutschen Wissenschaftsorganisationen mit Elsevier über eine Nationallizenz für die Hochschul- und Forschungsbibliotheken. Es ist das „Projekt Deal“. Die „Deal“-Nationallizenz über wissenschaftliche E-Journals soll die einzeln pro Institution abgeschlossenen Abonnements ablösen. Viele Bibliotheken haben daraufhin ihre Abos gekündigt, teils weil der Zeitplan, eine baldige Nationallizenz in Aussicht stellte, teils um während der Verhandlungen Druck auf Elsevier auszuüben.
Die Verhandlungen waren kürzlich ausgesetzt worden. Horst Hippler, Präsident der HRK und Verhandlungsführer der Wissenschaft: „Die überhöhten Forderungen des Verlags Elsevier haben uns gezwungen, die Verhandlungen des Projekts ‚Deal‘ mit dem Verlag zu unterbrechen.“ Hier geht es zum ausführlichen Artikel über den „Deal“ und die Unterbrechung der Verhandlungen (PLUS-Beitrag).
Aus Kreisen des Verlags ist dagegen zu hören, dass es Differenzen in der Agenda gibt. Dem Vernehmen nach priorisiere die HRK finanzielle Fragen, Elsevier dagegen zunächst grundlegende Parameter und Rahmenbedingungen des Projekts. Das hängt mit der komplexen Doppelstrategie der HRK zusammen.
Komplexes Projekt und Streit ums Geld
Tatsächlich geht es den Hochschulen und Wissenschaftsorganisationen darum, Elsevier im Preis zu drücken. Der Verlag ist in der Vergangenheit immer wieder wegen seiner Preispolitik kritisiert worden. Gleichzeitig mit den Preisverhandlungen wollen die Wissenschaftsorganisationen und die federführende HRK aber die deutsche Wissenschaftskommunikation auf eine neue Grundlage stellen, nämlich Open Access zum Standard machen. Bei Open Access bezahlt vereinfacht ausgedrückt der Autor bzw. sein Institut den Verlag für die Veröffentlichung, der Zugang ist für die Nutzer frei.
Zwar spielt Open Access in der Wissenschaftskommunikation bereits eine wachsende Rolle, aber das vorherrschende Geschäftsmodell ist derzeit weiterhin das Abonnement, bei dem Bibliotheken und Forschungsinstitute dafür zahlen, dass ihre Wissenschaftler und Studenten Zugang zu den Publikationen haben.
Mit dem „Projekt Deal“ versucht die Allianz der deutschen Wissenschaftsorganisationen und die federführende HRK also, Sparziel und Open-Access-Politik zu einem Paket zu schnüren. Das Verhandlungsziel mit Elsevier und anderen Wissenschaftsverlagen:
- Die Hochschulen und Forschungsinstitute wollen dauerhaften Volltextzugriff auf das gesamte Titel-Portfolio (E-Journals) der ausgewählten Verlage haben, also keine Abonnements mehr abschließen.
- Geld fließt stattdessen an die Verlage für die Publikation inkl. der Steuerung der Begutachtung (Peer Review): Alle Publikationen aus deutschen Einrichtungen sollen dementsprechend standardmäßig Open Access geschaltet werden.
Die vom Deal-Konsortium geforderte Umstellung auf Open Access verlangt von den Verlagen also zweierlei, erstens ihr Geschäftsmodell umzustellen und zweitens über die Finanzierung zu verhandeln.
HRK-Präsident Hippler moniert bei der Meldung zur Unterbrechung der Verhandlungen, Elsevier sei weiterhin nicht bereit, „einen wissenschaftsadäquaten Leistungsumfang unter den Grundsätzen des Open Access anzubieten, der nachhaltig finanzierbar ist.“ Mit der Unterbrechung soll erst einmal neuer Druck aufgebaut werden. Denn: Weil zahlreiche Bibliotheken ihre Elsevier-Abonnements gekündigt haben, verliert der Verlag Umsatz.
Elsevier hatte darauf ein grundsätzliches Bekenntnis zu den „Deal“-Plänen veröffentlicht („Elsevier setzt sich für eine nationale Vereinbarung mit dem Projekt Deal ein und möchte eine nachhaltige Lösung zur Unterstützung der deutschen Forschung und ihrer Open-Access-Ambitionen finden.“) Der Verlag machte aber zugleich als Antwort auf die Verhandlungsunterbrechung deutlich, gegenüber Bibliotheken und Instituten, die gekündigt haben, die Kulanz zu beenden: „Nachdem Elsevier den Zugang für diese Institutionen in Erwartung auf Fortschritte bei den ‚Deal‘-Verhandlungen bisher aufrechterhalten hat, werden wir nun mit ihnen besprechen, welche Angebote sie von Elsevier in Zukunft beziehen wollen“, heißt es vom Verlag leicht verklausuliert.
Jedem Kunden stehe die Möglichkeit einer temporären Verlängerung bis zum in Krafttreten einer zukünftigen Nationallizenz offen. In den Einzelverhandlungen soll der individuelle Bedarf im Fokus stehen. Die Wissenschaftsinstitutionen der „Deal“-Allianz organisieren für die betroffenen Bibliotheken, die nicht mehr beliefert bzw. freigeschaltet werden, ein Notversorgungssystem über Fernleihe, Dokumentenlieferdienste und Pay-view-Zugriff, bei dem einzelne Artikel bezahlt werden, berichtet aktuell die „FAZ“ über die Deal-Eskalation. Auch der Archivzugriff bleibe erhalten.
Verlage beklagen Unwägbarkeiten
Es geht nicht nur ums Geld. Das „Deal“-Konzept enthält mit der Umstellung auf das Geschäftsmodell Open Access viele Unwägbarkeiten, die für die Verlage Kalkulation erschweren. Dies führen auch die beiden anderen großen Wissenschaftverlage Wiley und Springer Nature an, mit denen die HRK ebenfalls in Verhandlungen steht. Siehe ausführlich im PLUS-Beitrag.
Das war zu erwarten. Hier prallen zwei Welten auf einander. Ein Vergleich mit der Energiewende bietet sich an. Seit 2006 wird über Open Access in den APE-Konferenzen in Berlin (siehe ape2018.eu) diskutiert. Viel im Sinne von Verständnis wurde erreicht. Aber noch mehr Fragen sind offen. Inzwischen wird bezweifelt, ob Open Access der Königsweg ist. Das Ziel 2020 wird auf keinen Fall erreicht. Die Konzentration auf Grossverlage lässt viele kleinere spezialisierte Verlage (und dazu gehören viele non-for-profit Verlage, wie Gesellschaften, Institute, Vereinigungen) im Regen stehen. Der Zwischenhandel wird völlig ausgeschaltet. Und es wird immer mehr publiziert. Brave New World!