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Den 360º-Ansatz findet man nur in Frankfurt

Noch wenige Wochen bis zur Frankfurter Buchmesse (6. bis 10. Oktober), auf der neben dem klassischen Buchgeschäft neue Technologien und Geschäftsmodelle auf Markttauglichkeit geprüft werden. Die Bühne für die „Player“ ist bereitet, die Buchmesse wartet mit modifizierten Konzepten und Neuerungen auf (s. Übersicht im Anschluss an den Artikel; hier außerdem Hilfestellung zur Messe-Planung).

Buchmesse-Chef Juergen Boos versucht, auf die strategischen und wirtschaftlichen Herausforderungen der Branche ebenso die richtigen Antworten zu finden wie auf die buchreport-Fragen zur weiteren Ausrichtung der Frankfurter Buchmesse.

Wenn alles in Bewegung ist, die Buchbranche, die gesamte Me­dienwelt und der Handel: Muss die Buchmesse dann eher ein ruhiges Fundament für nervöse Spieler bieten oder soll sie als Impulsgeber zusätzlich anheizen?
Wir müssen immer beides tun. Tatsächlich ist vieles in Bewegung, die Branche ist verunsichert, es wird experimentiert und auch neugierig ge­schaut, wohin die Reise geht. Wir müssen natürlich Orientierung bieten über das was kommt, und das tun wir auch, etwa durch Seminare und Fachkonferenzen auf der Messe. Insofern heizen wir die Diskussion schon an und fokussieren die Entwicklung. Gleichzeitig bieten wir die etablierte Plattform fürs Kerngeschäft und die persönliche Kontaktpflege. Beide Aspekte ergänzen sich.

Wie groß ist die Gefahr, dass das Neue durch die Messe und Medien überpointiert, gehypt wird und das Kerngeschäft, das das Geld verdient, an den Rand gedrängt wird?
Die Themen sind gesetzt und die Aufmerksamkeit beispielsweise für das iPad riesengroß; und das ja nicht nur in der Branche und den Fachmagazinen, sondern auch in den Publikumsmedien. Das Überpointieren gehört dazu, um auszuloten, was möglich ist. All das stellt das Kerngeschäft überhaupt nicht in Frage. Denken wir an den Lizenzhandel als eines der Kerngeschäfte der Frankfurter Buchmesse: Der nimmt ja zu, auch durch den regen Handel mit digitalen Verwertungsrechten wegen der neuen Möglichkeiten digitaler Rechte.

Der stationäre Handel, nicht nur im Buchhandel, verliert gegenüber dem Internet-Shopping an Boden. Die Menschen gehen also verstärkt auf virtuelle Marktplätze. Welchen Einfluss hat eine solche gesellschaftliche und kommunikative Veränderung auf den großen Marktplatz Buchmesse?
Wir alle kommunizieren im Alltag mit unterschiedlichsten Medien. Aber die Frankfurter Buchmesse bietet die ganz besondere Situation, dass einmal im Jahr die ganze Buchwelt aus über 100 Ländern zusammenkommt, mit Teilnehmern aus allen Teilbranchen vom Autor bis zum Händler. Zunehmend drängen auch buchferne Player mit anderen Ansätzen und Technologien in den Markt, Gerätehersteller, Softwarehersteller bis hin zu Telefongesellschaften, die alle Inhalte suchen. Die direkte Begegnung zwischen Geschäftspartnern wird da eher noch wichtiger. Am persönlichen Gespräch führt kein Weg vorbei: Man trifft sich, lernt sich kennen, schafft Vertrauen, das funktioniert nur, wenn man sich mindestens einmal im Jahr gegenübersitzt. Ich rechne bei den Fachbesuchern eher mit weiterem Zuwachs.

Die aktuelle Umfrage unter Messeteilnehmern zeigt, dass das Herstellen dieser direkten Kontakte tatsächlich als wichtigste Funktion der Frankfurter Buchmesse wahrgenommen wird. Stimmt dann das Geschäftsmodell der Messe noch, Stände nach Quadratmetern zu verkaufen?
Auch da bewegt sich etwas, aber man muss schon stark differenzieren. Es gibt Verlags­typen, die den Medienevent su­chen und den engen Publikums­kontakt…

…anders die Wissenschafts- und Fachverlage.
Auch dort gibt es ganz unterschiedliche Diskussionen und auch Notwendigkeiten, sich ansprechend zu präsentieren. Auf der anderen Seite arbeiten wir mit neuen Formen und entwickeln sie weiter. Im letzten Jahr haben wir mit der TOC-Konferenz in Kooperation mit O’Reilly Media begonnen…

…„Tools of Change for Publishing“ als Pendant zur Frühjahrs-TOC in New York.
Ja, auch eine solche hochkarätige Konferenz ist ein Marktplatz für Menschen, die ähnliche Fragestellungen umtreibt. 

Entwickelt sich die Frankfurter Buchmesse zu einem Kongress?
Nicht zu einem Kongress, sondern zu sehr vielen Kongressen, die zur gleichen Zeit stattfinden. Hersteller haben andere Informationsbedürfnisse etwa zu technischen Entwicklungen als Illustratoren oder Bildungsverleger oder junge Start-up-Unternehmen.

Differenziert sich damit die Messe-Kalkula­tion weiter aus?
Ja, es wird schon in diesem Jahr mehr Veranstaltungen im Stil der TOC-Konferenz geben. Das sind kleine Messen innerhalb der Buchmesse, die zum Teil einzeln bepreist werden. Da verändert sich tatsächlich das Geschäftsmodell. Man darf allerdings nicht übersehen, dass da ein entsprechend großer Aufwand dahintersteht

Manche Messen leben von der Präsentation neuer spektakulärer Produkte. Content, der Stoff, der auf der Buchmesse gehandelt wird, ist immer weniger greifbar. Durch die Digitalisierung versteht jeder, dass es hier nicht unbedingt um klassische Produkte geht. Verändert das den Charakter der Buchmesse?
Ja, es sind neue Messekonzepte gefragt. Wir richten beispielsweise an sechs Ausstellungsorten in verschiedenen Messehallen „Hot Spots“ ein, Präsentationsplattformen, die speziell für Anbieter von digitalen Produkten ausgerichtet sind. Neue Anbieter sollen mit den klassischen Vertretern der Branche zusammentreffen. Wir versuchen alle zusammenzubringen, die sich in irgendeiner Form mit Content beschäftigen. Wir verstehen uns als Ermöglicher von Netzwer­ken. Das ist ein 360º-Ansatz, den man nur in Frankfurt findet.

Erschöpft sich darin letztlich die Leistung einer Messe, Begegnungsstätten und Plattformen bereitzustellen?
Wir haben schon den Vorteil, dass wir uns sehr intensiv mit unserem Thema beschäftigen. Andere Messeveranstalter bedienen unterschiedliche Branchen. Wir beschäftigen uns ausnahmslos mit der Buch- und Medienwelt: Wir sind weltweit unterwegs. Da entsteht sehr viel Wissen, wie sich die jeweiligen Märkte und Länder entwickeln. Wir sehen etwa, dass die technologische Entwicklung in China mittlerweile ein halbes Jahr vor Amerika liegt, kennen die unterschiedlichen Stärken und Schwächen der Märkte und bringen dann alle gleichzeitig nach Frankfurt. Dieses Wissen um die Zusammenhänge ist die Stärke von Frankfurt und wir sind damit Teil der Wertschöpfungskette und eben nicht nur ein Vermieter von Messequadratmetern.

Sie versuchen auch, Buchmesse zum Ganzjahresprodukt zu formen. Wie soll das funktionieren?
Körperlich finden wir tatsächlich das ganze Jahr über statt, indem wir deutsche Bücher auf 25 Auslandsbuchmessen präsentieren und versuchen, den Lizenzhandel zu fördern. Wir veranstalten internationale Kongresse und Seminare in Kooperation mit den Verlegerverbänden, in diesem Frühjahr zum Beispiel in Brasilien. Das ist ein Ganz-Jahres-Netzwerken. Und auch das Konzept des Ehrengastauftrittes zieht sich mit vielen Veranstaltungen jeweils fast über ein ganzes Jahr hin.

Und was machen wir mit dem Buch mit unseren Namen, fragt buchreport die Buchmesse angesichts des immer breiter werdenden Medienspektrums.
Die Frage wird immer mal wieder gestellt. Man kann das „Prinzip Buch“ auch in anderen Formaten erkennen und in den iBookstore gucken, in dem auch virtuelle Buchregale stehen. Wir können mit dem Begriff  Buchmesse sehr gut leben – so wie buchreport mit seinem Namen.

Die Fragen stellte Thomas Wilking

Funke soll jetzt überspringen

Die Frankfurter Buchmesse setzt in diesem Jahr auf Hot Spots

Die Frankfurter Buchmesse weist über Jahre viele Konstanten auf, wird aber zugleich ein Stück weit neu erfunden. Der wichtigste Ansatz 2010 wird die engere Verknüpfung zwischen klassischen Verlagen und digitalen Akteuren sowie ihren Angeboten sein. 

Frankfurt Sparks heißt die digitale Initiative, die Angebote zum E-Business bündeln soll. Mit Sparks (engl. für Funken) soll die Zusammenarbeit von traditionellen Buchverlagen und Akteuren der Technologie-, Medien- und Entertainmentbranchen zünden. Geplant sind neue Ausstellerplattformen und ein er­weitertes Angebot an Fachkonferenzen. Zusammengefasst sind unter Frankfurt Sparks zwei Projekte „Frankfurt StoryDrive“ im Film & Media Forum sowie „Hot Spots“.

Frankfurt Hot Spots sind sechs ausgewiesene Präsentationsplattformen für digitale Anwendungen, die unter dem Motto „Inhalt trifft Technologie“ die Verlagswelt und die Technologiebranche zusammenführen sollen. Die Hot Spots fokussieren das digitale Angebot der Buchmesse und sollen einen Überblick über zentrale Aspekte des digitalen Publizierens bieten: Thematisch strukturiert und strategisch auf fünf Messehallen verteilt, sollen die Hot Spots die besondere Aufmerksamkeit des Messepublikums und der Medien gewinnen.

Jeder Hot Spot ist mit einer Bühne ausgestattet, die Aussteller für Produktpräsentationen und Diskussionsrunden nutzen können. Im Einzelnen:

  • Der Devices Hot Spot (Halle 8.0) ist die Plattform für internationale Geräte- und Zubehörhersteller, ob E-Reader oder Tablet Computer.
  • Der Mobile Hot Spot (Halle 6.0) bringt die Player des mobilen Internets zusammen.
  • Dienstleister aus den Bereichen Workflow-Prozesse, CMS- und Da­tenbanksysteme, Softwareanbieter für Bibliotheken oder Rich-Media- Integration präsentieren ihre Neuheiten im Information Management Hot Spot (Halle 4.2).
  • Im Education Hot Spot (Halle 4.2) geht es um Trends im Bereich Bildung und die Entwicklung von neuen digitalen Produkten.
  • Beim Publishing Services Hot Spot (Halle 4.0) stehen Produktdienstleistungen im Mittelpunkt: Aufbereitung von Daten, Design, Druck und digitale Auslieferung sowie Mar­keting-Services und Web-2.0-Integration.
  • Der Literature & Special Interest Hot Spot (Halle 3.1) ist Buchcommunities, Literatur- und Autorenportalen gewidmet. Er soll sich als Multiplikator im Zeitalter von Social Media etablieren.

mehr: www.hotspotfrankfurt.com

Mit Frankfurt StoryDrive richtet sich die Buchmesse erstmals explizit an die gesamte Medien- und Entertainmentwelt. Das branchenübergreifend ausgerichtete Projekt findet im Film & Media Forum statt und bietet neben einer zweitägigen Konferenz einen crossmedialen Handelsplatz für Medienrechte, einen Marktplatz sowie ein begleitendes Rahmenprogramm für das Publikum.
mehr: www.storydrivefrankfurt.com

Weitere Neuerungen auf der Frankfurter Buchmesse 2010:

  • Weltempfang heißt das neue Zentrum in Halle 5.0, in dem das Internationale Zentrum und das Übersetzer-Zentrum verschmelzen werden. Lesungen und Diskussionsforen mit internationalen Autoren und Übersetzern finden dort ihren Platz. Gleichzeitig ist es Treffpunkt für Vertreter von Mittlerorganisationen  wie beispielsweise dem Goethe-Institut oder dem Deutschen Akademischen Austauschdienst DAAD sowie für internationale Verleger aus sich entwickelnden Buchnationen, die im Rahmen des Einla­dungs­programms auf der Frankfurter Buchmesse ausstellen.
  • Nach dem Einstand der Gourmet Gallery auf der Frankfurter Buchmesse 2009 wird die Fläche des Genuss-Areals in diesem Jahr verdoppelt. Zentral platziert an einem neuen Standort in Halle 3.1 (vorher Halle 5.0) und auf einer Fläche von rund 800 qm plant die Buchmesse in der Gourmet Gallery ein Programm mit Kochshows, Verkostungen, Buchausstellungen und Verlagspräsentationen.
    www.gourmet-gallery.de
  • Das Zentrum Bild und das Archiv der Zeichner Filu wachsen zu­sam­men. Weil in der digitalen Me­dien­welt Bilder immer wichtiger werden, so die Analyse der Buchmesse, wächst das Interesse an Bildrechten. Dafür ist das Zentrum Bild in Halle 4.1 der Handelsplatz für Bildanbieter auf Bildankäufer. Es liegt in unmittelbarer Nachbarschaft zu Kunstbuch- und deutschsprachigen Belletristik-Verlagen. Das dort ebenfalls angesiedelte Filu, Anlaufpunkt für Illustratoren und Verleger, bietet als begehbares Archiv Tausende Arbeits­proben unterschiedlicher Stile und Themen von fast 500 Künstlern.

Fotos: Frankfurter Buchmesse

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