Dies ist ein turbulentes Jahr für den deutschen E-Book-Markt: Im März kam der Reader von Sony in viele Buchhandlungen und Online-Shops, zur Buchmesse folgte der Kindle in über 100 Ländern. Viele Verlage und Buchhändler stehen dem „E-Book-Hype“ eher kritisch gegenüber, weil sie Umsatzeinbrüche beim gedruckten Buch befürchten, aber auch weil sie die preisdrückende E-Book-Politik etwa von Amazon im Ausland verfolgen. Das führt direkt zu den Fragen: Wie geht man als Anbieter mit E-Books am besten um? Und wie verdient man damit Geld?
Den Markt aktiv gestalten
„Macht Epubs, ihr Verlage! Öffnet die Tresore! Wir wollen lesen!“ ruft der Gründer von Txtr in einem buchreport-Interview. Während die Anbieter an ihren Lesegeräten feilen, Technologien verbessern, sich in Formatfragen näherkommen und beim Digital Rights Management Lösungen entwickeln, bleiben Verlage und auch der Handel weiter eher zurückhaltend.
Zwar finden sich in den Online-Shops der E-Book-Händler – allen voran bei Thalia und Libri – mehr und mehr digitale Bücher, doch verglichen mit der Masse der hierzulande angebotenen gedruckten Bücher ist das Angebot noch sehr überschaubar. So befanden sich im September beispielsweise nur drei von zehn aktuellen „Spiegel“-Bestsellern im Bereich Belletristik im September als Epub-Bücher bei Thalia, Libri.de oder Buch.ch. Woran liegt das?
Die Gründe für die Zurückhaltung sind vielfältig und erreichen von einer Grundskepsis über technische und rechtliche Probleme bis hin zu fehlenden Geschäftsmodellen für die elektronische Verwertung. Allerdings können sich weder Verlage noch der Buchhandel diesem Trend verschließen und müssen ihren Kunden die Möglichkeit geben, digitalen Lesestoff für die tragbaren Geräte zu kaufen.
Statt Bedenken vorzutragen und Schwierigkeiten zu beklagen, sollte sich die Buchbranche in dieser Anfangsphase lieber aktiv einbringen, um Standards zu etablieren und Voraussetzungen für ein profitables Angebot zu schaffen, den Markt sozusagen auf der grünen Wiese entwickeln, denn nach Möglichkeit sollte mit E-Books auch Geld verdient werden. Dies ist im Online-Bereich in der Vergangenheit ja leider nicht immer gelungen. So haben Zeitungs- und Zeitschriftenverlage am Anfang die Chance verpasst, für ihre Online-Ausgaben Preise zu etablieren, mit der Folge, dass aktuelle Informationen heute im Internet generell als kostenlos angesehen werden.
Um diese Gefahr zu vermeiden, sollten Verlage und Händler also schnellstmöglich Strategien für das Pricing von E-Books entwickeln. Wenn man mit E-Books Geld verdienen möchte, sind einige grundsätzliche Überlegungen anzustellen:
1. E-Books haben einen Wert – und einen Preis!
Wie bei allen digitalen Produkten sind die Grenzkosten für E-Books gleich null, d.h. nachdem das erste E-Book produziert ist, fallen für die weiteren Kopien kaum Kosten an. Daher ist die Gefahr groß, dass Verlage und Buchhändler (sofern E-Book-Produkte nicht der Preisbindung unterliegen) sich gegenseitig mit Sonderangeboten und Schnäppchenpreisen unterbieten werden. Gerade in der Anfangsphase, in der der Markt aufgeteilt wird, ist es für Anbieter sehr verlockend, mit niedrigen Preisen möglichst schnell viele Kunden zu gewinnen.
Allerdings ist es auch bei E-Books nicht sinnvoll, sich mit Preiskämpfen und ruinösem Wettbewerb die Margen gegenseitig kaputt zu machen und den Lesern von Anfang an beizubringen, dass E-Books für wenig Geld zu haben sind. Doch das Preisniveau hochzuhalten, erfordert Disziplin im Wettbewerb und gute Argumente gegenüber dem Kunden, denn wie kann man begründen, dass E-Books etwas kosten, wo doch die Grenzkosten null sind?
Für die Leser muss daher der Nutzen, nicht die Kosten der E-Books in den Mittelpunkt gestellt werden: Ganz vorn steht dabei natürlich der Inhalt des Buches, wie beim gedruckten Exemplar. Dazu kommen aber verschiedene Zugriffs- und Personalisierungsfunktionen, die gerade bei Fach- oder Lehrbüchern noch einen deutlichen zusätzlichen Nutzen bieten. Volltextsuche, Testfragen-Tools, ein Lexikon oder Glossar am Seitenrand sowie das Markieren wichtiger Passagen, das Zusammenstellen von Exzerpten oder eigene Anmerkungen sind nur einige dieser nützlichen Funktionen. Diesen Nutzen im Preis auszudrücken ist zwar schwieriger als Cost-Plus-Pricing, aber absolut möglich. Nötig ist dafür der Fokus auf den Kunden.
In den USA finden sich zwar eine Reihe von E-Books für 0,00 bis 0,25 US-Dollar, doch handelt es sich hier oft um schlecht eingescannte Bücher ohne jegliche Zusatzfunktion. Wissenschaftliche Standardwerke haben auch als E-Books stolze Preise: Bis zu 6000 US-Dollar. Trotz dieser immensen Bandbreite versucht Amazon in den USA einen Preis von 9,99 US-Dollar zu etablieren, um die Akzeptanz des neuen Produkts zu steigern und die eigene Vormachtstellung zu sichern. Laut Brancheninsidern verdient selbst Amazon bei diesen Preisen kein Geld mit den E-Books: Die Erträge kommen aus dem Verkauf der teuren Lesegeräte.
Ein einheitliches, niedriges Preisniveau kann also für die deutschen Verlage kein Ziel sein, denn wenn Leser für gedruckte Bücher bereit sind, unterschiedliche Preise zu zahlen, warum dann nicht auch für die elektronische Version? Und gerade in der Anfangszeit sollte die Buchbranche die Leser nicht an ein zu niedriges Preisniveau für E-Books gewöhnen.
Die aktuelle Bandbreite für typische Belletristik-Bücher von ca. 2 bis rund 30 Euro zeigt jedoch, dass genau diese Gefahr besteht. In diesem Rahmen ist auch Preiskommunikation von großer Bedeutung. Wer öffentlich über seine Preise spricht und diese mit dem Wert seiner E-Books begründet, setzt für Kunden und Wettbewerber ein klares Zeichen: Hier werden die Produkte nicht verramscht.
2. Preise für E-Books nicht fest an den Preis der gedruckten Ausgabe binden.
Ein E-Book ist in der Regel eine weitere Ausgabe eines gedruckten Buchs. Da ist die Versuchung groß, den Preis daran zu koppeln. Auf den ersten Blick erscheint das sehr einfach und leicht nachvollziehbar. Bei genauerer Betrachtung wird es aber schwieriger: Soll das E-Book mehr oder weniger als das gedruckte Buch kosten? Und gibt es einen einheitlichen Auf- oder Abschlag, der für alle Bücher passt? Wohl kaum. Außerdem: Was passiert mit einem E-Book, dessen Preis z.B. mit 80% der Hardcover-Ausgabe ausgewiesen ist, wenn das Taschenbuch herauskommt? Muss der Preis dann automatisch auch gesenkt werden? Mit welcher Begründung? Ganz so einfach ist dieses Vorgehen also doch nicht und sicherlich auch nicht gewinnoptimierend.
Elektronische und klassische Bücher sind vielmehr eigenständige Produkte, denn auch wenn der Inhalt gleich ist, erfüllen beide ganz unterschiedliche Anforderungen: Ein gedrucktes Buch kauft man einmal, liest es und kann es dann ins Regal stellen, wo auch andere es sehen können. Es ist physisch da und vermittelt ein haptisches Erlebnis. Das kann ein E-Book nicht – dafür ist auch ein 1000-Seiten-Werk kein dicker Wälzer, es kann personalisiert und bearbeitet werden, ist sofort nach Online-Kauf verfügbar, es zerfleddert nicht, und selbst die umfangreichste E-Book-Bibliothek hat problemlos in der Westentasche Platz. Je nachdem, ob es sich um ein Lehrbuch oder einen Roman handelt, und je nachdem, was für Präferenzen der einzelne Leser hat, kann ein E-Book daher mehr oder weniger Wert sein als das gedruckte Exemplar.
Da Bearbeitungs- und Personalisierungsmöglichkeiten gerade bei Lehrbüchern eine große Rolle spielen, ist es auch nicht verwunderlich, dass der E-Book-Preis in den Warengruppen Fachbuch und Wissenschaft in der Regel über dem Ladenpreis liegt, während Belletristik-E-Books in der Regel günstiger sind, ohne dass es eine feste Preisbeziehung zwischen elektronischem und gedrucktem Buch gäbe.
3. Pricing-Möglichkeiten für digitale Produkte nutzen, nicht nur auf traditionelles Buchpricing setzen.
Als digitales Produkt bietet ein E-Book deutlich mehr Spielraum für Pricing als das gedruckte Buch, wobei die Frage der Buchpreisbindung bei printidentischen Produkten grundsätzlich im Raum steht, andererseits die sehr unterschiedlichen Distributionsformate auch eine differenzierte Betrachtung verlangen: Neben dem klassischen Kauf (also Download und damit dem Recht auf unendlich viele Zugriffe) des E-Books kann der Leser auch nur die Nutzung bezahlen (pay-per-use) oder einzelne Kapitel z.B. eines Lehrbuchs kaufen. Auch Abo-Modelle, wie man sie aus anderen Bereichen kennt, können hier funktionieren: In den USA beispielsweise gibt es heute schon ein Kindle-Abo für zahlreiche regionale und überregionale Tageszeitungen für rund 10 Dollar pro Monat.
Die immer beliebter werdenden Download-Abos im Hörbuch-Bereich zeigen, dass so etwas auch in Deutschland klappen könnte. Neben dem E-Paper-Abo für Zeitschriften scheint auch ein E-Book-Abo für Bücher möglich. Auch ein Buchklub-Modell mit monatlicher Grundgebühr, die zum vergünstigten Kauf von E-Books berechtigt (bzw. zum regelmäßigen Kauf verpflichtet), wäre denkbar.
Um das Pricing-Potenzial der digitalen Bücher zu nutzen, sollte man bei der Entwicklung von Preismodellen für E-Books also auch über den Tellerrand blicken. Angesichts der Vielfalt an Möglichkeiten muss jeder Verlag überlegen, welches Preismodell für welchen Buchtyp am besten geeignet ist, denn ein einfaches Einheitsmodell ist aus Erlössicht sicherlich nicht optimal.
4. Beim Pricing bedenken: E-Books funktionieren nur mit einem E-Book-Reader.
Voraussetzung für die Nutzung von E-Books sind teure, tragbare Endgeräte; die Preise liegen in Deutschland zwischen 200 und 300 Euro. Da das Budget der Kunden für Bücher aber nicht unbedingt steigen wird, müssen zumindest in der Anfangszeit die Gesamtkosten für Reader und E-Book begrenzt werden. Eine Subventionierung des Readers beim Abschluss eines E-Book- oder E-Paper-Abos ist denkbar, ähnlich wie in der Mobilfunkbranche teure Handys beim Abschluss eines Mobilfunkvertrags auch vom Anbieter vergünstigt angeboten werden. Auch Leih- oder Mietmodelle wie für WLAN-Modems sind vorstellbar: DSL-Anbieter stellen ihren Kunden oft ein Modem für die Dauer der Vertragslaufzeit sehr günstig oder sogar kostenlos zur Verfügung.
Buchhändler und Verlage sollten sich über solche Leihmodelle für E-Book-Reader Gedanken machen, um den Kunden einen „risikolosen“ Test der neuen Technologie zu ermöglichen. Als zeitlich begrenztes Einstiegsangebot (aber nicht als dauerhaftes Preismodell!) ist aber auch die umgekehrte Subventionierung möglich: Dann erhielte der E-Book-Reader-Käufer mit dem Gerät bereits ein oder mehrere E-Books.
5. E-Books als Chance sehen, nicht als Risiko.
Überträgt man die Entwicklung des E-Book-Markts aus den USA auf Deutschland, ist die Frage nicht, ob E-Books hier erfolgreich sein werden, sondern nur wann. Wichtig ist: E-Books sollten von Verlagen und Händlern nicht als Konkurrenz zum traditionellen Buch gesehen werden, sondern als Erweiterung des Angebots. Dies bestätigt auch die Erfahrung aus den USA. „Menschen, die einen Kindle kaufen, erwerben auch weiterhin Bücher“, hat Amazon-Gründer Jeff Bezos bereits mehrfach berichtet. Auf jedes gedruckte Buch, das diese Kunden kauften, kämen 1,6 bis 1,7 E-Books. Und daher sollte man sich auch in Deutschland nicht gegen den Trend richten oder ihn ignorieren. Stattdessen sollte man sich überlegen, wie dank der Möglichkeiten der E-Books zusätzliche Kunden gewonnen werden können, denn bevor ein Print-Leser die E-Books der Konkurrenz kauft, sollte er doch lieber die eigenen kaufen!
Die Preisstrategie klären
Wie sich der Markt für E-Books entwickeln und welches Preismodell sich durchsetzen wird, ist heute noch unklar und hängt stark von der Aufstellung der Buchverlage und des Handels ab. Bei Berücksichtigung der fünf Grundregeln stehen die Chancen aber gut, dass mit E-Books auch Geld verdient werden kann und die Einführung der E-Book-Reader in Deutschland nicht nur für die Kunden ein Grund zur Freude ist. Eines ist jedoch klar: Wer in dem Markt mitspielen will, muss sich so bald wie möglich über die eigene Angebots- und Preisstrategie im Klaren sein, um sich neue Erlösquellen zu sichern, bevor der Marktriese Amazon auch die hiesigen E-Book-Strukturen prägen und das Geschäft dominieren kann.
Ganz klasse Artikel, wirklich großartig geschrieben!