Der Euro ist schwach, der Schweizer Franken zu stark. Seit die Schweizer Nationalbank (SNB) den Euro fallen ließ, in dem sie aufhörte, ihn durch Käufe zu stützen, herrscht in der Schweiz bei der Realwirtschaft blankes Entsetzen. Der 15. Januar 2015 ist ein Datum, das man nicht so schnell vergessen wird.
Seit 2011 hielt die SNB den Euro auf einen erträglichen Mindestwert durch Milliardenkäufe dieser Währung. Die eigene Währung an eine „kranke“ Währung zu binden sei falsch und zwischenzeitlich hätte sich die Wirtschaft darauf einstellen können, so die Nationalbank. Dass dem nicht so war, zeigen die Reaktionen nach diesem 15. Januar. Die Medien malen schwarz und Betriebe erwägen Lohnkürzungen, längere Arbeitszeiten oder gleich auf Vorrat Kurzarbeit.
Gefährliche Grenznähe
Der Buchhandel gehört nebst dem Lebensmittelsektor zu der Branche, die mit den schlechtesten Margen zu kämpfen hat. Zuerst die Konkurrenz durch Internet und Discountdruck, jetzt noch durch die Verteuerung im Vergleich zum Nachbarland.
In der „NZZ“ präsentierte der Feuilletonist Roman Bucheli eine wohlfeile Lösung: Der Fall der Buchpreisbindung (sie wurde in der Schweiz 2007 abgeschafft) biete nun den Buchhändlern den dringenden Spielraum in der Preisgestaltung.
Kurz nach der Freigabe des Euro in seinen echten Wert (so Stimmen aus der Wirtschaft) bot die Schweizer Bundesbahn Extrazüge nach Konstanz zum Einkaufstourismus an. Ein Buchhändler vor Ort sei zufrieden wie es läuft, der Umsatz stimme und bei Osiander hört man im Schweizer Akzent die Auflistung der zu bestellenden Bücher, die Buchhändlerin tippt fleißig in den Computer. Laut einer Umfrage des Börsenvereins bei Sortimentern nahe an der Schweizer Grenze sei kein großer Ansturm zu vermelden. Kein Wunder, denn Schweizerinnen und Schweizer gingen auch bereits vor der jüngsten Euro-Abwertung in den deutschen Nachbargemeinden einkaufen.
Der Druck im grenznahen Umland auf Schweizer Boden ist für den Buchhandel enorm bis tödlich. Über die Gründe der Insolvenz der Auslieferung B+M in Schaffhausen 2014 kann gemutmaßt werden, die beiden wichtigsten Auslieferungen und zugleich Barsortimenter sind nun das Buchzentrum BZ in Härkingen und die AVA in Affoltern am Albis. Sie reagierten nach dem Eurofall umgehend mit der Ankündigung, die Preise für die Händler entsprechend anzupassen. Ob das hilft, wird man sehen.
Der Entscheid der Schweizerischen Nationalbank zur Aufhebung des Mindestkurses Euro/Franken und die daraus resultierende unsichere und dynamische Kursentwicklung verschärft die angespannte Situation im Schweizer Buchhandel, Buchzwischenhandel und Verlagswesen, heißt es in einer aktuellen Stellungnahme des Buchzentrums, darüber hinaus ist es noch zu früh um bereits fundierte Aussagen über die Entwicklung zu machen.
Fakt ist, dass auch die Strukturen des Schweizer Zwischenbuchhandels unter Druck geraten. O-Ton des BZ: „Die aktuelle Währungssituation führt zu einer Verzerrung des Wettbewerbs. Diesen möglichen Wettbewerbsnachteil der Schweizer Verlagsauslieferung gegenüber den deutschen Barsortimenten haben wir seit dem 15. Januar und bis auf weiteres mit einem BZ-Währungsbonus ausgeglichen. Damit erhält der Buchhandel den benötigten Spielraum, um in seiner Verantwortlichkeit der freien Verkaufspreisgestaltung gezielte, temporäre Massnahmen durchzuführen. Unsere Kunden sind in ihrer Preisgestaltung frei und können situativ entscheiden, wie sie ihren BZ-Währungsbonus ihren Kunden weitergeben wollen…“
Die Schweiz leidet nun in allen Bereichen über ein generell überhöhtes Kostenniveau im Vergleich zum Ausland. Im Prinzip müsste alles gesenkt werden, von den Immobilien über die Löhne bis zu den Preisen der Endprodukte in den Verkaufsregalen. In TV-Debatten fordern Händler von den Kunden Solidarität, diese wiederum ärgern sich über die Auslagerungen der Produktionen ins billige Ausland und sehen ihre Jobs in Gefahr.
Galgenhumor, Forderungen und Innovation
Verlage und Verbände fordern nun von den Behörden mehr Unterstützung und bessere Rahmenbedingung. Die Aussichten sind schlecht, weil der Trend im Gegenteil liegt; der freie Markt soll es richten. Weil der Bund, die Schweizer Regierung, zum ersten Mal seit 2005 selbst mit einem Defizit im Milliardenbereich rechnet, rutschen die Sorgen der Buchbranche in eine Schublade weit unten.
Gegenüber dem Schweizer Fernsehen gab Stefan Fritsch von der Geschäftsleitung Diogenes zu, dass der Druck auf Schweizer Verlage dramatisch sei. Bis zu 16% Umsatzminus sei zu erwarten, da der Exportanteil nach Deutschland und Österreich bei 90% liege. Fritsch befürchtet eine Zunahme der Kaufkraftabwanderung in die umliegenden Länder und rät den Konsumenten, mit den Buchhändlern zu reden, denn die seien ja seit dem Wegfall der Buchpreisbindung frei, eigene Preise zu gestalten…
Urs Heinz Aerni (Zürich)
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