Um ca. 30% ist die Warengruppe Reise auf dem deutschen Buchmarkt 2020 geschrumpft. Auch im 1. Quartal 2021 blieb die Nachfrage zweistellig unter Vorjahr. Besonders Reiseführer haben unter der Corona-Entwicklung gelitten, während es bei Titeln zu Sport- und Aktivreisen leichte Zuwächse gab.
Einen ersten Lichtblick macht Philip Laubach, Reise-Programmleiter bei Gräfe und Unzer (GU), mit Blick auf die April-Zahlen aus. Lockerungen der Reisebeschränkungen und die fortschreitende Impfkampagne vermittelten für den Reisebuchmarkt Hoffnung.
Und wie wird sich der Reisemarkt langfristig entwickeln? Diese Frage diskutierten in einem Webinar von GU in Zusammenarbeit mit dem Fachinformationsportal pubiz gut 130 Teilnehmer überwiegend aus dem Buchhandel mit Tourismus-Experten:
- Sabine Thiele (Regensburg Tourismus)
- Ulrich Reinhardt (Stiftung für Zukunftsfragen)
- Jürgen Schmude (Lehrstuhl für Wirtschaftsgeografie und Tourismusforschung, LMU München)
- Björn Stüben (Merian-Autor und Reiseleiter in Paris).
Die zentralen Erkenntnisse der Runde
- Reiselust: In der Regel habe der Tourismus in der Vergangenheit nach Krisen schnell wieder zugelegt, zeigt Tourismus-Professor Schmude am Beispiel der Paris-Anschläge. Übertragbar sei dies jedoch nicht, wegen des globalen Ausmaßes und der langen Dauer der Coronakrise.
Die Lust auf Reisen sei ungebrochen, fast 50% der Bürger säßen auf gepackten Koffern, folgert Trendforscher Reinhardt aus seiner Umfrage unter 3000 Deutschen. Man müsse anfangen, in Szenarien für die Reisefreiheit 2.0 zu denken.
- Reiseziele: Der durch die Corona-Beschränkungen erstarkte Trend zum Deutschland-Tourismus wird sich bis zu 24 Monate fortsetzen, schätzt Tourismus-Forscher Reinhardt. Seit der Wende haben erstmals über 50% der Deutschen eine Reise innerhalb des Landes getätigt. Die Wahl der Destination rücke zugunsten von Erlebnissen mit Freunden und Familie in den Hintergrund, auch abgelegenere Orte werden interessanter. Dafür sprächen auch die Investitionen in den Deutschland-Tourismus.
- Reisearten: Fürs Erste weiterhin Bestand haben wird die Fortbewegung mit dem eigenen Pkw, sowie der Camping-Trend. Statt Städtetourismus stehen Naturerlebnisse weiterhin im Fokus.
- Reiseverhalten: Wegen der Planungsunsicherheit wird kurzfristiger gebucht, das Bedürfnis nach Sicherheit steigt. Die seit Jahrzehnten bestehenden Hauptreisemotive Erholung und Kontrast zum Alltag bleiben erhalten, ebenso wie die neuere Entwicklung der Erlebnissuche.
- Nachhaltigkeit: Weniger Flugreisen und kürzere Distanzen führen indirekt zu mehr Nachhaltigkeit, noch sei aber keine gezielte Verhaltensänderung festzustellen, fasst Tourismus-Forscher Schmude zusammen. Ein Befürworten von nachhaltigen Reisen sei da, der Anteil entsprechender Buchungen aber weiterhin gering. Rad- und Wanderreisen würden vor allem aus Sicherheits-, nicht aber aus Nachhaltigkeitsaspekten gewählt.
- Verlagsprogramme: Die Folgen von Corona machen Aktualisierungen von Hotel-, Restaurant- und Einzelhandelstipps vor allem in Stadtführern notwendig. Diese sind aber derzeit nicht so gefragt, die Faktensuche habe sich ohnehin stark ins Internet verlegt, so GU-Programmleiter Laubach. Daher gelte es für Verlage und Buchhandlungen mit entsprechender Ladengestaltung vor allem die Stärken Inspiration, Hintergrundinfos, persönliche Erfahrung und Kuration hervorzuheben.
- Digitalisierung: Virtuelle Stadtführungen sowie Apps, soziale Netzwerke und Virtual Reality könnten für bestimmte Zielgruppen eine Ergänzung sein, ersetzten aber nicht das Reiseerlebnis, so das Experten-Podium.
Die Aufzeichnung des Webinars ist kostenlos unter pubiz.de/go/gu abrufbar
buchreport: Die Reisetrends der Buchbranche
Wie die Verlage die aktuellen Reisetrends aufgreifen, steht im buchreport.spezial Reise & Freizeit, der Beilage des buchreport.magazins 6/2021. Themen u.a.:
- Vielfalt in der Heimat: Das große Angebot regionaler Reiseführer
- Rollende Ferienwohnung: Immer mehr Deutsche bevorzugen Reisen mit dem Wohnmobil
- Ab nach draußen und aktiv sein: Outdoor-Sportarten sind populär, allen voran boomt das Wandern.
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