Vom 12.-15. November 2016 präsentierte sich Deutschland als Gastland auf der 36. Internationalen Buchmesse in Istanbul. Am Deutschen Stand fanden an vier Messetagen 35 Veranstaltungen statt: In zahlreichen Panels diskutierten türkische und deutsche Intellektuelle über die aktuellen Entwicklungen in Europa und in der Türkei. Rund 2000 Messebesucher kamen zum Deutschen Gemeinschaftsstand und beteiligten sich an den Veranstaltungen. Die deutsche Delegation umfasste 40 Personen, darunter Verleger Christoph Haacker (Arco Verlag), Peter Kraus vom Cleff (Rowohlt), Christoph Links (Christoph Links Verlag), Philipp Meuser (DOM publishers), Mario Pschera (Dağyeli Verlag), Stefan Trudewind (Edition Orient), Vertreter der Verlage Carlsen, dtv, Ars Edition, die Autorinnen und Autoren Esmahan Aykol, Olga Grjasnowa, Tobias Hülswitt, Judith Kuckart, Moritz Rinke, Wilhelm Schmid, Peter Schneider, Canan Topcu, Ilija Trojanow, die Lyriker Matthias Göritz, Silke Scheuermann und Achim Wagner, der Fotograf Jan von Holleben und der Kinderbuchautor und Filmemacher Finn Ole Heinrich.
Angesichts der angespannten politischen Lage in der Türkei sagte Staatsministerin Prof. Dr. Böhmer zur Eröffnung der International Istanbul Book Fair: „Deutschland und die Türkei sind seit langem eng miteinander verbunden. Auch in schwierigen Zeiten setzen wir auf Verständigung, auf den Dialog – mit der Regierung und dem Parlament und mit der Zivilgesellschaft. Wir wollen gerade jetzt die kulturellen Verbindungen zwischen Deutschland und den Menschen in der Türkei stärken, um den Menschen hier Rückhalt zu geben.“
In seiner Ansprache zur Eröffnung der Istanbul Book Fair sagte Metin Celal, der Präsident des türkischen Verlegerverbandes Türkiye Yayıncılar Birliği und Mitveranstalter der Buchmesse: „Die Schließungen von Redaktionen und Verlagshäusern sind ein fundamentaler Verstoß gegen demokratische Grundprinzipien, die in der türkischen Verfassung festgeschrieben sind. Nur Menschen können zur Verantwortung gezogen werden, nicht Zeitungsredaktionen oder Verlagshäuser. Der Druck, der gegenwärtig auf die Meinungs- und Informationsfreiheit ausgeübt wird, spielt den Feinden der Demokratie in die Hände – den Putschisten.“
Juergen Boos, Direktor der Frankfurter Buchmesse: „Es gibt viele türkische Autoren und Journalisten, für die wir uns einsetzen und deren Stimmen wir in Deutschland Gehör verschaffen müssen. Umgekehrt sind deutsche Literatur, Geisteswissenschaften und Philosophie in der Türkei sehr gefragt. Mit unserem Auftritt auf der International Istanbul Book Fair wollen wir die langjährigen Beziehungen zwischen deutschen und türkischen Verlegern, Rechteverantwortlichen und Lektoren festigen. Diesen Austausch weiterhin zu gewährleisten und publizistische Nachhaltigkeit zu erzeugen, ist eine unserer Aufgaben.“
Dr. Reimar Volker, Leiter des Goethe-Instituts Istanbul: „Das kulturelle Rahmenprogramm fand großen Zuspruch, sowohl auf der Messe selbst als auch die Veranstaltungen in der Innenstadt. Wir sehen darin eine Bestätigung wie wichtig es gerade jetzt ist, Räume zu schaffen und Anlässe zu bieten, bei denen man sich austauschen kann.“
Die türkische Verlagsbranche begrüßte den deutschen Gastlandauftritt: „Ich persönlich bin sehr froh über den Besuch der deutschen Kollegen. Wenn sie mit dem demokratischen Teil der Türkei in Verbindung bleiben, hilft es uns, diesen Sturm zu überleben“, sagte Can Öz, dessen Verlag u.a. die Werke von Patrick Süßkind, Daniel Kehlmann und Uwe Timm in der Türkei herausbringt.
Der kurdische Autor Burhan Sönmez sagte: „Literatur ist eine unabhängige Nation, der alle Schriftsteller, Leser und Verleger angehören. Wir alle sprechen die gleiche Sprache, und wir teilen die gleichen Werte: die Würde der Literatur, freie Meinungsäußerung und die Hoffnung auf eine gemeinsame Zukunft. Deutsche Verleger und Autoren kommen nach Istanbul um zu zeigen, dass wir nicht alleine sind mit diesen Vorstellungen. Wir haben Freunde in Deutschland, die die gleichen Ideen respektieren und verteidigen.“ Burhan Sönmez‘ letzter Roman „Istanbul Istanbul“ wird 2017 bei btb Random House erscheinen.
Bei der Podiumsdiskussion „Für das Wort und die Freiheit“ bemerkte der Autor Tarik Günersel (PEN Türkei), dass Meinungsfreiheit kein natürlicher Zustand sei, sie müsse gefüttert werden mit Literatur, Wissenschaft und Philosophie. Diese intellektuelle Versorgung sei in der Türkei gefährdet.
Am Rande des Gastlandauftritts hielten Alexander Skipis, Hauptgeschäftsführer des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels und einige der anwesenden deutschen Verleger und Autoren vor dem Frauengefängnis Bakirköy in Istanbul eine Mahnwache für die inhaftierte türkische Journalistin Asli Erdogan ab. Alexander Skipis entrollte vor Ort ein Banner mit der Aufschrift #FreeThe Words – Free Aslı Erdoğan! The German Publishers and Booksellers und hielt eine Ansprache vor türkischen Aktivisten und Journalisten.
Weitere Stimmen zum Gastlandauftritt Deutschlands in Istanbul:
- Peter Kraus vom Cleff, Rowohlt Verlag: „Wenn Verlegen Haltung einnehmen heißt, dann war es in diesem Jahr für mich persönlich sehr wichtig, nach Istanbul zu kommen und Solidarität mit den türkischen Kollegen zu zeigen.“
- Christoph Links, Christoph Links Verlag: „Solidarität sollte immer konkret sein. Und daher kommt es darauf an, dass deutsche Verleger verstärkt Bücher aus der Türkei und zu der politischen Entwicklung im Lande ins Programm nehmen. Dazu habe ich viele konkrete Gespräche hier auf der Messe führen können.“
- Moritz Rinke: „Ich bin sehr überrascht, wie meinungsfroh sich die Messe präsentierte. An den Ständen konnte man viel Subversives entdecken – das hatte ich nicht erwartet.“
- Ilija Trojanow: „Das Beglückendste war für mich, die reichhaltige Verlagslandschaft zu sehen. Ich habe mir heute eine Stunde lang die Programme angeschaut, und war beeindruckt von der beachtlichen Übersetzerleistung, die hier an vielen Ständen zu sehen ist. Es gibt eine Vielzahl von anregenden, provokanten und kritischen Büchern, die noch erscheinen können und alle türkischen Intellektuellen, die ich getroffen habe, haben sehr offen geredet. Ich hatte nicht das Gefühl, dass die Selbstzensur vorherrscht.“
Der Gastlandauftritt Deutschlands wurde vom Auswärtigen Amt, der Frankfurter Buchmesse und dem Goethe-Institut Istanbul gestaltet in Zusammenarbeit mit dem Bundesministerium für Wirtschaft und Energie und dem Verband der deutschen Messewirtschaft AUMA.
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