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Die Angst der Verlage ist völlig unbegründet

Der E-Book-Verleih hat sich zum Streitthema zwischen Bibliotheken und Verlagen entwickelt. Die Bibliotheken rufen nach einer Schrankenregelung für E-Books. Die Verlage zögern, ihre E-Books den Bibliotheken anzubieten. E-Book-Shops experimentieren mit kommerziellen Mietmodellen. Wie Bibliotheken das E-Book-Angebot ausgestalten wollen, erläutert Monika Ziller (Foto), Vorsitzende des Deutschen Bibliotheksverbands (DBV), im Interview mit buchreport.de.
Verlage fürchten eine Kannibalisierung der Verkäufe durch die E-Book-Verleih-Angebote der Bibliotheken. Zu Recht? 
Diese Befürchtung ist völlig unbegründet. Die Angst, dass die Buchausleihe dem Buchhandel schadet, ist so alt wie die Bibliothekshistorie – hat sich aber in keiner Weise bewahrheitet. In einer bestimmten Lebensphase gehen Vielleser oft in Bibliotheken, in einer anderen Lebensphase kaufen sie Bücher. Die Angebote ergänzen sich. Ich kann verstehen, dass es aufgrund der neuen technischen Möglichkeiten Ängste gibt, doch ist mir der öffentlich angestimmte Ton der Verlage momentan entschieden zu scharf. Ich halte auch Formulierungen wie „Kannibalisierung“ für völlig überzogen. Sie belasten die Diskussion. Wir sollten sachlich bleiben.
Wie kann die Diskussion auf eine konstruktivere Ebene geführt werden? 
Über Diskussionsformen möchte ich mich im Moment nicht äußern.

Fest steht: Bibliotheken muss ein freier Zugang zum E-Book-Markt garantiert werden. Es kann nicht angehen, dass Verlage diesen Markt für uns sperren können und bestimmte Titel nicht an Bibliotheken verkaufen. Die Holtzbrinck-Gruppe beispielsweise verkauft keine E-Books für den Verleih. Ein anderer Verlag hat jetzt damit angefangen, die E-Books zu verteuern. Jeder Verlag kann von heute auf morgen entscheiden, den Bibliotheken keine E-Books mehr zu verkaufen. Dieser Zustand ist unhaltbar und gefährdet den öffentlichen Auftrag der Bibliotheken. Hier muss der Gesetzgeber einschreiten. Das lässt sich nicht bilateral verhandeln.

Der Weg über den Gesetzgeber wird sicher Jahre dauern…
Das mag sein, wenngleich wir Signale erhalten, dass das Thema von der Politik auch als Problem wahrgenommen wird. Natürlich wird der Gesetzgeber froh sein, wenn Verlage und Bibliotheken weiterhin miteinander reden und gemeinsam Lösungen entwickeln. Wir sind jedenfalls gesprächsbereit.
Sie wollen sich dafür einsetzen, dass das Modell der Bibliothekstantiemen auf E-Books übertragen wird. Wie soll die E-Book-Tantieme genau aussehen? 
Wir stehen am Anfang der Überlegungen und müssen uns erst an das Thema herantasten. Dazu können wir zunächst die bestehende Bibliothekstantieme als Modell nehmen, diese auf den Prüfstand stellen und auf ihre Tauglichkeit für E-Books überprüfen.
Ein E-Book kann bequem von zuhause aus ausgeliehen werden, es nutzt sich nicht ab und der Besitz, also Kauf eines E-Books, ist für den Nutzer vergleichsweise unattraktiv.  Kann man die Bibliotheksangebote für gedruckte und digitale Bücher wirklich vergleichen? 
Das hängt davon ab, wie sich die Ausleihe gestaltet. Bleibt man bei dem Modell, dass ein E-Book zur gleichen Zeit nur einmal ausgeliehen werden kann, müssen die Tantiemen und auch die Preise anders gestaltet werden, als wenn wir über Mehrfachlizenzen sprechen.
Wir müssen uns mit dem Thema umfassend vertraut machen. Die Zeit sollten wir uns auch geben. Ich sehe den Druck nicht, der gemacht wird von Seiten der Verlage. Noch handelt es sich um ein kleines Segment. Wir müssen nicht fürchten, dass der Verleih morgen die Hälfte des Verlagsgeschäfts oder der Ausleihen in Bibliotheken ausmachen wird, wie es teilweise propagiert wird. 
Wie können die E-Book-Angebote der Bibliotheken und die der Verlage sinnvoll voneinander abgegrenzt werden, zumal inzwischen immer mehr kommerzielle Mietmodelle angeboten werden?
Wir sollten den klassischen Ausleihbetrieb einer Bibliothek zugrunde legen. Die Bibliotheken lizensieren E-Books ebenso wie sie gedruckte Bücher für den Verleih kaufen. Der Verleih ist entsprechend begrenzt: Kaufe ich einen Bestseller fünf Mal, können ihn nur an fünf Personen gleichzeitig ausleihen. Wer auf das ausgeliehen E-Book schneller zugreifen will, muss möglicherweise eine Gebühr für die Ausleihe bezahlen. Solche Modelle sind eine gute Grundlage, um über den Verleih im digitalen Markt zu diskutieren.
Doch wir sollten uns auch nichts vormachen: Ein Vielleser, der drei brandaktuelle Titel pro Woche lesen will, ist bisher mit dem klassischen Angebot der Bibliotheken nicht glücklich geworden und wird auch mit dem E-Book-Angebot nicht glücklich werden, weil wir seinen persönlichen Bedarf nicht finanzieren werden können.
Der Verlegersprecher Matthias Ulmer schlägt vor, dass Bibliotheken E-Books nur an bestimmte Zielgruppen verleihen – an jene, die aus bildungs- und sozialpolitischen Gründen mit öffentlichen Geldern unterstützt werden sollen…
Diese Forderung geht völlig am Auftrag und auch an der Praxis der Bibliotheken vorbei. Wir wollen und können nicht von unseren Nutzern verlangen, sich als bedürftig auszuweisen. Das entspricht  – wie wir aus Nutzerstudien wissen – in keiner Weise der Realität und wäre ein tiefer und inakzeptabler Eingriff in die Arbeit der Bibliotheken, die ja für alle Bügerinnnen und Bürger Dienstleistungen anbieten.
Ein Nutzer kann auch in anderen Bibliotheken E-Books ausleihen als in seiner örtlichen Bibliothek. Könnten Sie die Nutzer auf kommunaler Ebene eingrenzen?
Das ist oft schon gängige Praxis und kann sicherlich besprochen werden. Wir bieten – neben den E-Books – bereits den Zugriff auf elektronische Ressourcen und Datenbanken, weshalb Unternehmen die Begrenzung auf einen bestimmten Kundenkreis verlangen. Abgesehen davon: Keine Bibliothek hat die finanziellen Mittel, um riesige Benutzergruppen abzudecken. Die Finanzlage der öffentlichen Bibliotheken ist alles andere als rosig. Die Befürchtung ist zwar theoretisch nachvollziehbar, zielt aber an der Realität einer kommunalen Dienstleistungseinrichtung vorbei.
Wie sollte die Lizenzvergabe für E-Books aus Sicht der Bibliotheken idealerweise gestaltet werden? Ist es noch zeitgemäß, dass ein E-Book nicht verfügbar ist, wenn es bereits „entliehen“ ist? 
Dieses Modell ist dem Kunden gegenüber schwer zu vermitteln. Natürlich wünschen wir uns andere Lizenzmodelle, etwa den zeitlich befristeten Lizenzeinkauf oder die Möglichkeit, E-Books nur nach Bedarf zu verleihen. Man muss die positiven Seiten der digitalen Technik bewusst ausnutzen. Doch für uns ist die oberste Priorität, dass wir einen freien und gesicherten Zugang zum Markt haben. Welche Lizenzmodelle  dabei am tragfähigsten sind, um dies sicherzustellen, muss sich noch erweisen.
Die Fragen stellte Lucy Mindnich
Eine ausführliche Analyse des Konflikts zwischen Bibliotheken und Verlagen lesen Sie im aktuellen buchreport.express 45/2012 (hier zu bestellen).

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