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Die Effekte werden kleingerechnet

Eine Studie der Forschungsstelle der EU-Kommission ist der Frage nachgegangen, wie aussichtsreich das Vorgehen gegen illegale Websites ist, die urheberrechtlich geschützten Content anbieten. In „Online Copyright Enforcement, Consumer Behaviour, and Market Structure“ werden die Auswirkungen der 2011 erreichten Schließung von Kino.to, der bis dato größten illegalen Filmseite Deutschlands, untersucht.

„Das Abschalten urheberrechtsverletzender Websites ist ein Weg, illegal kopierte Medieninhalte zu schützen“, zeigt sich die EU-Kommission grundsätzlich aufgeschlossen. Allerdings sei die positive Wirkung immer in Relation zum entstehenden Aufwand und dem wachsenden Anpassungsvermögen der Piraterieszene zu sehen: „Antipirateriemaßnahmen schließen den Einsatz großer Mengen öffentlicher Mittel ein, während sehr wenig über ihre Effektivität bekann ist.“

Die Existenz zahlreicher Alternativangebote kostenfreier Filme habe nach dem Kino.to-Aus zu einem relativ begrenzten Wechsel in Richtung legalen Konsums geführt. Für die Nutzer stelle es keine Schwierigkeit dar, sich neue Quellen zu suchen. Durch das Verschwinden des größten Players in diesem Feld dezentralisierte sich der Markt, viele kleinere Anbieter wuchsen, die von den Nutzern zunehmend parallel genutzt wurden. Diese Entwicklung sei für die Verfolgung und rechtliche Schritte jeder Art eher hinderlich, urteilen die Verfasser der Studie.

In Zahlen: Die Nutzer von Kino.to reduzierten ihren Konsum von Raubkopien in den Wochen nach der Schließung insgesamt um 30%, ihre Nutzung legaler Angebote wuchs allerdings nur um 2,5%. Angesichts der angefallenen Kosten kommt die EU-Kommission zu dem Ergebnis: „Das Vorgehen gegen Kino.to hatte keinen positiven Effekt für die Gesamtgesellschaft.“

Den Schluss, die Abschaltung von Kino.to habe zwar einen signifikanten, aber nicht nachhaltigen Effekt, zweifelt die Gesellschaft zur Verfolgung von Urheberrechtsverletzungen (GVU) an.

Geschäftsführer
Matthias Leonardy hält dagegen: „Das Grunddilemma der Studie liegt darin, dass die Autoren offenbar davon ausgehen, Antipiracy-Maßnahmen seien nur dann ‚effektiv‘, wenn sie endgültige Lösungen des Piracy-Problems bewirkten. Das ist aber eine unrealistische Erwartung zur Nachhaltigkeit von Maßnahmen zur Kriminalitätsbekämpfung, die nur enttäuscht werden kann. Das Nachrücken von kriminellen Nachahmern mit Klon-Seiten wie Kinox.to ist dementsprechend gar nichts Überraschendes, sondern entspricht schlicht ökonomischer Logik von Wirtschaftskriminellen. Die Studie erhebt so zu einem Problem, was schlichtweg der Kriminalitätsbekämpfung immanent ist: Kein Strafverfolger und kein Geschädigter darf sich auf juristischen Erfolgen ausruhen, sondern muss immer wieder nachlegen.“

Auch im Übrigen ist die Studie laut Leonardy angreifbar:

  • „Die Effekte der Schließung von Kino.to werden kleingerechnet.“ Angesichts der hohen Nutzungsrate sei der Effekt (Rückgang der Nutzung illegaler Angebote um 30%) ganz beachtlich: Der „Piraterie-Marktführer“ Kino.to hat nach GVU-Angaben bis Juni 2011 zu den 50 meist benutzten Webseiten in Deutschland mit allein zeitweise über 4 Mio Zugriffen täglich gezählt.
  • Die Studie ignoriere den gesamten übrigen Home-Entertainment-Sektor. Die stationären Videotheken in Deutschland verzeichneten im Monat nach der Kino.to-Schließung eine durchschnittliche Steigerung im DVD/Blu-Ray-Verleih um 18%.
  • Zudem ärgert Leonardy, „dass die Autoren sich offenbar nicht die Mühe gemacht haben, bei den ‚costs of the intervention‘ die eigenen Aufwendungen der betroffenen Filmbranche für Content-Protection, die für die öffentliche Hand kostenreduzierend sind, zu erfassen. Stattdessen wird suggeriert, hier würden Steuermittel vergeudet. Dass aber im Übrigen Kriminalitätsbekämpfung – um nichts anders geht es hier – eine öffentliche Aufgabe ist, dürfte unbestritten sein. Das gilt auch im Urheberrecht.“

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