1998 wandte sich buchreport an acht „Wortführer von morgen“, jüngere Entscheidungsträger aus Verlagen und Buchhandelsunternehmen, die ihre Visionen und Prognosen zur Entwicklung der von ihnen vertretenen Sparte vorstellten. Zehn Jahre später fragt buchreport die Branchenvertreter erneut. Im buchreport.magazin 10/2008 antworteten mit Rainer Moritz, Thedel von Wallmoden, Matthias Ulmer (hier) und Patrick Sellier die ersten Vier der „neuen Generation“, im Heft 1/2009 folgen neben Tanja Graf Hartwig Schulte-Loh, Jürgen Diessl und Susanne Koppe. In ihrem Gastbeitrag hinterfragt Tanja Graf, damals Cheflektorin Belletristik bei Piper und Malik und heute selbst Verlegerin bei Schirmer Graf, ihre Thesen:
Als Trend im Bereich der Branche, vor allem in dem der Belletristik, lässt sich seit Jahren eine Tendenz zur kleineren Einheit erkennen: Eine Vielzahl von unabhängigen Verlagen und Verlagsgründungen sind als Antwort auf die zahlreichen Fusionierungen entstanden. Einer der Gründe dafür liegt sicher auch bei den handelnden Personen. Wer die Arbeit mit Büchern liebt und über genügend professionelle Erfahrung verfügt, gelangt eben irgendwann an den Punkt, wo er sich umfassender, aber dafür mit weniger Büchern beschäftigen möchte – wo er sein Know-how und seine Kreativität direkt umsetzen kann. Daher ist es nicht verwunderlich, dass eine ganze Reihe von Neugründungen von Leuten betrieben wurde, die davor für Buchkonzerne tätig waren. Dies ist übrigens ein internationales Phänomen, das sich in Frankreich, Italien oder England ähnlich feststellen lässt.
2. Was am Markt funktioniert, ist nach wie vor a) der gut gemachte Mainstream, der mit professionellem Marketing und Vertrieb vorangetrieben wird, und b) das besondere Buch, der Geheimtipp, das bibliophile Einzelstück, das „entdeckt“ werden will. Aber das Bedürfnis nach Selektion, nach Überblick, nach einer Vorauswahl im Überangebot ist noch größer geworden. Buchhändler, Journalisten, Endkunden sind überfordert, wollen lieber weniger als mehr. Vielleicht ist das einer der Gründe dafür, dass eine zeitlang kleinere, unabhängige Verlage als Lieblinge der Feuilletons galten: Ihre Programme sind überschaubar; hier Entdeckungen zu machen geht vergleichsweise schneller als bei den großen Programmen der Konzernverlage. Der durchschlagende Marketingerfolg des erst vier Jahre alten Deutschen Buchpreises bestätigt dieses Bedürfnis: Wie angenehm, man muss bloß die 20 Bücher der Longlist kennen, um über die wichtigsten Titel des Jahres reden zu können!
3. Auch die Buchhändler, neuerdings gar die Filialisten, entdecken das Umsatzpotenzial kleinerer Verlage, individuellerer Programme: Es verleiht dem Angebot ihrer Verkaufsflächen einen individuellen Reiz und bannt die Gefahr der Gleichförmigkeit. Und bestimmt macht es jedem Buchhändler, egal wie groß die Buchhandlung ist, in der er arbeitet, mehr Spaß, seinen Kunden eigene Entdeckungen als den Kanon der Bestsellerlisten zu empfehlen. Allerdings stoßen kleinere Verlage durch ihre eben auch häufig zu individuelle Vertriebslogistik an Grenzen, die es durch neue Wege zu überwinden gilt.
4. Was vor zehn Jahren auf den Beruf des Lektors zutraf, hat sich heute vermutlich noch akzentuiert: Es gilt, von der Vermarktbarkeit der Themen und Autoren aus zu denken, selbst Themen zu entwickeln und Trends zu kreieren. Aber das Vermarkten ist noch schwieriger geworden, der Einfluss der Printmedien immer geringer. Wer seinen Autor nicht ins Fernsehen bringt – oder ihn aus dem Fernsehen holt –, hat eindeutig geringere Chancen
5. Das E-Book wird in absehbarer Zeit die Branche auf noch unabsehbare Weise verändern. Den Untergang des gedruckten Buchs wird es nicht bedeuten. Denn Bücherliebhaber, die ein schön gebundenes, nach Farbe duftendes Buch in der Hand halten und verschenken wollen, werden immer nachwachsen.
aus: buchreport.maqgazin 1/2009
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