Das Votum der Wirtschaftskommission des Schweizer Nationalrats für das „Loi Maitre“ ist nicht nur für den Schweizer Buchhandel ein wichtiger Etappensieg. Von der politischen Signalwirkung der knappen Entscheidung profitiert auch die Buchbranche in Deutschland. Seht her, können die Befürworter der regulierten Preise jetzt sagen: Die Preisbindung ist kein Relikt aus der Vergangenheit, sondern ein modernes und intelligentes kulturpolitisches Steuerungsinstrument, das selbst die wirtschaftsliberalen Schweizer überzeugt.
Ungefährdet ist nur der Ist-Zustand
Aber das Schweizer Signal könnte bald in die gegenteilige Richtung zeigen: Die entscheidende Hürde für die Schweizer Preisbindung ist die Abstimmung im Nationalrat, die für kommendes Frühjahr erwartet wird. Und dass der Erfolg des „Loi Maitre“ alles andere als ein Selbstläufer ist, zeigt die starke Opposition, die es in der Wirtschaftskommission gegen den Pro-Preisbindungs-Entscheid gegeben hat und die jetzt neu einsetzende öffentliche Diskussion.
Nun könnten die deutschen und österreichischen Buchhändler die Entwicklung im Nachbarland kühlen Blutes abwarten, weil die Bewahrung ihres Preisbindungsgesetzes nicht auf dem Spiel steht. Die deutschen Preisbindungstreuhänder haben in ihrem aktuellen Bericht dieser Tage zwar zu Recht wieder einmal gewarnt, dass die Versuche zur Aushöhlung der Preisbindung aus der Branche selbst auch die Akzeptanz der festen Preise in Politik und Gesellschaft untergraben könnten. Aber wenn man den Beteuerungen der Politiker glauben darf, ist der gefühlte Grundwert der deutschen Buchbranche auf absehbare Zeit nicht ernsthaft gefährdet.
Dieser beruhigende Befund gilt allerdings nur für den Ist-Zustand. Die nächste Preisbindungsdiskussion wird sich hierzulande aber jenseits des befestigten Terrains um die Frage drehen, ob etwa E-Books preisgebunden sein sollen. Für die Buchbranche geht es dabei um wichtige Zukunftsperspektiven – und sie wird vor einer noch größeren argumentativen Herausforderung stehen als derzeit die Schweizer.
Schon die Befürworter des „Loi Maitre“ werden sich in den kommenden Monaten damit herumschlagen müssen, dass das landläufige, griffige Argument nicht mehr stimmt, die Preisbindung verhindere das Sterben der kleinen und mittleren Buchhandlungen.
Hemmschuh für große Internet-Player
Worin aber tatsächlich der unschätzbare Vorteil der Preisbindung besteht, hat die Verlegerin Elisabeth Ruge auf dem Symposium des Schweizer Buchhändler- und Verlegerverbandes in Solothurn sehr treffend formuliert: „Was die Buchpreisbindung leistet ist, dass sie die Konzentration erheblich verlangsamt. Dieses Moment der Verlangsamung, des Reagieren-könnens weil man nicht überrollt wird von der Geschwindigkeit der Ereignisse, ist von zentraler Bedeutung. Wir können auf viele Dinge nur reagieren, wenn wir in diesem geschützten Raum agieren können.“
Auf dieses Moment der Verlangsamung werden die kleinen und mittleren Unternehmen der Buchbranche umso mehr angewiesen sein, wenn sich – wie beim E-Book durchaus zu erwarten – die technischen Entwicklung überschlägt.
Den großen Internet-Playern Amazon & Co wird es als Hemmschuh für den Siegeszug neuer Formate erscheinen, wenn die Preisbindung ihnen verwehrt, sie auf eigene Faust mit Billigangeboten zu pushen. Und wenn sie dagegen protestieren, werden sie in der Öffentlichkeit lautstarke Unterstützer finden. Die Herausforderung wird sein, dagegen überzeugend darzutun, dass die Langsamkeit der Preisbindung kein überholtes Relikt und kein böses Innovationshemmnis ist, sondern ein Wert an sich.
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