Die Frage, inwieweit Bücher und Buchhandel krisenanfällig sind, wird in den verschiedenen Buchmärkten sehr unterschiedlich beantwortet. In den USA hat die Wirtschaftskrise auch auf die Buchbranche stark durchgeschlagen, in Großbritannien wird die Rezession im Buchgeschäft immer stärker überlagert durch Preiskämpfe im ungebundenen Markt, in dem Nebenmarktanbieter im Rahmen ihrer Mischkalkulation Bücher als Lockvögel nutzen.
In Kontinental-Europa schlägt die Wirtschaftskrise beispielsweise im besonders stark betroffenen Spanien mit zweistelligen Umsatzrückgängen massiv durch, während in Deutschland und Frankreich vergleichsweise freundliche Buchkonjunkturen das Bild bestimmen.
Ein Blick über ausgewählte große Buchmärkte vor dem geschäftsentscheidenden vierten Quartal.
Deutschland: Umsatzplus mit höheren Preisen
Die Weltwirtschaftskrise, die sich vor allem in den Exportbranchen schmerzlich bemerkbar macht, hat im Einzelhandel bisher wenig Bremsspuren hinterlassen, noch weniger im Buchhandel, womöglich weil die Buchklientel sich noch weniger betroffen fühlt und weil Bücher anders als beispielsweise Bekleidung wenig taugen, um tatsächliche oder gefühlte Konsumzurückhaltung zu üben. Das Umsatzplus von 1,8% gegenüber dem Vorjahr, das der buchreport-Umsatztrend für den Sortimentsbuchhandel nach neun Monaten ausweist, relativiert sich durch drei Aspekte:
- Der Basiswert ist niedrig, denn im Herbst 2008 war ein 3%-Minus aufgelaufen, das erst mit einem furiosen Dezemberfinale teilweise ausgeglichen wurde.
- Die Nachfrage nach Büchern ist leicht rückläufig, das Plus resultiert aus steigenden Preisen, zu denen sich nach langer Abstinenz immer mehr Verlage ausgerechnet im Krisenjahr durchringen.
- Zum Plus trägt das margenarme Schulbuchgeschäft überproportional bei.
Im klassischen Sortimentsbereich schlagen sich Sachbuch und Belletristik ordentlich, eine Sonderkonjunktur haben weiterhin All-Age-Titel, namentlich die Stephenie-Meyer-Titel, die allerdings vermutlich im vierten Quartal an Bedeutung verlieren werden, weil jetzt starke Herbst-Titel in den Vordergrund rücken.
Frankreich: Online und Kulturkaufhaus wächst
In Frankreich hat der Buchmarkt nach einem Rückgang zu Beginn des Jahres 2009 seit Juni wieder zu einer positiven Entwicklung zurückgefunden, berichtet Fabrice Piault vom Branchenblatt „Livres Hebdo“. Freilich fällt das Wachstum moderat aus. Ende August lag es im Vorjahresvergleich bei 0,5%. Damit erleben die Buchverkäufe jedoch eine eindeutig günstigere Entwicklung als der Einzelhandel insgesamt, der im selben Zeitraum einen Umsatzrückgang von über 2% hinnehmen musste. Einzelne Entwicklungen:
- Die relativ positive Entwicklung der Branche erklärt sich teilweise aus überragenden Bestseller-Erfolgen u.a. der Stephenie-Meyer-Romane, aber auch Stieg Larssons „Millennium“-Trilogie und Muriel Barberys Roman „Die Eleganz des Igels“, der durch die Verfilmung mit dem Titel „Le Hérisson“ zusätzlichen Auftrieb bekommen hat.
- Für die kommenden Wochen erwartet die Branche Impulse vom neuen Dan Brown sowie dem neuesten „Asterix“-Album.
- Der Markt wird momentan vor allem vom Internetbuchhandel vorangetrieben. Nachdem dieser wie alle anderen Buchhandelssparten im Oktober, November 2008 mit dem Schock der Krise konfrontiert worden war, hat er jetzt wieder zu einem beständigen Wachstumsniveau zurückgefunden.
- Die großen Kultur- und Medienkaufhäuser wie Fnac, Virgin, die Espaces Culturels von E. Leclerc sowie Cultura, die weiterhin neue Filialen eröffnen, weisen ebenfalls gute Zahlen auf.
Dagegen fällt die Entwicklung der großen Buchhandlungen ebenso wie die der Verbrauchermärkte leicht negativ (–1%) aus. Die kleinen Buchhandlungen stehen mit einem Minus in der Größenordnung von 3,5% am schlechtesten da.
England: Behutsamer Optimismus
Vor einem Jahr war die britische Buchbranche angesichts der Bankenkrise und der daraus resultierenden Diskussion über die Sicherheit der Renten fast so gelähmt wie die Amerikaner. Zwölf Monate später beschreibt Philip Jones, stellvertretender Chefredakteur des Branchenblatts „The Bookseller“, die Lage als „ernst, aber mit einem deutlichen Hoffungsschimmer“. Die Umsätze liegen laut Nielsen BookScan um ca. 1% unter denen des Vorjahres.
Der Buchmarkt im Vereinigten Königreich hat in erster Linie mit einer Serie hausgemachter Probleme zu kämpfen; an erster Stelle der ausufernde Preiskampf, der in diesem Jahr einem neuen Höhepunkt zustrebt, mit den Supermärkten und Amazon.co.uk in der Hauptrolle.
Spitzentitel, die 2008 noch einen Rabattsticker zum halben Preis trugen, werden mit Abschlägen von bis zu 75% angeboten. Die Konsumenten machen mit und kaufen in erster Linie, was weithin sichtbar einen Billigpreisaufkleber trägt: Unterhaltungsliteratur, Kochbücher, Autobiografisches. Für die Supermärkte zahlt sich die Politik billiger Buchpreise gekoppelt mit einem Schmalspursortiment von schnell drehenden Toptiteln aus: Im ersten Halbjahr lag ihr Anteil am Verkauf von allgemeiner Literatur nach Stückzahlen bei 19,6%; seit 2004 hat er sich mehr als verdreifacht.
USA: Buchbranche verharrt im Stimmungstief
Vor genau einem Jahr begann der tiefe Fall der amerikanischen Buchbranche, von dem sie sich bis heute nicht erholt hat. Vor allem die Publikumsverlage haben in den vergangenen Monaten den Rotstift angesetzt und konsolidiert, was das Zeug hält. Prominente Imprints (z.B. Collins) und Verlegerpersönlichkeiten (z.B. Doubledays Steve Rubin) sind dabei auf der Strecke geblieben. Und ein Ende des Sparkurses ist noch nicht in Sicht.
Die aktuell verfügbaren Daten aus den USA bieten nur wenig Anlass für Optimismus. In den ersten sieben Monaten hat der stationäre Buchhandel 8,74 Mrd Dollar (ca. 5,93 Mrd Euro) umgesetzt und liegt kumuliert um 2,5% hinter dem vergleichbaren Zeitraum des Vorjahres. Nachdem Januar und Februar dramatisch eingebrochen waren, aber von März bis Juni jeweils ein leichtes Plus vor dem Komma stand, hatten viele schon auf eine Trendwende gehofft, doch dann brachte der Juli ein überraschendes Minus von 0,5%.
Auch die Umsatzstatistik der Association of American Publishers (AAP) ist kein erbaulicher Lesestoff: Wiederum bis einschließlich Juli liegen die meisten klassischen Warengruppen zum Teil zurück, angeführt vom Schulbuch (–27,6%) und dem allgemeinen Programm (–15,5%). Gut geht es nur dem gebundenen Kinder- und Jugendbuch, das um 22,2% zugelegt hat. Das E-Book glänzt zwar mit hohen Zuwachsraten, die sich aber auf niedrigem Niveau bewegen: Nach sieben Monaten ist das Genre mit 174% im Plus, in realen Zahlen sind das aber nicht mehr als 81,5 Mio Dollar.
Was das Bestsellergeschäft angeht, setzt die Branche neben Dan Brown auf ein überdurchschnittlich starkes Herbstprogramm, um in der Endabrechnung doch noch ein kleines Plus vor dem Komma abrechnen zu können. „The Lost Symbol“ hat zwar die Erwartungen mit hoch siebenstelligen Absatzzahlen weitgehend erfüllt, doch in den kommenden Wochen muss sich zeigen, wie nachhaltig die anderen Herbstnovitäten bahnbrechende Akzente setzen können.
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