Für Tausende nordrhein-westfälischer Abiturienten wurde die Reifeprüfung im Fach Mathematik in diesem Jahr zum Horrortrip. Infolge der Einführung des Zentralabiturs bekamen Schüler im ganzen Land besonders schwere Aufgaben – und die zuständige Bildungsministerin Barbara Sommer in der Folge einen Rüffel von Experten, die die Aufgaben teilweise als „schlicht unlösbar“ einstuften.
Der Eklat um das nordrhein-westfälische „Oktaeder des Grauens“ wirft ein Schlaglicht auf die neue Gangart, die an deutschen Schulen angeschlagen wird. Vor allem an Gymnasien steigen die Anforderungen. Dahinter steckt politische Absicht: Besonders durch die Verkürzung der Gymnasialzeit um ein Jahr (in der Öffentlichkeit bekannt unter dem Stichwort „G8“) erhöhen Bildungspolitiker in den Bundesländern den Leistungsdruck. Eine Folge beschrieb der Berliner Bildungsökonom Dieter Dohmen vor kurzem in einer Studie für das Bundesbildungsministerium: Noch nie haben so viele Schüler neben bzw. nach der Schule Nachhilfe-Unterricht in Anspruch genommen wie heute.
Selbst gute Schüler nehmen Nachhilfe
Der Eifer der Bildungspolitiker ist allerdings nicht die einzige Ursache für die zunehmende Nachfrage nach Nachhilfe. Der Bildungswissenschaftler fand bei den Recherchen für seine Studie heraus, dass mittlerweile sogar gute Schüler in großer Zahl die Dienste kommerzieller Nachhelfer in Anspruch nehmen, um ihren Notendurchschnitt zu verbessern.
Für die Anbieter von Nachhilfe tut sich laut Dohmen-Studie ein weites Feld auf:
- Den Jahresumsatz der kommerziellen Nachhilfe-Anbieter beziffert die Studie auf 0,9 bis 1,2 Mrd Euro. Angesichts eines großen „Graubereichs zwischen Nachbarschaftshilfe und Schwarzarbeit“ könnte er auch höher liegen.
- Nach Schätzung der Studie hat heute jeder dritte Schüler bis zum Ende seiner Schullaufbahn kommerzielle Nachhilfe in Anspruch genommen, besonders häufig sind Gymnasiasten und Realschüler im klassischen Pubertätsalter zwischen 12 und 16 Jahren vertreten.
- Akademikerkinder gut verdienender Eltern stellen die größte Gruppe. Bei vier Stunden pro Woche und einjähriger Beanspruchung zahlen Eltern im Schnitt zwischen 1200 und 1750 Euro.
Cornelsen setzt auf Studienkreis
Auf rund 3000 wird die Zahl der kommerziellen Nachhilfe-Institute in Deutschland beziffert. Ungetrübt ist die Goldgräberstimmung bei den professionellen Notenverbesserern allerdings nicht. Vor allem zwei Faktoren lassen ein Ende des Booms zumindest möglich erscheinen:
- Durch die demografische Entwicklung sinken die Schülerzahlen. Experten sagen einen Rückgang um 10% voraus.
- In einigen Bundesländern ist die Einführung der Ganztagsschule erklärtes Ziel der Bildungspolitiker.
Der Schulbuchriese Cornelsen machte den Nachmittagsmarkt trotzdem bereits 2003 als Wachstumsbereich aus und kaufte mit dem Unternehmen Studienkreis einen der beiden größten Anbieter.
Mit der 100%-Tochter, die ihre Zentrale in Bochum hat, verfolgt der Berliner Bildungsverlag ehrgeizige wirtschaftliche Ziele, die nicht zuletzt dadurch zum Ausdruck kommen, dass Cornelsen-Geschäftsführer Alexander Bob kürzlich ins Ruhrgebiet beordert wurde, um zusätzlich als Mitglied der Geschäftsführung bei einer strategischen Neuausrichtung Hand anzulegen.
Derzeit liege der Anteil der Nachhilfe am Cornelsen-Umsatz bei ca. 20%, berichtet Bob (Die Verlagsgruppe belegt mit einem Umsatz von 362,4 Mio Euro den 3. Platz im buchreport-Ranking „Die 100 größten Verlage“). „Es ist nicht auszu-schließen, dass wir durch eine Phase der Umstrukturierung gehen müssen“, meint der doppelte Geschäftsführer, „aber natürlich soll der Anteil der Nachhilfe am Cornelsen-Umsatz in den kommenden Jahren deutlich wachsen.“
In diesem Optimismus lässt Bob, der erst 2007 vom Mannheimer Lexikonverlag BIFAB zu Cornelsen kam, sich auch von sinkenden Schülerzahlen und der drohenden Ganztagsschule nicht beirren. Die Wachstumschance der institutionellen Anbieter liegen seiner Meinung nach ohnehin innerhalb des bestehenden Marktes, und zwar im sogenannten grauen Markt: Auf stolze 70% schätzt Bob den Anteil der „Einzelpersonen wie ältere Schüler oder Studenten, die mehr oder weniger gut Nachhilfe erteilen“. Um weiter zu wachsen, müsse Studienkreis den Eltern nachhilfebedürftiger Schüler klarmachen, dass ihre Kinder bei einem gut ausgestatteten Anbieter mit professionellem pädagogischem Konzept besser aufgehoben seien als beim Nachbarn.
Gescheiterter Versuch von Klett
Auch die Konkurrenz durch Ganztagsangebote an staatlichen Schulen bringt den Nachhilfe-Manager nicht ins Schwitzen. „Ich sehe noch nicht, dass diese Angebote so professionell organisiert wären, dass die individuelle Förderung der Schüler schon gewährleistet ist.“ Oft stünden den Schulen keine zusätzlichen Geldmittel zur Verfügung und der zusätzliche Unterricht erfolge dann doch wieder durch pädagogisch ungeübte Schüler.
Dass das Geschäft auf dem hart umkämpften Markt kein Selbstläufer ist, weiß aber auch Bob nicht erst, seit der Schulbuch-Konkurrent Klett seinen Ausflug in die Welt der Notenverbesserung für beendet erklärt hat: Nach nur einem halben Jahr hat die Verlagsgruppe in ihrem Augsburger Pilot-Institut Klett College die Tür wieder zugesperrt.
„Wir haben nicht die Zahlen erreicht, die wir angestrebt haben, um mittel- und langfristig rentabel zu sein“, gibt Projektleiter Christian Glaser zu Protokoll. Konkret: 200 Schüler wollte Klett in sein edel eingerichtetes und von hoch qualifizierten Pädagogen bevölkertes College locken.
Klett setzte mit vier Intensiv-Lernräumen auf 300 qm in der kürzlich renovierten Augsburger Max-Passage auf hohe Unterrichtsqualität und gediegenes Ambiente. Auf diese Weise wollte der Schulbuch-Primus (mit geschätzten 420 Mio Euro Umsatz im Jahr 2007 auf Platz 2 im buchreport-Ranking „Die 100 größten Verlage) sich vom „Schmuddel-Image“ der bezahlten Lernhilfe absetzen.
Mit 100 Euro für eine Doppelstunde in der Woche sollte der Preis trotz des höheren Aufwandes im Rahmen der Konkurrenzangebote liegen. Trotzdem kamen gerade mal halb so viele Schüler wie erhofft.
Das Scheitern des Klett-Versuchs ist durchaus exemplarisch für die Situation auf dem eng bevölkerten Nachmittagsmarkt: In Augsburg hatten die Nachhilfe-Neulinge es mit über 20 Konkurrenten zu tun, vom örtlichen Lernstudio Barbarossa bis hin zu Cornelsens Studienkreis.
„Für einen neuen großen institutionellen Anbieter würde es wohl schwer, in diesen Markt hineinzukommen“, meint Cornelsen-Mann Bob mit Blick auf den Klett-Rückzug. Dem verhinderten Wettbewerber ist die Lust auf den Nachhilfemarkt jedenfalls gründlich vergangen: In absehbarer Zeit soll es keine Neuauflage des Experiments geben, erklärt Projektleiter Glaser. Stattdessen werde geprüft, ob und wie die exklusiv für das Klett College entwickelten Lernmaterialien in das Verlagsprogramm integriert werden können.
Duden setzt auf Lerntherapie
Deutlich besser entwickelt sich das Engagement des Schulbuch-Konkurrenten Duden, der sich wie Cornelsen in ein etabliertes Unternehmen eingekauft hat. 2005 übernahm Duden das 1992 gegründete Paetec Institut für Lerntherapie. Ab 1. September dieses Jahres soll das Unternehmen, das bisher als Duden-Paetec firmierte, nur noch Duden Institut für Lerntherapie heißen.
Von der klassischen Nachhilfe unterscheidet sich das Duden-Angebot allerdings wesentlich: „In der Lerntherapie arbeiten wir an den Ursachen der Lernschwäche und nehmen nicht den aktuellen Stoff durch“, erklärt Organisationsleiterin Doris Friedrich.
Die Arbeit der Institute ist im Vergleich zur Nachhilfe à la Schülerhilfe und Studienkreis deutlich aufwändiger: Ihre Therapeuten betreuen die Kinder mit Lernproblemen entweder in Einzelförderung oder in Kleinstgruppen von höchstens drei Kindern.
Dafür müssen auch die Eltern der Hilfe suchenden Kinder tiefer in die Tasche greifen: Während ihnen bei den Nachhilfe-Anbietern im Schnitt bei vier Stunden pro Woche und einjähriger Beanspruchung Kosten zwischen 1200 und 1750 Euro entstehen, kostet die Betreuung im Institut für Lerntherapie pro Jahr im Schnitt 2000 Euro.
Obwohl die Lerntherapeuten mit ihren knapp 50 Standorten deutlich kleinere Brötchen backen als die großen Nachhelfer, gedeiht das Duden-Pflänzchen auf dem Nachmittagsmarkt ansehnlich: Im vergangenen Jahr eröffnete das Institut neue Niederlassungen in Goslar, Mannheim, Darmstadt, Hannover, Hamburg, Göttingen und Waren/Müritz, in diesem Jahr folgten (bisher) Niederlassungen in Mainz und Aachen.
David Wengenroth
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