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»Die tatsächlichen Lebens- und Arbeitsbedingungen der Menschen erkunden«

Anke Schnepel, Usability Doctronic. Foto: Rabea Schreiter.

Foto: Rabea Schreiter.

Für Medien ist die Nutzungsqualität ein kritischer Erfolgsfaktor. Das gilt besonders für digitale Medien, denn der Anwender ist nur einen Klick entfernt vom besseren Produkt. Berücksichtigen Verlage dies angemessen?

Verlage fokussieren manchmal zu sehr auf die Inhalte und deren Richtigkeit, anstatt auf Klickwege und Helligkeitskontraste ihrer digitalen Anwendungen zu achten. Dies stellte Anke Schnepel mit ihrer langjährigen Erfahrung als Usability/UX Consultant beim Publishingdienstleister Doctronic fest. Beim 21. CrossMediaForum am 3. Juli 2019 in München brach sie eine Lanze für systematische Nutzerforschung nach den Standards, wie sie führende Digitalunternehmer anwenden. Im Produktionschannel von buchreport.de gibt sie einen kurzen Überblick über die Vielfalt der Methoden.

 

Was war das Motiv für Doctronic, sich mit dem Thema Nutzerforschung zu beschäftigen?

Jedes Mal stellen sich in der langen Reihe an Projekten und Produkten, die wir mit Verlagen realisiert haben, irgendwann dieselben sehr konkreten Fragen. Welche Arbeitsabläufe hat der Nutzer und wie werden diese in der Anwendung sichtbar dargestellt? Wie gestalten wir die Navigation, so dass sie für die Nutzer verständlich ist? Welchen Content erwartet der Nutzer auf welcher Seite?

Da wir in diesem Fall nicht selbst die zukünftigen Nutzer sind und unsere Kunden selbst es meist auch nicht sind, können wir die Fragen ohne Nutzerforschung überhaupt nicht zufriedenstellend beantworten. Wie sollen wir die Lösung für ein Problem gestalten, dessen Gegebenheiten wir nicht kennen?

Mit welchen Methoden erforschen Sie die Bedürfnisse der Nutzer? Welche Produktstadien können Sie untersuchen – Konzept, Prototyp, fertiges Produkt?

Allein der Human-Centered-Design-Prozess hält eine riesige Anzahl an Methoden bereit – genauso wie das auch in anderen Bereichen der Fall ist, seien es Lean UX, agile oder die klassische empirische Sozialforschung.

Ich sage gerne, es geht nicht um Methoden, sondern um Zielerreichung. In welcher Situation bin ich? Hab ich schon ein Produkt und will ich etwas zur Qualität des Produkts herausfinden – dann ist der Usability-Test eine gute, erste Option. Möchte ich neue innovative Produkte entwickeln – dann brauche ich schon einen anderen Methodik-Mix, der sich von der Auswertung getrackter Nutzungsdaten über Umfragen bis hin zu Tiefeninterviews erstrecken kann.

Der Channel Produktion & Prozesse

Weitere Lösungen, Impulse und Erfahrungsberichte für die Verlagsproduktion lesen Sie im Channel Produktion & Prozesse von buchreport und Channel-Partner Publisher Consultants. Hier mehr…

Wie sieht eine konsequente Nutzerorientierung bei der Erstellung digitaler Produkte aus?

Den Menschen in den Mittelpunkt stellen, eigenes Büro verlassen, tatsächliche reale Nutzer in deren natürlicher Umgebung kennenlernen, strukturiert interviewen, Nutzungsanforderungen ableiten, Ideen generieren, die schon im Prototyp-Stadium mit echten Nutzern getestet werden und dann iterieren, dranbleiben, regelmäßig Usability-Tests durchführen, Teilschritte wiederholen, weiterlernen – niemandem gelingt direkt der erste Wurf und dann ist’s für immer fertig. Auch weil sich die Bedingungen, die Nutzergruppen, die Technologien verändern und erweitern.

Wie weit sind die Verlage bei der Nutzerorientierung? Und wie müssen Verlage umdenken, wenn sie frühzeitig und konsequent Nutzerbedürfnisse erkennen und berücksichtigen wollen?

Das Bewusstsein ist bei den meisten geweckt. Nur wie sie tatsächlich Nutzerorientierung angehen, ist sehr unterschiedlich. Teilweise ist es keine echte Nutzerorientierung, sondern mehr ein Feigenblatt. Das Vertrauen in den Verlagen scheint noch groß zu sein, dass die etablierten Geschäftsmodelle halten werden. Das liegt auch daran, dass kaum Kennzahlen erhoben werden und der Markterfolg eines Produkts selten im Zusammenhang mit Usability-Problemen des Produkts analysiert wird.

Zusätzlich gibt es meistens ein Ressourcen-Problem, die wenigsten haben eigene UX-Kompetenzen im Verlag. Zwar bieten mittlerweile viele Agenturen UX (User Experience) an, aber leider liefern viele nur UI (User Interface) und damit selten eine echte Nutzerorientierung.

Ihr Vortrag auf dem CrossMediaForum lautete: „Braucht überhaupt jemand unsere Innovationen? Nutzerforschung für die Entwicklung digitaler Verlagsprodukte“. Was war die zentrale Botschaft?

Wenn wir innovative Produkte entwickeln möchten, müssen wir uns Zeit nehmen, die tatsächlichen Lebens- und Arbeitsbedingungen der Menschen zu erkunden, für die diese Produkte gedacht sind. Ansonsten können wir nur raten, wie es wohl gehen könnte, und bleiben auf dem Niveau unserer eigenen Meinung, also unserer eigenen nicht validierten Annahmen hängen und entwickeln vermutlich die nächste Lösung, die nicht funktioniert.

Die Fragen stellte Ehrhardt F. Heinold.

 

Anke Schnepel ist seit mehr als zwölf Jahren in der IT-Branche tätig. Von Haus aus Geisteswissenschaftlerin ist sie als zertifizierte UX/Usability Professional darauf spezialisiert, die Nutzungsqualität von digitalen Produkten nachhaltig zu erhöhen. Seit 2017 verstärkt sie das Team von Doctronic und unterstützt Kunden bei der Analyse und Optimierung der Usability digitaler Verlagsprodukte sowie der Verbesserung der User Experience.

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