Branchenprimus Thalia rüstet sich für das digitale Zeitalter und setzt auf eine Strategie, die online und offline eng verzahnt. Unter dem Dach von Textunes in Berlin soll digitales Lesen und Einkaufen „immer und überall zu einem Erlebnis“ werden. Im Interview erläutert Textunes-Chef Volker Oppmann (Foto), der am 1. Dezember 2011 bei der 4. E-Book-Konferenz „E-Books, Tablet Apps, und Cloud Reading“ der Akademie des Deutschen Buchhandels im Literaturhaus München auftritt, die Digital-Strategie des Filialisten.
Was hat sich für Textunes durch den Kauf von Thalia verändert?
So paradox es sich anhören mag: Wir haben durch den Verkauf einen großen Grad an Freiheit gewonnen, nicht zuletzt dank des Vertrauens und der Wertschätzung, die uns unsere Hagener Kollegen entgegenbringen. Durch die neue Konstellation haben wir zudem die Möglichkeit, nun eine ganze Reihe von Initiativen anzustoßen, die ansonsten wahrscheinlich für immer als bloße Konzepte in der Schublade geblieben wären.
„Wir wollen zum assoziativen Stöbern einladen“
Wie unterstützen Sie den Leser dabei, im (digitalen) Bücherdschungel zu finden, was ihn interessiert?
Finden ist ein gutes Stichwort. Die meisten digitalen Shop-Konzepte richten sich im Grunde ausschließlich an Zielkäufer, die ein konkretes Kaufbedürfnis haben und genau wissen, wonach die suchen. Oder aber man wird frontal mit Bestsellerlisten und Werbebotschaften befeuert. Der Kunde hat aber ein nicht minder großes Bedürfnis nach Orientierung und (persönlicher) Relevanz.
Wir möchten den Kunden durch unser neues Channel-Konzept zum assoziativen Stöbern einladen, ihm auch in der digitalen Welt einen Raum bieten, in dem er sich wohlfühlt. Wir geben jedem Kunden die Möglichkeit, sich sein persönliches Sortiment gemäß der eigenen Interessen individuell zusammenzustellen, indem er sich einzelne thematische Channels wie z.B. Krimi „abonniert“. Wir lösen uns von der klassischen Warengruppensystematik und bieten begleitend redaktionell betreute Themenwelten an.
Weitere zentrale Aspekte sind die Anbindung an soziale Netzwerke sowie persönliche Empfehlungen, da man einer Empfehlung aus seinem Freundeskreis bzw. einer dezidierten Interessengruppe deutlich mehr Vertrauen schenkt als einer reinen Werbebotschaft.
Was bedeutet „Smart Reading“?
Unsere „Smart-Reading-Strategie“ zielt in erster Linie in Richtung Endkunde und ist eine strategisch wichtige Säule innerhalb der Multichannel-Ausrichtung von Thalia. Langfristiges Ziel ist es, digitales Lesen für Jedermann immer und überall zu einem Erlebnis werden zu lassen – sowohl unabhängig von dem jeweiligen Kanal, in dem sich der Kunde gerade bewegt, als auch unabhängig von dem jeweiligen Endgerät, das der Kunde nutzt. Oder um ein paar Anglizismen zu bemühen: Smart Reading ist das Einlösen den Versprechens von „anything, anytime, anywhere“ gegenüber der mobilen Generation „always online“.
„Nur mit Cloud-basierten Angebotsmodellen haben wir eine Chance“
Welche Rolle spielt Cloud Reading bei Textunes/Thalia?
Eine ganz zentrale, da wir – und damit meine ich nicht nur Thalia, sondern alle Kollegen im Sortiment – nur mit Cloud-basierten Angebotsmodellen neben den großen amerikanischen Anbietern bestehen können. Wenn wir den Kaufprozess (mit einem Klick) und das Service-Angebot rund um die Inhalte (Beispiel: Synchronisation über mehrere Endgeräte hinweg) nicht annähernd so attraktiv gestalten können wie Apple und Amazon, haben wir nicht den Hauch einer Chance, da der Kunde stets dort kauft, wo es am bequemsten für ihn ist. Die Zukunft des deutschen E-Book-Handels steht und fällt mit der Cloud.
Nach einer Studie von Ihnen und der GfK ist das iPhone unter den Apple-Geräten nach wie vor das beliebteste Lesegerät. Wie lange noch?
Unsere Studie zeigt sehr deutlich, dass das iPhone bereits massiv an Boden verliert – zum einen gegen die „Konkurrenz“ aus dem eigenen Hause, sprich: das iPad, zum anderen aber noch viel massiver aber gegenüber Geräten, die auf dem Betriebssystem Android laufen. Samsung hat Apple als Smart-Phone-Anbieter bereits überholt, und ich gehe davon aus, dass sich das Blatt im kommenden Jahr flächendeckend in Richtung Android wendet – alleine die Anzahl an Smart-Phones, Tablets und Hybrid-Readern, die aktuell zu Dumpingpreisen auf den Markt geworfen werden, spricht Bände. Selbst Amazon setzt mit dem „Fire“ inzwischen auf Android.
Für das elektronische Publizieren ist das ein sehr positives Signal, da mit der steigenden Anzahl erschwinglicher Endgeräte nun endlich auch in Deutschland die nötige Marktdurchdringung erreicht wird, die ein nachhaltiges Geschäft mit bezahlten Inhalten überhaupt erst möglich macht.
„Social Reading ist ein Hebel gegen Amazon und Apple“
Welche Chancen entstehen durch Social Reading?
Hier sehe ich vor allem große Chancen für den Handel, nicht zuletzt, da wir mit Social Reading einen Hebel gegen Amazon und Apple haben, die immer reine Händler bleiben werden – sehr interessante Ansätze sehe ich aktuell bei den Kollegen von Kobo, Readmill und Anobii.
Indem wir neben der Anbindung an soziale Netzwerke auch den Kollegen aus dem stationären Sortiment einen Platz in der digitalen Welt geben, ermöglichen wir soziale Interaktion über alle Verkaufskanäle hinweg, da ich nun nicht mehr zwangsläufig vor Ort in eine Buchhandlung gehen muss, um mit dem Buchhändler meines Vertrauens in Kontakt zu treten.
Ist es dank Epub 3 für Verlage inzwischen interessanter, angereicherte E-Books statt Apps zu entwickeln?
Definitiv. Eine App ist immer ein Stück Software, in das der eigentliche Content „eingepackt“ ist – und Software ist per se äußerst pflegeintensiv, da sie permanent nach Updates verlangt. Die Lebenszyklen sind sehr kurz. Ganz zu schweigen davon, dass man für jedes Betriebssystem neu entwickeln muss. Und schlussendlich kostet es immens viel, die nötige Aufmerksamkeit zu generieren, dass die Apps auch tatsächlich geladen werden – die Konkurrenz durch andere Apps ist groß und die Streuverluste in Sachen Marketing nicht minder.
Epub hingegen ist ein standardisiertes Dateiformat, das unabhängig von dem jeweiligen Betriebssystem von der jeweils verwendeten Reader-Software /-App interpretiert werden kann. Im Vergleich zu einer App-Entwicklung sind die Erstellungskosten marginal. Einmal erstellt, kann man direkt sämtliche relevanten Vertriebskanäle damit bespielen – und mit Epub 3.0 hat man als Verlag endlich die gestalterischen Möglichkeiten, die bis dato Domäne der Apps gewesen sind.
Was kann die Buchbranche von anderen Branchen lernen?
So platt und abgedroschen es inzwischen auch klingen mag: Aus den Fehlern der Musikindustrie lernen und schnellstmöglich attraktive Angebote entwickeln, insbesondere hinsichtlich eines einfachen Zugangs zu Inhalten.
Interview: Teresa Rasch
Zur Person: Volker Oppmann
ist Geschäftsführer des Berliner Start-up-Unternehmens Textunes, das im August von Thalia gekauft wurde. Am 1. Dezember 2011 erläutert er Thalias Smart-Reading-Strategie auf der 4. E-Book-Konferenz „E-Books, Tablet Apps, und Cloud Reading“ der Akademie des Deutschen Buchhandels im Literaturhaus München.
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