In einer Kinderwelt, in der sich alles bewegt, blinkt und spricht, steht die Buchbranche vor der Herausforderung eine neue Generation für sich zu gewinnen. Kinder- und Jugendforscher Axel Dammler (Foto) sieht in der Digitalisierung auch eine Chance, die Jüngsten vom Lesen zu begeistern – sofern die Verlage bereit sind, leichter zugängliche Angebote zu entwickeln.
Wie verändert sich die Welt der Kinder und wie müssen Verlage darauf reagieren?
Die Technologisierung in der Welt der Kinder schreitet immer weiter voran. Wir sehen immer mehr Bildschirme, wir sehen immer mehr interaktive Spielzeuge, immer mehr Interaktion in dem, was Kinder machen, und es wird mehr und mehr zum Standard, dass sich die Kinder nicht mehr nur aus sich selbst heraus motivieren müssen, sondern von den Dingen motiviert werden. Diese Möglichkeit, aktiv zu stimulieren und zu motivieren, fehlt dem Buch. Darin liegt meiner Ansicht nach die große Herausforderung: Die Branche muss sich bewusst sein, dass eine andere Generation von Kindern heranwächst und die Kluft zwischen den Lesekindern und den Nicht-Lesekindern immer größer wird.
Wie werden aus Lesemuffeln begeisterte Leser?
Boshaft gesagt: indem man ihnen etwas bietet, das blinkt und leuchtet. Über Apps haben Verlage die Möglichkeit, Buchthemen mit Animationen und interaktive Elemente anzureichern und so auch computerspielgewohnte Kinder zum Lesen zu animieren. Insofern liegt in der digitalen Welt sicherlich auch eine Chance.
Lohnt sich die Investition in Apps und erweiterte E-Books für Kinder? Bisherige Umsatzzahlen sprechen eher dagegen…
Das ist nicht ganz überraschend, wenn man sich anschaut, wie gering die Verbreitung der Geräte bisher ist. Der App-Markt ist noch recht klein und man sollte sich auch nicht einbilden, dass er rasant wachsen wird. Tablets und Smartphones sind vor allem in der Hand einer Generation, von der die meisten noch gar keine Kinder haben. Entsprechend ist der Weg zu Kinder-Apps ein sehr viel weiterer als der Weg der Apps für Erwachsene.
Sollten Verlage also abwarten oder sich schon jetzt positionieren?
Die Schwierigkeit liegt darin, dass der Markt noch nicht klar aufgeteilt ist zwischen den Betriebssystemen iOS/Apple und Android und unklar ist, in welche Richtung sich der Markt entwickeln wird.
Dementsprechend kann viel Geld verbrannt werden…
Das ist genau der Punkt. Letztendlich müsste ich eigentlich auf allen Plattformen unterwegs sein. Ich fahre also die Entwicklungskosten hoch, habe aber nur ein begrenztes Marktsegment.
Das App-Angebot wird beherrscht von Billigangeboten. Können sich Verlage mit ihrer Hoch-Preisstrategie im Wettbewerb behaupten?
Die Billig-Strategie ist aus dem Zwang heraus geboren, dass von Apps letztlich niemand leben kann. Entsprechend wird der App-Markt genutzt als Ergänzung oder als Platzhalter. Viele Unternehmen wollen nicht in Apps investieren, weil es zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht klar ist, wie sie die Investitionen refinanzieren können – insbesondere weil die Unternehmen oft im Wettbewerb zu Konsolenspielen, Computerspielen oder Filmen stehen und die Qualität der Apps mit diesen Angeboten verglichen wird.
Was erwarten Eltern von den Angeboten für ihre Kinder?
In erster Linie Qualität. Eltern möchten aber auch abgeholt werden bei Dingen, die sie selbst mögen und kennen. Themen mit neuer Bildsprache haben es schwer über die Eltern die Kinder zu erreichen. Diese Zweiteilung kann man sehr schön am Mangamarkt beobachten, wo es teilweise qualitativ hoch wertvolle Printprodukte gibt, die Eltern aber den Stil nicht mögen, ihn nicht aus ihrer Kindheit kennen. Das führt dazu – und das ist ein typisch deutsches Problem –, dass das was durch die Hände der Eltern kommen will, meist zahmer, aus Kindersicht oft langweiliger, sein muss, um zu funktionieren. Das sehen wir an der nach wie vor starken Nachfrage der Klassiker.
Und dieses Phänomen ist nur in Deutschland zu sehen?
In Deutschland haben wir eine deutliche Zweiteilung zwischen E-Markt und U-Markt, der durch den Filter Buchhändler noch verstärkt wird. Diese starke Unterteilung gibt es in der Form in anderen Ländern nicht, dort gehen die Eltern und Händler sehr viel entspannter mit neuen Themen um und reagieren eher auf die Wünsche der Kinder.
Vor welchen Herausforderungen steht die Branche?
Zunächst einmal möchte ich betonen: Der Buchmarkt ist nicht in seiner Existenz bedroht ganz im Gegensatz zu anderen Medien. Dies liegt daran, dass die Mädchen als Kernleser nach wie vor an das Lesen geführt werden und nach wie vor auch Spaß am Lesen haben. Eine Herausforderung besteht darin, die sogenannten bildungsfernen Schichten zum Lesen zu motivieren. Verlage müssen auch Bücher zu schaffen, die die Angst vor dem Lesen nehmen, die leichter zugänglich sind. Insbesondere für Jungen würde ich mir einen entspannteren Zugang wünschen – vor allem auch Produkte, die ihnen nicht gleich das Lesen vermiesen.
Die Fragen stellte Lucy Kivelip.
Axel Dammler
ist geschäftsführender Gesellschafter des Spezialinstitut für Kinder- und Jugendforschung Iconkids & Youth International Research in München. Außerdem ist er tätig als Berater und Autor von Fachartikeln, eines Marketing-Fachbuchs sowie eines Elternratgeber. Er moderiert am 23. November den Kindermedienkongress in München, veranstaltet von der Akademie des Deutschen Buchhandels (hier weitere Informationen zum Kongress).
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