„Digitale Wettbewerbsfähigkeit – wo steht der Standort Deutschland?“ heißt die Studie von Deloitte Touche Tohmatsu Limited (DTTL). Erschienen ist sie im Rahmen der DTTL-Reihe „Datenland Deutschland“. Verantwortet haben sie Director Research Deutschland Dr. Alexander Börsch und Leiter Innovation Nicolai Andersen. Ihre Datenbasis sind verschiedene Statistiken der OECD und anderer Organisationen sowie eigene Forschungsergebnisse.
Das Auf und Ab der erfolgskritischen Ressourcen
Trend-Analyst Börsch und Start-up-„Brüter“ Andersen beobachten seit Jahren aufmerksam das Auf und Ab der kritischen Ressourcen für starke und international konkurrenzfähige Branchen und Unternehmen. Andersen leitet als verantwortlicher Partner die Deloitte Garage, in der neue Geschäftsmodelle entworfen, entwickelt und „inkubiert“, also „bebrütet“ werden. Börsch und Andersen haben sehr gemischte Nachrichten für deutsche Unternehmer in petto. Sie kritisieren, dass weder die Chancen noch das disruptive Potenzial digitaler Geschäfte hinreichend bewusst seien. „Das Land der Ingenieure und Tüftler fremdelt noch mit der neuen digitalen Welt“, fassen sie zusammen. In Digitalisierungspotenziale und -lösungen investieren deutsche Unternehmer deutlich weniger als Unternehmer den meisten anderen OECD-Staaten. Und von einer lebendigen Gründer-Kultur ist Deutschland trotz vereinzelter Erfolgsgeschichten noch weit entfernt. Beim Prozentsatz derer, die daran glauben, die nötigen Fähigkeiten und das nötige Wissen zu haben, ein Unternehmen aufzubauen, belegt Deutschland den 23. von 34 Plätzen, bei der Chancenorientierung den 18. Platz.
IT-Experten sind Mangelware
Deutschland, eine Nation der „geborenen Angestellten“? Das könnte für Unternehmen im Kampf um die besten „Macher“ eine gute Nachricht sein. Beim genauen Hinsehen und Vergleichen trübt sich dieses Bild. Deutschlands „Digitaler Talentpool“ (Börsch und Andersen) ist schwach besetzt und entsprechend stark überfischt. Der Anteil der IT-Experten, die aktuelle Basis für die Entwicklung und Implementierung digitaler Technologien, liegt in Deutschland bei 0,7 Prozent der Beschäftigten. Im gesamten Bereich der Ingenieure im Bereich Elektrotechnik, der IT-Service-Manager, IT-Techniker und IT-Professionals sind 2,8 Prozent der Beschäftigten tätig, Deutschland erreicht damit gerade einmal Platz 20 unter den OECD-Ländern. Das führende OECD-Land Finnland verfügt über die doppelte Quote. Ähnlich schwach ist das Bild bei den Forschern im IT-Sektor. Dieser Teilindikator gilt als Näherungswert dafür, wie innovativ ein Land im IT-Bereich sein kann. Hier belegt Deutschland den 26. Platz. Das reicht gerade einmal für einen Platz im untersten Viertel der OECD-Länder.
Schlüsselqualifikation Datenwissenschaft
Eine geringfügig bessere Platzierung erreicht Deutschland bei der Ausstattung mit Datenanalysten beziehungsweise Datenwissenschaftlern. Diese relativ neue Berufsgruppe wertet große Datenmengen (Big Data) aus, entwickelt Algorithmen und komplexe Analyseverfahren und schafft die Grundlage für neue Geschäftsmodelle, neue Einsichten in Kundenbedürfnisse und optimierte Prozesse und Planungen in Unternehmen, etwas, das auch die Medienbranche dringend benötigt. Mit Platz 14 ist aber der Abstand zur Spitzengruppe noch gewaltig: Die Anzahl von Datenspezialisten ist in den OECD-Ländern in den letzten Jahren mit der zunehmenden Digitalisierung der Wirtschaft rasant gestiegen. Ihr Anteil an der Beschäftigtenzahl in den führenden Ländern in diesem Bereich – Luxemburg, Niederlande, USA – ist circa doppelt bis viermal so hoch wie in Deutschland.
Für die „Macher“ von morgen ist gut gesorgt
Nur schwaches Leben regt sich also im digitalen Talentpool von heute. Anders die „Talent-Pipeline“: unter diesem Begriff fassen die Autoren der Studie all das zusammen, was Nachwuchs entstehen lässt. Aufgrund der hohen Anzahl an MINT-Studenten und der ausgezeichneten Qualität der Hochschulausbildung genießt Deutschland eine Spitzenposition und landet im OECD-Vergleich nur knapp hinter dem Vereinigten Königreich auf Rang 2. Der quantitative Output an Absolventen ist hoch, sowohl in absoluten wie auch in relativen Zahlen: Mehr als 15 Prozent der Studierenden in Deutschland sind in MINT-Fächern eingeschrieben. Sieben der 100 besten technischen Universitäten liegen in Deutschland:
- Aachen
- Darmstadt
- Dresden
- Freiburg
- Karlsruhe
- München
- Stuttgart.
Bei der generellen Qualität der mathematischen und naturwissenschaftlichen Ausbildung erreicht Deutschland nur eine Position im oberen Mittelfeld, was immerhin deutlich besser ist als die Qualität etwa der Managementausbildung. Für die digitale Innovationsfähigkeit sind die technologischen Studiengänge erfolgskritisch, besonders die Ausbildung von Informatikern. Auch hier zeigt sich eine sehr gute Stellung der deutschen Universitäten. Unter den 100 besten Informatik-Fakultäten befinden sich elf deutsche: zusätzlich zu den sieben technischen Universitäten noch
- die TU Berlin
- die Humboldt Universität Berliin
- Bonn
- Ulm
Deutsche Publisher und ihr „digitaler Nachwuchs“
Die deutschen Medienunternehmen sollten nun nicht darauf vertrauen, dass in wenigen Jahren ihr Arbeitsmarkt mit billigen, willigen Digital-Spezialisten reich bestückt sein wird. Sie neigen generell dazu, die Strahlkraft ihres Metiers auf den Nachwuchs zu überschätzen. Und die Konstellationen, nach denen Berufsanfänger und Fachkräfte navigieren, haben sich dramatisch gewandelt und werden sich voraussichtlich weiter wandeln. Work-Life-Balance, soziale Sicherheit, tolle Marken zählen heute mehr als schöne Produkte oder ein intellektuelles Umfeld. Vor allem reklamieren junge Talente Teilhabe, Einfluss und Gestaltungsmöglichkeiten gerade auf den Feldern, in denen sie sich auskennen. Für die – oft digitalaversen – Führungskader der Verlagsunternehmen heißt es daher: delegieren, abgeben und vertrauen.
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