Die Methoden der agilen Entwicklung werden vorwiegend in der IT und Start-up-Branche angewendet. Auch in Verlagen sind die IT- und E-Business-Bereiche oft die ersten (und einzigen) Anwender dieser Methode. Dabei liegt ihr Ursprung, wie IT-Agile-Geschäftsführer Stefan Roock jüngst in einem Vortrag erläutert hat, gar nicht im IT-Bereich: Die ersten agilen Anwendungen wurden für die Produktentwicklung geschaffen. Denn „agil“ ist nicht nur eine Projektmanagement-Methode, sondern ein strategischer Ansatz, bei dem die Kunden und ihre Bedürfnisse in den Mittelpunkt gestellt werden.
Agil heißt Kundenintegration
Die einfache Idee: Es macht keinen Sinn, ein komplexes Produkt zu entwickeln und dann die Kunden zu fragen, wie sie das finden (oder das Produkt gar gleich auf dem Markt zu testen), um dann in teuren und aufwändigen Updates die gewünschten Verbesserungen vorzunehmen. Es macht mehr Sinn, die Kunden von Beginn an einzubeziehen und sie dann im Entwicklungsprozess so zu integrieren, dass in immer weiteren Verbesserungsstufen ein marktfähiges Produkt entwickelt werden kann. Die Iterationsstufen sollten dabei den „Minimum viable product“-Prinzipien folgen und so angelegt sein, dass ich stets erkennen kann, welche Features funktionieren (und welche nicht).
Selbst in Verlagen mit agiler Entwicklung wird dieses Grundprinzip oft nicht beachtet, wenn nur die IT- oder E-Business-Abteilung agil arbeitet: Die Produktmanager haben das Konzept erstellt (und hierbei, wenn es gut läuft, wenigstens eine Marktforschung durchgeführt) und an die Umsetzungsabteilung übergeben. Diese arbeitet zwar scheinbar agil, aber die Rückkopplung zu den Kunden fehlt.
Agil ist eine Herausforderung
Uwe Matrisch hat die Grundprinzipien der agilen Entwicklung bereits in seinem Newsletter-Artikel von 2012 dargestellt. Die Kernidee lautet: Ich verabschiede mich von einem detaillierten Produktkonzept, sondern arbeite auf Basis einer als Geschäftsmodell ausgearbeiteten Zielvorstellung in einem dynamischen Prozess. Änderungen, die sich im Projektverlauf ergeben, sind keine Störfaktoren, sondern erwünscht, weil sie im optimalen Fall die Schwächen des Ausgangskonzeptes ans Tageslicht fördern, z. B. in der Gestaltung des Produktnutzens oder der Benutzerfreundlichkeit.
Im buchreport.webinar zum Thema „So wird Ihr Unternehmen agil“ zeigt Matrisch am 30. Januar 2015, wie „Scrum“ im Publishing funktioniert. Hier weitere Infos.
Der Schwenk vom detaillierten Produktkonzept zur dynamischen und kundenorientierten Produktentwicklung stellt die größte Herausforderung dar, denn zentrale Paradigmen des klassischen Projektmanagements nach dem Wasserfall-Modell, gelten nicht mehr:
- Statt eines zu Projektbeginn detailliert ausgearbeiteten Projektplans gibt es wenige Meilensteine. Wenn ich das Konzept radikal umsetze, ist Qualität (im Sinne des Kunden) wichtiger als ein Launchtermin.
Statt großer Abnahmepunkte werden die Ergebnisse nach jedem Sprint bewertet: Die einzelnen Projektfortschritte werden in sog. Sprints abgearbeitet. Jeder Sprint hat ein definiertes Ergebnis. Innerhalb der Sprints wird oft täglich der Status ermittelt.
Wegen dieser Dynamik lassen sich die benötigen Ressourcen (Mitarbeiter, Finanzmittel) nur grob planen.
Die agile Methode fordert weitere Veränderungen in Verlagen:
- Die einzelnen Projektaufgaben werden von möglichst autonom arbeitenden Teams erledigt. Im Mittelpunkt stehen Kundennutzen und Projektziel, und nicht interne Orientierungspunkte wie Hierarchieebenen oder zu beachtende Eitelkeiten. Der „Product Owner“ hält dem Team den Rücken gegenüber den Projektauftraggebern frei.
- Im Projekt herrscht größtmögliche Transparenz: Der Projektstatus wird so oft wie sinnvoll ermittelt (meistens täglich). Alle Projekttätigkeiten werden visualisiert (z. B.in einem Kanban-Board). So entsteht eine beinahe gnadenlose Transparenz, die viele Einzelkämpfer nicht gewohnt sind.
- Statt Featureritis geht es um Prototyping: Viele Verlage entwickeln neue Produkte mit Wünsch-Dir-was-Listen, bei denen Produktmanager (und vielleicht Kunden, wenn sie mit den falschen Mafo-Methoden befragt werden) aufschreiben, was das Produkt alles können sollte. Agile Entwicklung vermeidet Featureritis , weil sie den Kernnutzen eines Produktes in den Mittelpunkt stellt. Das wird erreicht, indem so schnell wie möglich ein lauffähiger Prototyp erarbeitet wird, der die Kernfunktionalitäten abbilden kann. Es werden nur so viele Features hinzuentwickelt, wie aus Business Case- und Kundensicht sinnvoll sind. Gerade Digitalprodukte sollten versionsfähig sein und keinesfalls mit allen denkbaren Funktionen gelauncht werden. Weitere Features können dann auf Basis von Kundenfeedbacks in die nächsten Versionen integriert werden.
All das erfordert von den Mitarbeitern, vor allem aber vom Management mentale Veränderungen. Verlage sollten ein agile Produktentwicklung nur dann einsetzen, wenn sie dafür die Voraussetzungen schaffen: Ausreichend geschulte Mitarbeiter, flache Hierarchien, teamorientiertes Arbeiten, geeignete Dienstleister und ein Management, das eine derart dynamische und kundenorientierte Arbeitsweise als Chance begreift.
Zum 7. Mal veranstaltet Heinold, Spiller & Partner die CRM-Fachkonferenz zum innovativen Management von Kundenbeziehungen. In der Konferenz am 26. März 2015 stellen Verlage zusammen mit ihren Softwarepartnern Praxisbeispiele für erfolgreiches CRM vor. Dabei wird der Frage nachgegangen, wie CRM genutzt werden kann, um bereits vorhandene Kunden zu binden, neue zu gewinnen und gezielte Datenanalyse für die Produktplanung zu nutzen. Zum Programm.
Bewertung
Die Stärken: Agiles Projektmanagement eignet sich hervorragend für den Einsatz bei der Entwicklung von innovativen und vor allem digitalen Verlagsprodukten (und überhaupt für alle Softwareprojekte wie z. B. eine Homepage oder einen Shop). Die Methode minimiert das Investitionsrisiko durch die Einbeziehung der Kunden und durch das Arbeiten mit funktionsfähigen Prototypen, die jederzeit getestet werden können. Allerdings stellt der Einsatz von agilen Methoden hohe Anforderungen an alle Beteiligte. Ein solches Projekt sollte also gut vorbereitet (und vielleicht beim ersten Mal mit externer Begleitung) angegangen werden.
Die Grenzen der Methode liegen sicher bei Produktentwicklungen, die von Kreativen getrieben werden (wie z. B. Autoren), die sich nicht in eine so strenge Methode (und Kontrolle) integrieren wollen. Auch Routineproduktentwicklungen, wie sie im Buchverlag die Regel sind, müssen nicht immer „agil“ gemanagt werden, können aber von der Methode profitieren, indem sie einige Kernelemente aufgreifen. Hier muss jeder Verlag seinen pragmatischen Weg finden.
Die Schwäche der Methode ist zugleich ihre Stärke: Exakte Projektparameter (Zeit, Budget, Funktionsumfang) lassen sich vorab nur grob definieren. Vor allem bei der Finanzplanung dürfte dies so manchen Controllingabteilungen zu schaffen machen.
Fazit
Agiles Projektmanagement ist die Methode der Wahl, wenn es um komplexe und digitale Produktinnovationen geht. Die Methode hebt zudem die interne Zusammenarbeit auf ein neues Niveau: Projekte werden transparent, die Autonomie von Teams und deren Mitgliedern wird gestärkt, die Firmenkultur erhält einen kräftigen Stoß in Richtung Start-up-Spirit. Führungskräfte sollten jedoch vor dem Einsatz die Voraussetzungen schaffen und ausreichend Ressourcen (Know-how, Kapazitäten, Räume, Finanzmittel) bereitstellen.
Ehrhardt F. Heinold, Unternehmensberater Heinold, Spiller & Partner
Quelle: Newsletter Heinold, Spiller & Partner
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