Auf einzelne Nutzergruppen oder sogar einzelne Nutzer zugeschnittene Medienangebote sind keine neue Idee, sondern eine Vision von gestern. Die erste Blütezeit dieses Ansatzes lag in den späten 90ern, als durch die Internettechnologie Konzepte wie Targeting und Customzing technologisch umsetzbar wurden. Doch der Hype entwickelte sich nicht zum Boom. Wir Unternehmensberater liebten das Thema, die Verlage jedoch taten sich schwer mit dem Ansatz. Ist die Zeit jetzt reif für einen zweiten Anlauf?
Die Idee klingt bestechend – auf den ersten Blick: Statt sich mit einem durch Redakteure vorgefertigten Medium zu beschäftigen (z.B. einer Zeitschrift oder einem Ratgeber), stellt sich der Kunde sein Medium selbst zusammen. Aufs Internet übertragen heißt dies: Der User sieht beim Surfen auf einem Nachrichtenportal nur noch jene Themen, die ihn interessieren.
Auf den zweiten Blick verliert der Ansatz an Charme, vor allem für die Verlage: Sie lebten und leben ja gerade von dem Verkauf von einmal gefertigten Produkten an x Kunden (wie alle Produktverkäufer).
Auch aus Kundensicht scheint das Thema schwieriger zu sein als vermutet: Wer will nur auf jene Themen stoßen, die ihn in einer bestimmten Situation interessieren? Wer möchte sich nicht auch einmal gerne überraschen lassen, z.B. von einer Zeitschrift als „Wundertüte“? Und wer will sich ein Medium zusammenstellen, wo doch im Internet durch eine Suche sehr gezielt einzelne Inhalte gefunden werden können?
Doch der Blick in andere Mediengattungen lehrt: Die Alleinstellung der vorgepackten Medienangebote geht vorbei. Youtube und iTunes zeigen: Die Nutzer bricht die Pakete auf, also das Sendeschema der Fernsehanstalten oder das Musikpaket auf einer CD. Ist dieses Prinzip auf Verlagsangebote übertragbar? Um diese Frage zu beantworten, möchte ich zunächst die verschiedenen Ansätze vorstellen.
Targeting im Internet
Der „Klassiker“ der Personalisierungsstrategien: Die Interessen des Users werden erkannt, entweder durch sein Surfverhalten, durch sein Profil durch seine Vorgaben oder durch einen Algorithmus; die angezeigten Inhalte werden darauf abgestimmt. Getrieben wurde dieses Konzept nicht so sehr von den Redaktionen, sondern von den Werbekunden und den E-Commerce-Managern. Beide wussten: Je genauer eine Anzeige oder ein angezeigtes Produkt den Userinteressen entsprechen, umso höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass der User positiv reagiert.
Zum Kern seines Geschäftsmodells hat Google dieses Verfahren gemacht: Die Suchanfragen steuern die Auslieferung der Werbung, die Bezahlung basiert auf der Zahl der Reaktionen (Klicks). Eine genial einfache Idee, die extrem gut funktioniert, wie die Entwicklung dieses Konzerns zeigt.
Facebook möchte diese einfache Form des Targeting noch toppen, indem es ausführliche Nutzerprofile für das Werbematching verwenden möchte. Ob das gelingt, wird sich zeigen.
Personalisierte Elemente in Büchern
Einfach, aber schon gut erprobt ist die teilweise Personalisierung von Buchinhalten, wie sie etwa durch Verlage wie Wissen Media (mit den Jolly Books) oder Personal Novel seit Jahren erfolgreich angeboten werden: Der Kunde hat die Möglichkeit, einige persönliche Elemente in dem Buch zu bestimmen (z.B. den Namen des Beschenkten oder der Hauptfigur, den Ort der Handlung oder eine Widmung). Das Buch wird im PoD-Verfahren hergestellt und als Einzelstück verkauft.
Dieses Modell wird bisher erst von wenigen Verlagen angewendet, obgleich es Potential für weitere Gattungen wie z.B. Geschenkbücher besitzt.
Zuschnitt auf Zielgruppen bis hin zum Einzelkunden
Medienangebote richten sich immer an definierte Zielgruppen (oder sollten dies zumindest tun). Dieser Ansatz geht noch einen Schritt weiter: Er segmentiert tiefer, schneidet noch genauer auf einzelne Zielgruppenbereiche zu. Dies kann auf vier Wegen geschehen:
- Der Verlag identifiziert auf Basis von Nutzerprofilen (in der CRM-Database hinterlegte Eigenschaften wie Profilangaben, Kaufverhalten, Kontakthistorie) Kundengruppen mit gemeinsamen Interessen und schneidet Inhalte entsprechend zu. Diese neue Form des Data Minings wird bisher „nur“ für die Produktvermarktung, nicht jedoch für die Produkterstellung eingesetzt. Die Identifikation von Mikrozielgruppen und die Erstellung passender Medien ist ein großer Trend in den USA. In Deutschland steckt dieser Ansatz erst in den Kinderschuhen.
- Der Kunde selbst bestimmt die Inhalte. Bekannt, aber dafür nur sehr grob auf den jeweiligen Nutzer zugeschnitten, ist dieser Ansatz im Bereich von Newslettern: Der Abonnent gibt seine Interessengebiete an und erhält einen entsprechende Zusammenstellung. Komplexer wird es, wenn der Kunde den gesamten Inhalt aktiv auswählen möchte. Ein aktuelles Beispiel hierfür sind die Customized Books des Verlags Walter de Gruyter. Schon länger gibt es dieses Angebot im Bereich der Kochbücher (z.B. beim Verlag Dr. Oetker).
- Spannend erscheint uns eine Kombination dieser beiden Ansätze: Der Kunde stellt sich sein persönliches Medium zusammen. Der Verlag analysiert die Zusammenstellung und das Kundenprofil und schaut, welche anderen Kunden sich genau dafür noch interessieren könnten.
- Noch weiter in die Personalisierung gehen Angebote, die dem Nutzer das Hinzufügen eigener Inhalte erlauben, sei es durch Kommentare oder auch durch ganz eigene Inhalte. Ein Beispiel hierfür ist das amerikanische Portal Flatworldknowledge, das dem Lehrenden die Möglichkeit bietet, aus allen verfügbaren und eigenen Inhalten ein Lehrbuch zusammenzustellen, das die Lernenden digital oder gedruckt nutzen können.
- Noch weiter geht dieser Ansatz, wenn Inhalte nicht nur von einer Person, sondern von einer Gemeinschaft kommentiert und erweitert werden können. Aktuelles Beispiel für dieses Konzept ist das juristische Fachportal Jurion.
Doch ganz gleich, wie das Konzept lautet: Richtig spannend für den Kunden wird das Thema nach meiner Einschätzung erst, wenn er verlagsübergreifend sein Wunschmedium erstellen kann. Auch hierfür sind Angebote wie Youtube oder iTunes ein Vorbild. Die individuelle Zeitschrift auf Basis eines detaillierten Profils? Ja, gerne doch – aber dann aus allen Zeitschriftentiteln, nicht nur aus denen eines Verlages.
Jede Menge Herausforderungen
Die Herausforderungen für die Umsetzung der genannten Konzepte liegen in sieben Bereichen:
- Granularisierung der Inhalte, um dem Kunden eine gute Auswahlmöglichkeit zu bieten
- Verschlagwortung der Inhalte mit Metadaten
- Semantische Aufbereitung und Verlinkung der Inhalte
- Aufbau von Kundenprofilen und einer entsprechenden CRM-Infrastruktur
- Weitgehende Automatisierung aller Prozesse
- Integration der IT-Systeme CRM, ERP und CMS, um Customized Content nicht nur zu managen, sondern auch abzurechnen und zu verbuchen
- Aufbau von kundenfreundlichen und verlagsübergreifenden Vermarktungsportalen, um das Geschäft nicht nur den Apples und Amazons zu überlassen. Damit einhergehend: Bereitschaft zum Öffnen der Inhalte für die Vermarktung durch Dritte
Ja, es geht: Aber wo bleiben die Kunden?
Konzepte gibt es also genug, die Technik unterstützt immer besser – es wird gehen. Doch bisher sind personalisierte Verlagsmedien ein Nischenangebot – im Unterschied zu Youtube oder iTunes. Wollen sich Kunden tatsächlich ihre Medien selbst zusammenstellen? Die Antwort lautet momentan: Nur einige wollen es (vielleicht fehlt dafür auch noch die Fantasie), das Gros kauft das vorgefertigte Produkt. Möglicherweise steigt der Appetit mit dem Angebot: Immer mehr Verlage erkennen die Chancen der Personalisierung und schaffen die technischen und inhaltlichen Voraussetzungen. Wir stehen erst am Anfang einer Entwicklung, die den Kunden (und nicht das Produkt) in den Mittelpunkt stellt.
Personalisierung bzw. Customized Content ist der Schwerpunkt der 5. Fachkonferenz Verlag 3.0, die am 4. Juli 2012 unter der Leitung von Ehrhardt F. Heinold in der Akademie des Deutschen Buchhandels stattfindet.
Ehrhardt F. Heinold, Unternehmensberater Heinold, Spiller & Partner
Finde ich eine gute Idee. Habe mich schon auf dieser Seite ein bisschen eingelesen:
http://personalisiertekinderbuecher.org
Bin gespannt ob diese personalisierten Medien das halten was sie versprechen.
Die Frage ist, warum sich personalisierte Buchinhalte bislang kaum durchgesetzt haben…