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Ein esoterischer Verschwörungsthriller?

SPIEGEL ONLINE nimmt sich jede Woche den wichtigsten Neueinsteiger, Aufsteiger oder den höchstplatzierten Titel der SPIEGEL-Bestsellerliste vor – im Literatur-Pingpong zwischen Maren Keller und Sebastian Hammelehle. Diesmal: Peter Høegs Roman „Der Susan-Effekt“ (Hanser) klettert in dieser Woche auf Platz 6 der SPIEGEL-Bestsellerliste. Diskutiert wird die entscheidende Frage: Und das soll ich lesen?

Hammelehle: Ich kenne den Treibhauseffekt und den Bilbao-Effekt. Was aber ist der Susan-Effekt?

Keller: Laut Peter Høeg bezeichnet der Susan-Effekt das Phänomen, dass seine Romanfigur Susan bei allen Gesprächspartnern absolute Aufrichtigkeit erzeugt. Jeder kennt doch so Menschen, denen pausenlos alle von Trennungen und Komplexen und Geheimnissen erzählen. Die Hauptfigur von Høegs Roman ist quasi die thrillertaugliche Extrem-Variante davon. Ich würde aber mit dem Susan-Effekt auch noch etwas anderes beschreiben: dass man nämlich beim Lesen ziemlich schnell in den Bann dieser Frau gerät.

Hammelehle: Geraten wir nicht alle ständig in den Bann einer Frau?

Keller: Aber wohl selten bis nie in den einer Frau wie Susan. Sie backt perfekte Croissants unter Berücksichtigung aller damit zusammenhängenden physikalischen Gesetze! Sie kann Grabengreifer schon von Weitem von Volvo-35-Tonnen-Baggern unterscheiden! Und sie hat versucht, einen ihrer Liebhaber umzubringen! Weswegen sie jetzt von der dänischen Regierung erpresst wird.

Hammelehle: Wozu könnte der dänische Staat eine derartige Persönlichkeit zwingen?

Keller: Sie soll ihre Fähigkeiten dazu nutzen, die Versammlungsprotokolle einer geheimen Kommission zu besorgen, die Dinge über die Zukunft weiß, an denen nicht nur die dänische Regierung interessiert ist. Das Buch wäre kein Høeg-Buch, wenn es an dieser Stelle nicht etwas ins Übernatürliche gleiten würde.

Hammelehle: Nicht etwa auch ins Haarsträubende?

Keller: Hätte zugegebenermaßen sehr leicht so sein können. Aber verhindert wird dieser Eindruck dadurch, dass Høeg seine Susan zur Physikerin gemacht hat. Also glaubt sie nicht, dass Leute in die Zukunft gucken können. Aber sie glaubt, dass „innerhalb bestimmter Menschenformationen die Frequenz verifizierbarer Intuition als eine Funktion der Zeit zu steigen beginnt, erst linear, dann exponentiell“. Für die Dauer des Lesens kann man sich also darauf einlassen, dass alles eine gewisse Plausibilität hat.

Hammelehle: Meine einzig plausible Intuition ist bisher, dass es sich bei diesem Buch um eine leicht esoterische Verschwörungstheorie handelt.

Keller: Diese Intuition ist so naheliegend, dass sie dich vermutlich für keine Geheimkommission qualifizieren würde. Aber es ist ein esoterischer Verschwörungsthriller, in dem ein toter Mönch in seiner eigenen Waschmaschine geschleudert wird! Wer solchen Details nichts abgewinnen kann, könnte aber durchaus immun gegen den Susan-Effekt sein.

Hammelehle: Bevor wir jetzt zu den üblichen Journalisten-Wortspielen mit „Fräulein Smillas Gespür für Schnee“ übergehen, das ja das bekannteste Buch von Peter Høeg ist, stelle ich lieber unsere Standardfrage: Und das soll ich lesen?

Keller: Ja, aber falls du das gar nicht willst, könntest du auch gleich eine Biografie über die großen Physiker lesen. Susans Begeisterung färbt ab.

Sebastian Hammelehle ist Kulturredakteur beim SPIEGEL, dem am 26. September erstmals der LITERATURSPIEGEL beiliegt.

Maren Keller ist Kulturredakteurin beim SPIEGEL. Sie mag aus ästhetischen Gründen den Leidenfrost-Effekt.

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