buchreport

Ein sehr lautes und sehr begeistertes Ja!

SPIEGEL Online nimmt sich jede Woche den wichtigsten Neueinsteiger, Aufsteiger oder den höchstplatzierten Titel der SPIEGEL-Bestsellerliste vor – im Literatur-Pingpong zwischen Maren Keller und Sebastian Hammelehle. Diesmal: Kai Meyers fantastischer Roman „Die Seiten der Welt“ steht auf Platz 15 in der SPIEGEL-Bestsellerliste. Diskutiert wird die entscheidende Frage: Und das soll ich lesen?

Keller: Hast du dir schon mal vorgestellt, wie es wäre, eine Romanfigur im echten Leben zu treffen?

Hammelehle: Einen Exlibro also, wie in „Die Seiten der Welt“ aus den Büchern gefallene Romanfiguren heißen. Zumindest würde ich sie nicht zu Insektensuppe verkochen wollen, wie es in diesem Buch kurzzeitig dem armen Gregor Samsa droht, der in Kafkas Verwandlung als Käfer aufgewacht war.

Keller: Die Exlibris haben es nicht leicht! Sie leben in Ghettos und sind nur noch die heruntergekommene Version ihres belletristischen Selbst. Und sie sind nicht das einzig süße Detail dieses Buchs. Es gibt auch Seelenbücher, flatternde Origami-Vögel aus Buchseiten, Buchegel, eine mächtige Akademie – die Seiten der Welt ist auf jeden Fall das fantasievollste Buch, das ich seit langem gelesen habe. Ein bisschen „Harry Potter“, ein bisschen „Unendliche Geschichte“. Toll!

Hammelehle: Ein Leser hat mich kürzlich getadelt, weil ich Harper Lees „Wer die Nachtigall stört…“ erst jetzt lese und nicht schon mit 14. Dem entgegne ich: Auch „Die Seiten der Welt – Nachtland“ ist ein Buch, das man mit 14 ebenso lesen kann wie mit 40. Von der ersten Seite an hat mich Meyers kühnes Bücheruniversum fasziniert – und das, obwohl ich den ersten Band der Reihe gar nicht kenne.

Keller: Zu Beginn des ersten Bands lebt Furia Salamandra Faerfax noch abgeschieden auf einem Landsitz mit riesiger Bibliothek fernab von Allem. Ihr Vater will sie und ihren Bruder vor den mächtigen Feinden ihrer Familie schützen. Und er will die Entschreibung aller Bücher verhindern. Furia hat die Gabe der Bibliomantik – der Magie der Bücher – geerbt. Um ihre Kräfte voll einzusetzen, muss sie allerdings erst ihr Seelenbuch finden. Und außerdem muss sie nach dem Tod ihres Vaters, dessen Lebenswerk fortführen, ihren Bruder wiederfinden, der entführt wird und sich entscheiden, auf welcher Seite eines uralten Konflikts sie eigentlich steht. Das ist die Kurzfassung davon, wie Furia nach Libropolis gelangt, in die Stadt der Buchläden, in der wir sie im zweiten Band treffen. Es lohnt sich aber wirklich, das auch noch in der Langfassung nachzulesen.

Hammelehle: Genau die Art von Buch also, die ich niemals lesen würde, weil mich märchenhafte Abenteuergeschichten eigentlich gar nicht interessieren. Kai Meyer allerdings ist ein herrlich wortmächtiger, bildhaft erzählender Autor.

Keller: Es ist also offenbar möglich, dieses Buch zu mögen, obwohl es ein phantastischer Abenteuerroman ist oder gerade deswegen. Aber auf einem Bookboard würdest du schon auch gern mal fliegen wollen, anstatt die Bücher immer nur zu lesen, oder?

Hammelehle: Tut mir leid, das einzige Sportgerät, das ich benutze, sind Bücher. Ich stelle mir ja vor, dass unsere entscheidende Frage „Und das soll ich lesen?“, wenn sie in Meyers Buch gestellt würde, von einem uniformierten Hotelpagen vorgetragen würde. Die Antwort wäre dann?

Keller: Ein sehr, sehr lautes und sehr, sehr begeistertes Ja.

Maren Keller ist Redakteurin beim KULTUR SPIEGEL. Sie würde ihren Job noch lieber mögen, wenn sie statt ihres langweiligen Schreibtischstuhls Furias sprechenden Lese-Sessel in ihrem Büro hätte.

Sebastian Hammelehle ist Kulturredakteur beim SPIEGEL. In den kommenden Wochen liest er am Strand.

Kommentare

Kommentar hinterlassen zu "Ein sehr lautes und sehr begeistertes Ja!"

Hinterlassen Sie einen Kommentar

Mit dem Abschicken des Kommentars erklären Sie sich damit einverstanden, dass Ihre Daten elektronisch gespeichert werden. Diese Einverständniserklärung können Sie jederzeit gegenüber der Harenberg Kommunikation Verlags- und Medien-GmbH & Co. KG widerrufen. Weitere Informationen finden Sie in unseren Datenschutz-Richtlinien

E-Mail Adresse wird nicht veröffentlicht.


*