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Ein Weckruf an die Branche

Die Buchbranche unterschätzt die Digitalisierung, E-Books werden den Buchmarkt nicht nur umkrempeln, sondern verarmen lassen, prophezeit Ranga Yogeshwar (Foto). Im Interview mit buchreport.de erklärt der Autor und Wissenschaftsjournalist, wie Verlage und Buchhändler dem digitalen Fortschritt begegnen und ihn aktiv gestalten können.

Wird die Digitalisierung von der Branche unterschätzt?

In jedem Fall. Die Kernbotschaft der Börsenvereins-Studie vom März 2011 war doch: Alles bleibt beim Alten, auf uns werden marginale Veränderungen zukommen. Dass es anders kommen wird, zeigt die Geschichte des Internets ebenso wie die des Fernsehens, der Musikbranche und des Kinos. Wenn wir nichts verändern, werden wir in sieben Jahren nur wenige große, fast monopolistische Strukturen im Buchmarkt haben. Amazon, Apple und Google werden einen Großteil der Bücher verteilen und sogar verlegen, die Zahl der Buchhandlungen und Verlage wird dramatisch einbrechen. Wir haben in Deutschland viele kluge Regeln, die die Vielfalt der Kleinen schützen, z.B. die Buchpreisbindung. Diese Vielfalt droht mit der Digitalisierung über Nacht zu verschwinden.

Das Gedruckte wird untergehen?

Es ist nicht etwa so, dass ich den sinnlichen Wert des Gedruckten nicht zu schätzen wüsste. Im Gegenteil: Meine Großmutter besaß eine Druckerei. Bleisatz, Durchschuss, das zischende Geräusch der Druckmaschinen, der Geruch der frischen Druckerschwärze – Bücher aus Papier haben ohne Zweifel ihren Charme, dennoch werden E-Books den Markt erobern. Die Bildschirme werden sich verbessern und der ständige Zugriff auf alle Bücher besitzt einen besonderen Reiz. Der E-Book-Anteil der Zukunft wird von den Verantwortlichen derzeit auf 20% geschätzt. Ich behaupte: Es wird genau umgekehrt sein: Der Anteil des Gedruckten wird künftig bei 20% liegen.  

Woran machen Sie das fest?

Betrachten Sie beispielsweise den Musikmarkt: Anfangs wurde gesagt, dass es ein paar Verrückte geben wird, die mp3-Downloads nutzen,  der Rest wird CDs kaufen. Gucken Sie sich mal heute an, was passiert ist. In dem Moment, wo Technologien praktische Vorteile aus Endkundensicht schaffen, ändern wir die Rituale, die wir über Jahre praktiziert haben.

Auch in der Anfangsphase des Internets wurde oft behauptet, dass es nur eine minimale Zahl von Spezialisten geben würde, die überhaupt im Netz sind, weil die meisten damals überhaupt keinen Computer besaßen. Der Frauenanteil an den Usern war minimal. All das hat sich in nur einem Jahrzehnt komplett gewandelt.

Die  Kinowelt ist im Vergleich zu vor 20 Jahren nicht vielfältiger, sondern einfältiger geworden:  überall dieselben Mainstream-Filme. Das, was Kultur ausmacht, läuft in kleinen Programmkinos, die sich eigentlich kaum selber finanzieren können. Parallel dazu betreiben wir absurderweise eine Filmförderung, um die „anderen“ Filme noch zu unterstützen.

Übertragen auf den Buchmarkt…

… ist diese Entwicklung ziemlich trostlos. Welch eine Verarmung! Bücher, die unsere Kultur bereichern, und die nicht in den Bestsellerlisten auftauchen, werden untergehen, weil sie nicht mehr sichtbar sind und weil sie nicht mehr offensiv von engagierten Verlagen vertreten werden. Verlage haben in der Vergangenheit oft unbekannte Autoren entdeckt und aktiv unterstützt. Kluge Lektoren haben gemeinsam mit den Autoren die Werke veredelt, haben geprüft und gegengelesen. Die Qualität der Literatur wurde in diesem System verbessert. Die Kultur der Selfpublishing-Autoren,  wird allmählich dazu führen, dass im Zuviel des Mittelmäßigen unsere Kultur an Schärfe verliert und im Rauschen untergeht. Vor 100 Jahren war ein Mehr an Information verbunden mit einem Mehr an Mündigkeit und damit einem Mehr an Demokratie. Heute ist es zunehmend so, dass wir im Informationsmeer ersticken. Glaubwürdigkeit und Qualität bleiben auf der Strecke und führen zu Orientierungslosigkeit. Für die Kultur unserer Demokratie ist das bedenklich.

Doch diese Entwicklung ist kein Automatismus. Es liegt an uns diesen Fortschritt aktiv zu gestalten und dabei selbstbewusst zu entscheiden, was wir wollen und was wir ablehnen. Mit den Mitteln der Politik müssen wir unseren Kulturraum vor der kommerziellen Gier schützen. Nur so hat die wertvolle Vielfalt eine Chance.

Welche Geräte werden sich Ihrer Meinung nach durchsetzen?

Spezialisierte E-Reader, die sich auf das Lesen beschränken, werden künftig verschwinden. Stattdessen werden sich die Multimedia-Geräte und Tablets durchsetzen. Das lässt sich aus anderen Entwicklungen ableiten: Vor fünf Jahren gab es noch elektronische Terminkalender oder Übersetzungscomputer. Heute gibt es für alles eine App. Analog wird das digitale Lesen auf Multimedia-Geräten stattfinden.

Sie haben gemeinsam mit dem  Verlag Kiepenheuer & Witsch, Computerexperten und Grafik-Designern das E-Book-Konzept Epedio entwickelt, mit dem das (digitale) Buch neu definiert werden soll. Inwieweit knüpft das Epedio die von Ihnen skizzierte Entwicklung an?

Mit dem Epedio haben Verlage die Möglichkeit kostengünstig enhanced E-Books zu erstellen und dabei die volle Identität des Verlagsangebots zu wahren. Der Leser erhält im Gegensatz zu anderen E-Books einen direkten Draht zum Verlag und seinen Angeboten. Der Charme besteht darin, dass Verlage vergleichsweise einfach und kostengünstig in der E-Book-Welt mitspielen können und den Leser dabei nicht verlieren. Die üblichen Reader sehen nur noch die Welt von Apple, Amazon, Facebook oder Google und mit der Erstellung der E-Books verlieren die Verlage häufig ihre Autonomie. In diesen Portalen setzen die Amazons die Prioritäten und Bewerben nach ihren Maßstäben. In dieser Umbruchphase ist es jedoch wichtig, die Eigenständigkeit zu bewahren, die Weichen selbst zu stellen und aktiv zu werden.

In den USA sind die Umsätze mit Apps noch minimal, auch hierzulande können Verlage mit Apps nicht kostendeckend arbeiten (hier mehr). Ist das Angebot nicht attraktiv genug?

Wenn wir die Frage in zwei Jahren wiederholen, wird die Antwort anders aussehen. Wir denken noch nicht in Apps. Es gibt ganz viele Möglichkeiten, man muss nur anfangen, in diesen Kategorien zu denken. Dann bekommen wir eine völlig neue Qualität von Büchern.

Die Fragen stellte Lucy Kivelip


Ranga Yogeshwar

wurde am 18. Mai 1959 in Luxemburg als Sohn eines indischen Wissenschaftlers und einer luxemburgischen Kunsthistorikerin geboren. Er studierte Physik mit Fachrichtung „Experimentelle Elementarteilchenphysik und Astrophysik“. Seit 1983 arbeitet er journalistisch für Print-Medien, Hörfunk und Fernsehen. Yogeshwar moderiert verschiedene Wissenssendungen u.a. „Quarks & Co.“. Er lebt mit seiner Frau und den vier Kindern in Hennef.


Epedio und Ranga Yogeshwar auf der Frankfurter Buchmesse

Am Buchmesse-Freitag, dem 14.10.2011 von 10 bis 11 Uhr, lädt Kiepenheuer & Witsch zur Podiumsdiskussion „Die Zukunft des Buches“ im Lesezelt mit Ranga Yogeshwar, Frank Schirrmacher, Gunter Dueck, Dr. Rüdiger Salat, Helge Malchow und Lutz Dursthoff ein. Die Schirmherrschaft hat Börsenvereins-Vorsteher Gottfried Honnefelder übernommen.

Hier der Trailer zum Epedio mit ersten Eindrücken:

Und hier Screenshots der App für das iPad:

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